Linde will DAX verlassen Ein Schwergewicht geht
Dem DAX droht der Verlust der Linde-Aktie. Heute entscheidet der wertvollste Konzern am deutschen Aktienmarkt darüber, ob er künftig nur noch an der New Yorker Börse gelistet sein will.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass Linde und der amerikanische Industriegase-Konzern Praxair zusammen gegangen sind. Eine "Fusion unter Gleichen" sollte es sein. Doch davon ist kaum noch etwas zu spüren. "Wenn man mit Linde spricht, dann fühlen die sich eigentlich mehr als ein Praxair", sagt Hendrik Leber von der Investmentgesellschaft Acatis. "Da steht noch ein deutscher Name drauf, aber die fühlen sich im Grunde als ein amerikanisches Unternehmen."
Verrat am DAX?
Jetzt der nächste Schritt: Linde will sich von der Frankfurter Börse zurückziehen. Die Aktien des Unternehmens sollen künftig nur noch in New York gehandelt werden. Das wäre ein schwerer Schlag für den Finanzplatz Frankfurt. Einige Fondsgesellschaften wittern gar Verrat, sprechen vom Ausbluten der obersten Börsenliga in Deutschland. Schließlich sei Linde nicht irgendein Unternehmen, sondern der wertvollste Konzern am deutschen Aktienmarkt, das Schwergewicht im DAX. Seit es den Deutschen Aktienindex gibt, ist Linde dabei.
Ein Weggang von Frankfurt hätte für den deutsch-amerikanischen Industriegase-Konzern zunächst einmal ganz praktische Auswirkungen. Denn an zwei Börsen gelistet zu sein ist teuer. Der bürokratische Aufwand ist hoch. Und am Ende des Tages müsse man sich eben überlegen, wo der hauptsächliche Handel der Aktien stattfindet, so Chris Oliver Schickentanz von der Capitell AG. Im Fall von Linde sei die Antwort eindeutig: "Die USA sind der größte Finanzplatz der Welt, und viele Anteilseigner von Linde kommen auch aus den USA." Von daher sei das eine natürliche Wahl.
Andere Voraussetzungen
Und noch etwas dürfe man nicht unterschätzen: In den USA gibt es für Unternehmen ganz andere Bedingungen - nicht nur, was die Risikobereitschaft der Investoren angeht. Die Energiekosten sind dort deutlich niedriger. Es gibt steuerliche Erleichterungen. Der bürokratische Aufwand ist ein anderer. Die Amerikaner machen auch keinen Hehl daraus: Sie wollen gezielt ausländische Unternehmen ins Land locken. "Der Inflation Reduction Act, das ist ja das große Konjunkturpaket, das die Biden-Administration ins Leben gerufen hat, der könnte dann natürlich Linde auch geschäftspolitisch noch einmal zu Buche schlagen und entsprechend unterstützen und helfen", erklärt Schickendanz.
Und Linde hat ehrgeizige Pläne: Der Industriegase-Konzern will etwa bei der Herstellung, Verarbeitung, Speicherung und beim Vertrieb von Wasserstoff in neue Dimensionen vorstoßen. Das umzusetzen ist in den USA deutlich einfacher als in Europa oder gar in Deutschland. Auch andere große Konzerne wie Bayer oder die deutschen Autobauer zieht es zumindest mit einem Teil ihrer Produktion ins Ausland. Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, beobachtet das schon seit längerer Zeit. "Das Gerede von der Deindustrialisierung ist eben nicht nur Gerede", warnt er.
Ein Weckruf?
Die Pläne von Linde, die Frankfurter Börse zu verlassen, sollten nachdenklich machen, findet Joachim Schallmayer von der DekaBank. Seiner Meinung nach müsste genau das Gegenteil passieren: "Wir brauchen mehr Unternehmen, die tatsächlich den Kapitalmarkt suchen. Das gilt nicht nur für große Flagship-Unternehmen wie eine Linde, sondern gerade auch für kleinere und mittelgroße Unternehmen", so Schallmayer. "Da haben wir eine ganz andere Aktionärsstruktur, ein anderes Bewusstsein in anderen Ländern." So gesehen könnte der Weggang von Linde ein Weckruf für die Kapitalmärkte in Deutschland sein.