Krankenkassen-Analyse Jedem zweiten Kleinkind fehlen Impfungen
Die Ständige Impfkommission rät zum Schutz gegen insgesamt 13 Krankheiten in den ersten zwei Lebensjahren. Etwa die Hälfte der Kleinkinder hat laut Techniker-Krankenkasse jedoch Impflücken.
Knapp die Hälfte der Kleinkinder in Deutschland werden einer Analyse von Patientendaten zufolge in den ersten beiden Lebensjahren nicht vollständig geimpft. Wie aus einer Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) hervorgeht, erhalten nur knapp 47 Prozent der Kinder alle von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Teilimpfungen. Für die Analyse der Impfraten wurden die Daten der 2016 geborenen und bei der TK versicherten Kinder untersucht.
3,6 Prozent von ihnen bekamen gar keine der empfohlenen Impfungen gegen insgesamt 13 Krankheiten. Dazu zählt die Sechsfachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Hib, Polio, Hepatitis B, die Vierfachimpfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken sowie Impfungen gegen Rotaviren und Meningokokken. Nur knapp 47 Prozent der Kleinkinder erhielten alle Teilimpfungen gegen diese Krankheiten.
"Wenn Kinder nicht alle notwendigen Teilimpfungen erhalten, sind sie nicht sicher immunisiert", warnt Kassenchef Jens Baas. Entscheidend sei, dass die Kinder schnell alle Impfungen erhalten, um geschützt zu sein. "Die Voraussetzungen dafür sind gegeben, weil die Eltern ihre Kinder generell impfen lassen und folglich nicht zur Gruppe der Impfgegner gehören." Die Teilimpfungen könnten meist problemlos nachgeholt werden, ohne dass die Impfserie von vorn beginnen müsse.
Nachholbedarf beim Rotavirus
Betrachtet man die einzelnen Krankheiten, sind die Quoten deutlich besser. Gegen Diphtherie, Hib, Masern, Mumps, Keuchhusten, Röteln und Wundstarrkrampf sind jeweils zwischen 81 und 82 Prozent der Zweijährigen immunisiert. Bei den Windpocken sind es hingegen nur 75 Prozent. Schlechter sieht es bei Rotaviren aus, gegen die nur 60 Prozent der Kleinkinder geschützt sind. Die Impfung empfiehlt die STIKO erst seit 2013.
Impfpflicht gegen Masern geplant
Gegen Masern sind laut TK elf Prozent unvollständig geimpft und sieben Prozent gar nicht. Die zuletzt gestiegene Zahl von Masernerkrankungen hatte zu einer aufgeheizten Debatte geführt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant eine Impfpflicht für Masern, nach der Kita-Kinder aus der Einrichtung ausgeschlossen werden können und Eltern von Schulkindern ein hohes Bußgeld zahlen müssen, wenn nicht ausreichend geimpft wurde.
Regional gibt es bei den Impfraten deutliche Unterschiede. Während die Anteile der nicht vollständig Geimpften in Hessen bei 69 Prozent und in Sachsen bei 62 Prozent liegen, fallen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg 39 Prozent der Kinder in diese Gruppe. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 37 Prozent.
"Viele praktische Hürden"
Nach Angaben der Erfurter Psychologieprofessorin Cornelia Betsch gibt es "viele praktische Hürden" beim Impfen. "Die meisten Menschen sind impfbereit, aber Impfen ist oft nicht einfach genug", erklärte Betsch, die zu Impfentscheidungen forscht. Erwachsenen sei außerdem oft auch nicht bekannt, dass oder wann sie sich impfen lassen sollten.
Eine Impfpflicht hält Betsch für das "letzte Mittel". Mit der Einführung einer teilweisen Impfpflicht könnten andere freiwillige Impfungen "weniger wichtig erscheinen oder von impfkritischen Personen häufiger weggelassen werden", sagte die Expertin.
Gesundheitsexperte Gerd Glaeske von der Universität Bremen hält mehr Aufklärung für nötig. "Dabei sollte allen klar sein, dass es um die Gesundheit der Gemeinschaft geht."
Impfgegner vor allem in Städten
Die Krankenkasse legte außerdem eine Umfrage zum Thema Impfen vor. Demnach leben Impfgegner vor allem in Städten. Neun Prozent der Stadt-Bevölkerung lehnen die Maßnahmen zum Schutz vor Krankheiten ab. Auf dem Land sind es nur zwei Prozent. Für die Umfrage befragte das Forschungsinstitut Forsa im August und September mehr als 1000 Personen.
Immer weniger Menschen lassen sich nach Angaben der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKH) außerdem gegen die Grippe impfen. Während sich 2008 geschätzt noch jeder dritte Bundesbürger impfen ließ, war es 2018 lediglich jeder fünfte.