KKR will Accell übernehmen Wie Milliardäre die Fahrradbranche aufmischen
Die Pandemie und E-Bikes sorgen für glänzende Geschäfte der Fahrradhersteller. Das weckt Begehrlichkeiten: Der US-Investor KKR will den niederländischen Produzenten Accell übernehmen - und die zersplitterte Branche weiter konsolidieren.
In die mittelständisch geprägte und wenig konzentrierte Branche der europäischen Fahrradhersteller kommt zunehmend Bewegung. Ein Konsortium um die New Yorker Beteiligungsgesellschaft KKR (Kravis, Kohlberg und Roberts) will für insgesamt 1,56 Milliarden Euro den börsennotierten niederländischen Hersteller Accell Group mit Marken wie "Batavus" und "Sparta" kaufen.
Der Finanzinvestor bietet den Accell-Aktionären je Aktie 58 Euro in bar, was einem Aufschlag von 26 Prozent zum Schlusskurs am Freitag entspricht. Die beiden Großaktionäre von Accell unterstützten das Angebot. Es biete einen "überzeugenden und unmittelbaren Wert" für die Anleger und helfe dem Unternehmen bei der strategischen Entwicklung. Die Accell-Aktien schossen daraufhin um 25 Prozent in die Höhe.
Milliarden schwerer Wirtschaftsfaktor
Der Einstieg von KKR kommt Experten zufolge nicht überraschend, geschieht er doch mitten im weltweiten Boom der Fahrradbranche. Die ist längst zu einem milliardenschweren Markt geworden, auf dem sich sehr viel Geld verdienen lässt. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) beziffert den Umsatz mit Fahrrädern und E-Bikes im Jahr 2020 allein in Deutschland auf rund 6,4 Milliarden Euro - 64 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Speziell Elektrofahrräder erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und konnten ihren Marktanteil auf fast 40 Prozent steigern. Besonders die Corona-Pandemie hat den Verkaufszahlen von Fahrrädern einen neuen Schub verliehen. Das Fahrrad habe vielen Menschen in der Pandemie ermöglicht, sich im Freien und mit Abstand bewegen zu können, so Branchenbeobachter.
Durchschnittspreis drastisch gestiegen
Der Trend zum Elektrofahrrad, einem hochwertigen Trekking-Rad oder einem Lastenrad hat auch den Durchschnittspreis weiter in die Höhe getrieben: von 756 Euro im Jahr 2018 auf 982 Euro 2019. 2020 erhöhte er sich nochmal um 38 Prozent auf 1279 Euro pro Rad.
Zwar kommen nach wie vor die meisten in Deutschland verkauften Fahrräder aus Billiglohnländern wie Kambodscha (22 Prozent) oder Bulgarien und Bangladesch (jeweils acht Prozent). Doch die Importe gehen zurück, zugunsten teurer Räder made in Germany. Dass im vergangenen Jahr etwas weniger Fahrräder verkauft wurden als im Vorjahr - genaue Zahlen liegen noch nicht vor - liegt nicht an der gesunkenen Nachfrage sondern am lieferbedingt geschrumpften Angebot, erklärt der Branchenverband.
Die Nachfrage nach dem Fahrrad als kostengünstiges "Null-Emissions-Fahrzeug und zunehmend wichtigem Baustein moderner Mobilitätskonzepte" bleibe ungebrochen, ist Burkhard Stork, Geschäftsführer des Branchenverbandes ZIV überzeugt. Zudem seien viele Menschen wegen der Pandemie vom öffentlichen Nahverkehr auf E-Bikes umgestiegen. Die Aussichten für nicht-motorisierte und motorisiere Zweiräder blieben daher grundsätzlich positiv, so der ZIV. Das sehen die großen Hersteller offenbar ebenso.
Pon gegen Accell
Dass sich in der Branche viel Geld verdienen lässt, hat der niederländische Milliardär Wijnand Pon bereits vor Jahren erkannt. Er übernahm 2012 den nach eigener Aussage umsatzstärksten deutschen Fahrradhersteller Derby Cycle aus dem niedersächsischen Cloppenburg, mit seinen Marken Kalkhoff, FOCUS und Raleigh. Das Unternehmen produziert jährlich mehrere hunderttausend Räder, davon mehr als 100.000 E-Bikes. Zum Reich von Pon gehört auch der niederländische Hersteller Gazelle, der von 1987 bis 2001 zu Derby Cycle gehörte.
Aktuelle Umsatzzahlen nennt der Eigentümer nicht. 2019, als Pon auch die angesagte Elektrolastenradmarke Urban Arrow kaufte, wuchs die Fahrradsparte der Holding um elf Prozent auf 875 Millionen Euro. Den Versuch, den größten heimischen Rivalen Accell zu übernehmen, musste Pon Anfang dieses Jahres aufgeben und stieß die Aktien ab. Die Unternehmen konnten sich nicht einigen. Accell lehnte das Übernahmeangebot in Höhe von 845 Millionen Euro ab. Im Fall einer Fusion mit Pon wäre der größte Radhersteller der Welt entstanden.
Denn Accell ist eigenen Angaben zufolge nicht nur die Nummer eins in den Niederlanden, sondern auch der größte Fahrradhersteller Europas mit Produktionsstandorten in den Niederlanden, Deutschland, Finnland, Frankreich, Belgien und Ungarn. Mit seinen zahlreichen Marken wie Batavus, Winora und Lapierre hat Accell bis heute die Nase weiter vorn. Beflügelt vom Corona-Schub, steigerte das Unternehmen 2020 seinen Umsatz um 17 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Pon bleibt dem Branchenprimus aber auf den Fersen. Im Oktober 2021 schnappte er sich für umgerechnet 700 Millionen Euro die Fahrrad-Tochter des kanadischen Mischkonzerns Dorel.
Belgier schnappen sich Koblenzer Canyon
Neben dem US-Investor KKR hat auch die belgische Beteiligungsgesellschaft Groupe Bruxelles Lambert (GBL) ihr Interesse an der Fahrradbranche entdeckt. Sie setzte sich Ende 2020 in einem Bieterprozess um den Koblenzer Rennrad-Hersteller Canyon durch und soll dafür, inklusive Schulden, 800 Millionen Euro gezahlt haben. Ein Blick auf die Zahlen von Canyon erklärt, warum die Belgier Canyon unbedingt haben wollten. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben weltweit führend im "Direct to consumer"-Markt. Der Umsatz wuchs in den vergangenen sieben Jahren um jährlich durchschnittlich 25 Prozent und erreichte zuletzt gut 400 Millionen Euro.
Die Entwicklung zeigt, dass die Zahl eigenständiger, mittelständisch geprägter Fahrradhersteller mittelfristig weiter abnehmen dürfte - zu Gunsten größerer Firmen, die mit Hilfe finanzkräftiger Investoren in der Lage sind, ihre Räder in der ganzen Welt zu verkaufen. Welthauptstadt des Fahrrads soll dabei nach den ehrgeizigen Plänen von KKR und Accell die Region um Amsterdam werden.