Studienergebnisse Gentherapie wirkt kaum bei Muskeldystrophie
Seit einigen Monaten gibt es in den USA eine Gentherapie gegen die Duchenne-Muskeldystrophie, die häufigste muskuläre Erbkrankheit. Jetzt wurden Ergebnisse zur Wirksamkeit veröffentlicht - und die sind ernüchternd.
Kinder, die von der Muskeldystrophie Duchenne betroffen sind, fallen oft recht früh auf: Als Kleinkinder haben sie Schwierigkeiten beim Laufen, sie stolpern, können nicht gut Treppen steigen. Ihre Muskeln werden schwächer - und der Muskelschwund schreitet voran: Die meisten Patienten seien als Jugendliche auf einen Rollstuhl angewiesen, erklärt Jan Kirschner, Direktor der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen am Universitätsklinikum in Freiburg. "Später sind auch die Atemmuskulatur und die Herzmuskulatur betroffen, sodass die Patienten meist im jungen Erwachsenenalter versterben."
Die Duchenne-Muskeldystrophie sei zwar eine seltene Erkrankung. "Von neugeborenen Jungen ist etwa einer von 4.000 Säuglingen betroffen", so der Professor für neuromuskuläre Erkrankungen Kirschner. "Doch damit ist sie die häufigste Muskelerkrankung bei Kindern."
Beschleunigte Zulassung im Juni 2023
Deshalb war die Nachricht von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA am 22. Juni 2023 erst mal ein Fortschritt: Das Medikament ELEVIDYS, eine Gentherapie gegen die Muskeldystrophie Duchenne, erhielt eine beschleunigte Zulassung. Das heißt: Es kann verabreicht werden, die beteiligten Pharmaunternehmen müssen aber weitere Studienergebnisse einreichen.
Damit erhielten das erste Mal Jungen im Alter von vier bis fünf Jahren eine Gentherapie gegen ihre Muskeldystrophie Duchenne. Aber: Wie wirksam das Medikament in der Praxis ist, wusste man noch nicht. Mit Spannung wurden daher die Ergebnisse der sogenannten EMBARC-Studie erwartet, die das untersucht hat.
Bei motorischen Scores kein signifikanter Unterschied
Jetzt haben die beteiligten Pharma-Unternehmen ihre Ergebnisse in einer Pressemitteilung veröffentlicht - und sie hatten keine besonders guten Nachrichten. In der Studie wurden die motorischen Fähigkeiten der Kinder untersucht. Für Aufgaben wie Treppensteigen und vom Boden aufstehen bekamen die Patienten Punkte, daraus wurde ein Score errechnet.
Zwischen einer therapierten und einer Placebo-Gruppe konnten die Forschenden jedoch keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Veränderung des Scores nach einem Jahr erkennen. Das heißt: In der Gesamtschau ihrer motorischen Leistungen gab es keine stichhaltige Verbesserung durch die Therapie.
Bei der Auswertung weiterer Messpunkte zeigte sich aber teilweise Vorteile der Gentherapie im Vergleich zu Kontrollgruppe. So verkürzte sich beispielsweise die Zeit, die die Patienten brauchten, um aufzustehen - um 0,64s.
Kleine Unterschiede können langfristig Unterschied machen
Was erst mal nach sehr wenig klingt, könnte jedoch auf Dauer interessant sein, erklärt Mediziner Kirschner im SWR. Denn der Zeitraum, über den die Jungen hinweg untersucht wurden, war relativ kurz: "Der Unterschied, den man nach einem Jahr beobachtet hat, war nicht sehr eindrücklich. Aber wenn man sich vorstellt, dass der Effekt der Therapie vielleicht über Jahre anhält, dann könnte es sich für die Patienten schon bemerkbar machen."
Denn die Duchenne-Muskeldystrophie ist eine langfristig fortschreitende Krankheit. Betroffen sind vorwiegend Jungen, bei Mädchen zeigt sich diese Erkrankung deutlich seltener. Denn der Gendefekt, der für den Muskelschwund verantwortlich ist, liegt auf dem X-Chromosom. Mädchen und Frauen haben meist zwei X-Chromosomen - sie können den Erbfehler ausgleichen. Das ist bei Jungen nicht möglich. Ihre einzige Kopie des Gens, dass den Bauplan für das Protein Dystrophin enthält, ist fehlerhaft.
Für die Stabilität der Muskeln ist Dystrophin jedoch sehr wichtig. Fehlt das Protein oder ist es beschädigt, werden die Muskeln nach und nach abgebaut und durch Bindegewebe oder Fett ersetzt.
Erfolge bei anderen Therapien sind nicht übertragbar
Insgesamt sind die Ergebnisse gerade für die Patienten wohl ernüchternd. Denn bei Gentherapien gebe es große Hoffnungen von Seiten der betroffenen Familien, sagt Wissenschaftler Kirschner von der Universitätsklinik Freiburg. Zum Teil auch zu Recht: Bei anderen Erkrankungen wie der Spinalen Muskelatrophie seien durch die Gentherapie große Fortschritte erzielt worden. "Mittlerweile gibt es hier ein Neugeborenen-Screening, sodass Patienten direkt nach Geburt behandelt werden können." Und dann entwickelten sich viele dieser Kinder fast normal.
Doch diese Erfolge seien nicht einfach zu übertragen auf andere Erkrankungen. Denn die hätten eine andere genetische Ursache. Bei der Muskeldystrophie Duchenne habe man beispielsweise das Problem, dass das beschädigte Dystrophin-Gen sehr groß sei, so Kirschner. Mit den aktuell genutzten Methoden könne man nicht die vollständige Geninformation in die Zellen der Patienten transportieren, dafür sei die Kapazität der Gentransportmittel zu klein. Daher bringe man bei der derzeitigen Genbehandlung nur wichtige Teile des Gens in die Zellen, das sogenannte „Mikrodystrophin“. Das könnte ein Grund sein, weshalb die Therapie keine optimale Wirkung zeige.
Schwere Erkrankungen - großer Zeitdruck
Doch auch der beste Zeitpunkt der Therapie ist noch nicht klar: In der aktuellen Studie hatten Patienten die Therapie erhalten, deren Erkrankung bereits deutliche Symptome zeigte, so Kirschner. "Das heißt, die Muskulatur hatte sich bereits verändert. Da stellt sich die Frage, ob man die Therapie eventuell früher einsetzen muss." Bei einer veränderten Muskulatur könne der Nutzen der Gentherapie begrenzter sein.
Der Professor für neuromuskuläre Erkrankungen sieht noch weiteren Forschungsbedarf, bevor man wirklich beurteilen könne, wie gut die Gentherapie wirkt. Doch es gebe einen gewissen Zeitdruck. "Es handelt sich um eine fortschreitende Erkrankung mit hohem Leidensdruck, und wir können nicht einfach weitere zehn Jahre Forschung betreiben, um eine Therapie noch besser zu untersuchen", so Kirschner. Sobald es ausreichende Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit gebe, müsse die Therapie den Betroffenen auch rasch zugänglich gemacht werden. Die europäischen Behörden haben noch nicht entschieden, wie sie mit der Gentherapie gegen die Muskeldystrophie Duchenne umgehen - eine Zulassung steht noch aus.