Bahngleise
interview

Experte zur Netz-Sanierung "Langfristige Investitionen werden vernachlässigt"

Stand: 16.07.2024 05:27 Uhr

Politik und Bahn sehen in der Generalsanierung einen großen Wurf. Verkehrsexperte Böttger sieht das kritischer. Die Politik setze auf "schöne Medientermine", vernachlässige aber die langfristige Finanzierung der Bahn.

ARD: Ist die Generalsanierung mit Großbaustellen von Schwerin bis Ulm und von Duisburg bis Frankfurt an der Oder ein realistisch durchgeplantes Vorhaben? Oder fällt das der Bahn und mit ihr ihren Kunden womöglich in einigen Monaten schon auf die Füße?

Christian Böttger: Also ich glaube, dass gerade jetzt dieses Vorzeigeprojekt Riedbahn, der Bahnstrecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, sehr sorgfältig geplant worden ist. Alles, was man hört, ist, dass dort unendlich viele Ressourcen reingesteckt wurden. Dass auch Ressourcen aus anderen Projekten abgezogen wurden, damit dieses Projekt tatsächlich ein Erfolg wird.

Bei den nächsten Projekten wird man mal sehen, wie gut dieses Konzept der Generalsanierung funktioniert. Aber wie gesagt, bei der Riedbahn mache ich mir zurzeit etwas weniger Sorgen als bei den anderen Projekten, die anstehen.

Zur Person
Christian Böttger ist Professor für den Studiengang Wirtschaftsingenieurswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungsarbeit sind Verkehrswesen, insbesondere Eisenbahnwesen, und Industrial Marketing.

"Finanzierung steht nicht nach 2026"

ARD: Sehen Sie ein Problem der Durchfinanzierung dieser vielen Projekte? Oder kann es auch das Problem geben, dass man das Geld gar nichts aufs Gleisbett bekommt, weil etwa Baustoffe oder Bauteile knapp werden?

Böttger: In dem Moment, wo Sie losbauen, gehe ich mal davon aus, dass es einigermaßen auch organisiert ist. Aber die Finanzierung steht nicht nach 2026. Die Bundesregierung hat also quasi gesagt: Wir sichern das ab bis zur Bundestagswahl - und alles, was danach kommt, wissen wir nicht.

Das ist schlimm für die Bauindustrie, die planen muss. Sie muss überlegen: Lohnt es sich für mich, eine Maschine anzuschaffen? Wenn ich also sage, ich habe nur einen Auftrag für ein oder zwei Jahre, dann reicht das eigentlich nicht aus. Deswegen ist diese fehlende Planungssicherheit ein Riesenproblem.

Und neben dieser Generalsanierung haben wir momentan immer mehr Strecken, die auch aus anderen Gründen gesperrt werden. Ich sehe da die Bahn insgesamt nicht auf gutem Wege. Und ich habe den Eindruck, dass momentan diese Generalsanierung einfach als politisches Projekt herausgehoben wird, die auch einen Hintergrund liefert für Medienauftritte der Politik. Aber es reicht nicht aus, um die Bahn zu sanieren.

"Eher Dinge, die kurzfristig wirken"

ARD: Verkehrsminister Volker Wissing selbst sagt, es seien Versäumnisse über Jahrzehnte, die man jetzt aufarbeite. Warum ist Modernisierung nicht laufend im Plan und auch im Finanzplan? Wer glaubt, gut damit leben zu können, wenn man die Substanz herunterwirtschaftet, bis es knirscht und quietscht?

Böttger: Ich glaube, die Antwort ist: Weil man das nicht unmittelbar sieht. Und wir sehen eben, dass die Politik - und da sind alle Parteien strukturell gleich - immer eher Dinge tut, die kurzfristig wirken.

Schauen Sie sich mal die Debatten über das Deutschlandticket an, wo alle Politiker ganz begeistert sind: Das sind Dinge, die der Bürger heute im Portemonnaie spürt und mit dem man heute eine gute Presse hat.

Und wenn Sie jetzt sagen, Sie investieren in die Infrastruktur für ein Projekt, das vielleicht 2030 fertig ist, dann kriegen nicht mehr Sie die schönen Medientermine, sondern Ihr Nachfolger. Und deswegen sehen wir das in allen Politikfeldern, dass eigentlich langfristige Investitionen vernachlässigt werden zugunsten von kurzfristig wirkenden Maßnahmen. Und ich glaube, da müssen wir auch als Bürger und Wähler sehen, dass wir dagegen halten.

"Holterdiepolter beschlossen"

ARD: Was wäre vielleicht eine Alternative gewesen zu dieser Generalsanierung, die mit Sicherheit viele Pendler, viele Reisende strapazieren wird: Auf kleineren Abschnitten bauen und doch bei normalem Betrieb? Also den Takt ein wenig ausdünnen, streckenweise vielleicht eingleisig fahren - oder erst im Norden, dann im Süden? Oder hätte das den gleichen Schaden fürs Netz gebracht, nur ohne den Nutzen, den das Großprojekt uns jetzt verspricht?

Böttger: Ein Teil des Nutzens kommt tatsächlich daher, dass man einfach die Finanzierung geändert hat, die jetzt ein bisschen erleichtert wurde. Wir haben in Deutschland sehr rigide Regeln, was das Bauen angeht. Die eine Frage wäre für mich immer: Können wir an diesen Regeln noch mal etwas ändern? Wir haben Regeln, die viel, viel strenger sind als die zum Beispiel in Österreich oder der Schweiz.

Und das Zweite ist, dass ich den Eindruck habe, dass es als politisches Projekt einfach holterdiepolter beschlossen wurde. Mit ein bisschen mehr Planung hätte man das vielleicht ein bisschen besser machen können. Für die Strecke Berlin-Hamburg, deren Sperrung jetzt auch bevorsteht, gibt es quasi keine Ersatzstrecke. Das wird also ziemlich verheerend für den Personen- und den Güterverkehr. Wenn man da vielleicht vorher gesehen hätte, dass man den lange geplanten zweigleisigen Ausbau der Bahn durch die Altmark jetzt etwas vorgezogen hätte, da hätte man jedenfalls eine leistungsfähige Umleitungsstrecke.

All das ist eben nicht gemacht worden. Der Eindruck ist, dass das Ganze jetzt, nachdem man es lange hat liegen lassen, holterdiepolter angefangen wurde - auch unter dem Gesichtspunkt: Wir brauchen einen schönen Medientermin.

Das Gespräch führte Markus Schubert, NDR Info. Für die schriftliche Fassung wurde es leicht überarbeitet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Juli 2024 um 17:00 Uhr.