Fischtrawler auf dem Meer
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Schutzgebiete und Fangquoten Wie nachhaltig gefischt werden könnte

Stand: 26.07.2023 06:41 Uhr

Fisch ist dank Omega-3 Fettsäuren gesund, als Lebensmittel fast unverzichtbar. Gleichzeitig sind viele Fischbestände stark dezimiert.  Wie lässt der Spagat zwischen Ökologie und Nahrungsmittelversorgung schaffen?

Von Michael Houben, mdr

Die neue "Jan Maria", die im Auftrag der Bremerhavener Doggerbank GmbH kürzlich in der Türkei vom Stapel lief, gilt als eines der modernsten Fabrikschiffe der Welt. Sie kann in einer Fahrt Tausende Tonnen Fisch in Tiefkühlfilet verwandeln, und das dank vergleichsweise geringem Treibstoffverbrauch sogar relativ klimafreundlich. Umweltverbände lehnen derartige Schiffe seit Jahren ab, weil sie Überfischung befürchten. Sie fordern kleinere Schiffe, die in den Fischbeständen weniger Schäden anrichten würden.

Wie nachhaltig ist Fischerei mit gigantischen Fang-Schiffen

Michael Houben, MDR, Plusminus, 12.07.2023 21:45 Uhr

Abwägender Blick der Wissenschaft

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen das differenzierter: Gerd Kraus, Direktor des Thünen Institut für Seefischerei, untersucht, wie viel Fischerei möglich ist, ohne die Bestände zu gefährden. Er erklärt, dass es dem Fisch letztlich egal sei, ob er von einem großen Schiff oder einem kleinen gefangen werde. Entscheidend sei die Menge, die pro Jahr aus einzelnen Regionen gefischt würden, die sogenannten Quoten. Bei deren Festlegung würde sich die EU mittlerweile sehr gut an wissenschaftliche Empfehlungen halten, und die Bestände der Nordsee seien stabil. Dabei seien die Aktivitäten weniger großer Schiffe sogar leichter zu kontrollieren als bei Dutzenden Kleinen.

Probleme gebe es eher in internationalen Gewässern, wo beteiligte Staaten sich schwer einigen und oft auch zu große Fangmengen festlegen würden. Wenn europäische Schiffe aber dort nicht mehr fischten, würden die frei werdenden Fangquoten sofort von anderen Staaten - etwa Amerikanern oder China - genutzt, und für die Fischbestände wäre nichts gewonnen.

Probleme vor allem durch Grundschleppnetze

Entscheidend sei, sagen Fischereiökologen, wie der Fisch gefangen wird. Problematisch seien vor allem Grundschleppnetze, die direkt über den Meeresboden gezogen werden. Sie werden genutzt, um Fische zu fangen, die knapp über dem Meeresboden leben. Schwere Metallketten sorgen dafür, dass diese Netze am Boden bleiben und verwüsten dabei den Meeresgrund. Sie können empfindliche Ökosysteme dort für Jahrhunderte zerstören.

Hier gibt es zwar neue Entwicklungen, die ohne schwere Ketten auskommen und den Boden nur punktuell berühren. Damit könne man aber keine Fischarten fangen, die sich - wie etwa Schollen - direkt im Grund eingraben und durch die Eisenketten erst aufgescheucht werden. Zudem, erklärt Krause, sei es in der Praxis schwer, wirklich zu kontrollieren, wie jedes einzelne Schiff seine Grundnetze einsetze. Er empfiehlt daher, Schutzgebiete auszuweisen, in denen jegliche Grundnetzfischerei verboten ist.

An Deutschland gescheiterter Schutz

Genau solche Schutzgebiete wollte der Fischereikommissar der EU schaffen. In allen bislang von den EU-Staaten ausgewiesenen "Natura 2000-Schutzgebieten" sollte Grundnetzfischerei verboten werden. Dagegen protestierten die norddeutschen Krabbenfischer vehement. Auch ihre Netze müssen direkt über den Boden gezogen werden. Und ausgerechnet der grüne deutsche Landwirtschafts- und Fischereiminister Cem Özdemir knickte ein und blockierte das Verbot.

Auch dafür hat der Wissenschaftler vom Thünen Institut allerdings Verständnis. Bislang hatten "Natura 2000-Gebiete" an den Küsten eher symbolischen Wert. Man durfte dort fischen, Windparks errichten, und auch sonst gab es kaum Einschränkungen. Entsprechend freizügig hatten deutsche Küstenländer fast die gesamte Küste zum Meeresschutzgebiet erklärt. Damit wäre Grundnetzfischerei - und damit eben auch Krabbenfischerei - in Deutschland komplett verboten worden.

Andere EU-Staaten wie Dänemark, Holland und Belgien hatten nur Teile der Küste als "Natura-2000 Gebiete" ausgewiesen, so dass die Existenz der küstennahen Fischerei und der Krabbenfischer durch ein Grundschleppnetzverbot nicht gefährdet gewesen wäre.

Schutz für die "Kinderstuben der Fische"

Wenn man Fischbestände, ökologisch wertvollen Meeresgrund und Fischerei unter einen Hut bekommen will, sieht der Wissenschaftler Kraus nur eine Option: Man müsse relativ schnell definieren, welche Gebiete als "Kinderstube für Fische" und wegen ökologisch wertvollem Bewuchs besonders relevant seien und gezielt diese Teile des Meeres unter Schutz stellen - dort also insbesondere die Fischerei mit Grundschleppnetzen komplett verbieten.

In anderen Gebieten könnte Fischerei weiter auch wirtschaftlich betrieben werden. Das müsse ähnlich erfolgen wie an Land, wo Wälder zu Naturschutzgebieten erklärt würden, die komplett sich selbst überlassen bleiben. Kürzlich haben die Staaten der UN sich darauf geeinigt, 30 Prozent aller Weltmeere auf diese Weise zu schützen. Genau das müsse jetzt auch an europäischen und eben auch deutschen Küsten erfolgen - und das möglichst schnell.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete "Plusminus" im Ersten am 12. Juli 2023 um 21:45 Uhr.