Klage gegen Euro-Hilfen Wie solidarisch darf Deutschland sein?
Vor dem Verfassungsgericht hat die Verhandlung über Euro-Rettungsschirm und Griechenlandhilfe begonnen. Mehrere Gruppen halten beides für verfassungswidrig - darunter Professoren um den Ökonomen Joachim Starbatty. Auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler klagt: Unter anderem sei der Bundestag nicht ausreichend einbezogen worden und die EU werde zu einer "Haftungs- und Transfergesellschaft", meint er. Mit einem Urteil wird innerhalb von drei Monaten gerechnet.
tagesschau.de sprach mit dem Augsburger Staatsrechtler Rossi über den Sinn der Klage und seine Erwartungen an das Urteil.
tagesschau.de: Was halten Sie von der Klage?
Matthias Rossi: Ich halte die Klage für gerechtfertigt. Man sollte die Kläger nicht einfach als "Euro-Rebellen" abqualifizieren. Viele verfassungs- und europarechtliche Fragen sind jetzt schon offen. Und was ab 2013 kommen soll, ist ja noch nicht einmal Gegenstand der Klage. Deswegen ist es begrüßenswert, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt darüber entscheidet – damit da künftig Klarheit herrscht.
tagesschau.de: Die Kläger sprechen unter anderem von einer "Haftungs- und Transfergesellschaft", die sich entwickelt habe …
Rossi: Konkret geht es darum, ob das Europarecht eine Einstandspflicht oder eben das Verbot einer Einstandspflicht enthält - ob die Starken also den Schwachen helfen müssen oder genau das nicht dürfen. Ein ganz klares Verbot, füreinander einzustehen, gibt es im Europarecht jedenfalls nicht. Es gibt zwar die Bail-Out-Klausel, …
tagesschau.de: … also das Verbot, die Schulden eines Mitgliedsstaates zu übernehmen, um laxe Haushaltspolitik nicht zu fördern …
Rossi: … aber die EU kennt viele Transferleistungen. Zum Beispiel im Agrarbereich, der Kohäsionsfonds, die transeuropäische Netzpolitik - also alles, was mit Infrastruktur zu tun hat. Es war sogar ausdrücklich gewollt, dass Spanien, Portugal oder später die osteuropäischen Länder auf den gleichen Stand kommen. Das lässt sich alles unter dem Oberbegriff "Solidaritätsgebot" zusammenfassen - und jetzt ist eben die Frage, wie weit dies reicht.
Man muss aber auch sagen: Weder Deutschland noch den Klägern kann es etwas nutzen, das Recht zwar einzuhalten - damit aber die EU an die Wand zu fahren.
Pflöcke für die Haushaltsautonomie
tagesschau.de: Ein Punkt, der das Gericht besonders interessieren wird, ist die Haushaltsautonomie des Bundestags. Die sehen die Kläger verletzt.
Rossi: Hier wird das Verfassungsgericht wohl Pflöcke einschlagen. Es wird klarmachen, dass das Budgetrecht beim Parlament liegt - und nicht bloß sozusagen ein Widerhall der regierungstragenden Parlamentsmehrheit sein soll. Das Parlament muss so früh umfangreich informiert werden, dass es ausreichend Zeit hat, sich über so folgenreiche Entscheidungen Gedanken zu machen.
Formal wurde dem Budgetrecht zwar Rechnung getragen - Union und FDP haben ja für den Rettungsschirm gestimmt, SPD und Grüne sich enthalten. Aber das Gericht wird darauf pochen, dass das Parlament hier auch inhaltlichen Einfluss hat. Und über die Konstruktion, dass das Wahlrecht eine Art subjektives Recht auf Demokratie ist, wird es wohl auch feststellen, dass die individuellen Rechte der Kläger verletzt wurden - was bei einer Verfassungsklage notwendig ist.
Abstimmung zu jeder Tranche "aberwitzig"
tagesschau.de: Die Kläger wollen auch, dass der Bundestag jede Tranche abnickt. Ist das praktikabel?
Rossi: Klipp und klar gesagt: Das ist nicht praktikabel, weil das in erster Linie die Bundesregierung einschätzen muss. Sie hat erstens in den Ministerien den besseren Sachverstand. Außerdem muss sie ihre Politik hier mit den anderen Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission abstimmen.
Es ist aberwitzig zu glauben, dass das Parlament hier noch massiven Einfluss nehmen könnte. Das ist bei völkerrechtlichen Verträgen übrigens im Grunde auch Standard.
tagesschau.de: Zwei weitere Punkte in der Klage: Der Schutz des Eigentums und die Schuldenbremse würden missachtet …
Rossi: Zum Eigentumsschutz muss man sagen: Das Grundgesetz schützt nicht vor einer gewissen Preisschwankung. Sonst wäre jede Wirtschafts- und Finanzpolitik von Klagen der Bürger bedroht. Darüber wird das Gericht wohl schnell hinweggehen.
Und die Schuldenbremse bedeutet ja, dass das Parlament bestimmte Neuverschuldungen und absolute Verschuldungen nicht überschreiten darf. Aber wie es diesen Verschuldungsrahmen aufteilt - ob es sagt, ich bin bereit, innerhalb der Verschuldung soundsoviel für Griechenland zur Verfügung zu stellen - das ist dann doch die politische Entscheidung des Gesetzgebers. Der muss sich dann eben politisch rechtfertigen, wenn er dafür beispielsweise Sozialausgaben kürzt.
Rüge ja - aber keine Rückforderung?
tagesschau.de: Im Herbst werden die Richter voraussichtlich ihr Urteil verkünden. Was kommt am Ende heraus?
Rossi: Das Gericht wird wie gesagt die Verletzung parlamentarischer Rechte feststellen - und rügen. Aber: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Gericht daraus schlussfolgert, dass die bisherigen Zahlungen verfassungswidrig sind und zurückgefordert werden müssen - oder Deutschland aus dem Rettungsschirm aussteigt.
Ich kann mir Regeln nur für die Zukunft vorstellen. Das klingt vielleicht etwas paradox - ist es aber eigentlich nicht. Die Richter sagen oft: Hier liegt zwar ein Fehler vor - aber wir können das Kind jetzt nicht wieder aus dem Brunnen holen, sondern müssen dafür sorgen, ähnliche Fehler in der Zukunft zu vermeiden.
Das Gericht ist eben auch ein politisches Organ. Es wird dementsprechend auch die politischen Konsequenzen seiner Entscheidung bedenken müssen. Das müssen auch die Kläger wissen.
tagesschau.de: In anderen Ländern gibt es keine entsprechenden Klagen. Warum tobt die Debatte vor allem in Deutschland?
Rossi: In Deutschland können auch Einzelkläger zum Bundesverfassungsgericht gehen. Das ist nicht in allen Ländern so. Aber noch mal: Ich finde nicht, dass man das den Klägern vorwerfen kann - oder dass das einer deutschen Mentalität entspricht.
Die Deutschen sorgen sich vielleicht etwas mehr davor, dass Griechenland kein Einzelfall ist - dann wäre man vielleicht tatsächlich solidarischer -, sondern befürchten, dass diese Einstandspflicht auch für andere Staaten gilt. Die Sorge ist auch deshalb größer, weil Deutschland nun mal zu den wirtschaftsstärksten Staaten gehört - und damit auch zu den Zahlern.
Das Interview führte Fabian Grabowsky, tagesschau.de.