Staatsbeteiligung Wie sinnvoll ist die Rettung der Meyer Werft?
Bundeskanzler Scholz will per Staatsbeteiligung die Meyer Werft retten - und nennt den Luxusschiffsbauer gar systemrelevant. Doch wie wichtig kann ein Kreuzfahrtunternehmen wirklich sein?
Seit 228 Jahren baut die Meyer Werft mit Hauptsitz im niedersächsischen Papenburg Boote: Erst Holzsegelschiffe, später eiserne Schlepper, inzwischen hat sich das Unternehmen auf Luxuskreuzfahrtschiffe spezialisiert. Immer wieder hat der Schiffsbauer Krisen getrotzt und sich neuen Anforderungen angepasst.
Doch zuletzt stand das traditionsreiche Unternehmen trotz aller Anpassungsfähigkeit am Abgrund. Das Unternehmen hatte es nicht nur mit einer Herausforderung, sondern gleich mehreren Krisen zu tun: Erst brach in der Pandemie die Nachfrage nach den schwimmenden Luxusferienresorts ein. Dann explodierten auch noch die Preise für Energie und Rohstoffe. Das Unternehmen beziffert seine Finanzierungslücke auf zuletzt 2,7 Milliarden Euro.
Eine Luxuslinerwerft wird befristet zum Staatsbetrieb
Am Donnerstag sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Bundesregierung und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu, das Unternehmen zu retten, indem sich der Staat bis 2027 beteiligt. "Der Bund trägt seinen Teil zur Lösung bei", sagte Scholz vor Teilen der Belegschaft. Und adelte Meyer Werft, indem er ihn als systemrelevant für die maritime Wirtschaft bezeichnete.
Der deutsche Staat war in der Vergangenheit immer wieder in angeschlagenen Unternehmen eingestiegen: Beispiele sind die Commerzbank, Opel, TUI oder Lufthansa. Teils wurde damals argumentiert, dass diese Betriebe systemrelevant seien.
Warum rettet der Staat ein Privatunternehmen?
Doch wie systemrelevant können Kreuzfahrtschiffe sein? Zwar hat die Meyer Werft in diesem Jahr erstmals auch Komponenten für ein Tankschiff der Marine ausgeliefert und baut immer wieder Erkundungsschiffe für die Forschung. Doch der Schwerpunkt des Betriebs sind Luxusliner für touristische Zwecke.
Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht die Staatshilfen kritisch: "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, angeschlagene Privatunternehmen vor der Insolvenz zu retten", sagte der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts der Nachrichtenagentur Reuters. Der Umstand, dass Meyer auch Kriegsschiffe baue, könne allenfalls eine Stützung dieses Teils der Werft rechtfertigen - nicht aber die Förderung der Produktion von Kreuzfahrtschiffen.
"Staatliche Rettungen kann man allenfalls in Situationen gesamtwirtschaftlicher Krisen rechtfertigen, in denen Kapitalmärkte gestört sind", sagte Fuest. Das sei derzeit aber nicht gegeben. Ansonsten urteilt er: "Wenn das Geschäftsmodell aussichtsreich ist, werden sich private Investoren finden."
Zentrales Motiv: Arbeitsplätze sichern
Auch Ökonom Max Johns von der Hamburg School of Business Administration stellte auf tagesschau24 klar: Bei der Rettung der Meyer Werft gehe es nicht um Fragen der nationalen Sicherheit. "Deutschland würde sehr gut überleben, auch ohne so eine Werft."
Doch ohnehin gebe es nicht nur diesen Grund für die Staatsbeteiligung, sagt der Experte für die Schifffahrtsbranche: "Der Staat kann sinnvollerweise aus drei Gründen einsteigen: Um Arbeitsplätze, Technologie oder die Sicherheit des Landes zu sichern." In dem Fall Meyer sieht er den Punkt drei als gegeben an: Arbeitsplätze sichern.
Schiffbau hat starke inländische Wertschöpfung
Denn alleine am Standort Papenburg arbeiten weiter mehr als 3.000 Beschäftigte. Die Arbeitsplätze sind zudem verhältnismäßig gut bezahlt, denn das Unternehmen zahlt nach Tarif. In der ansonsten eher strukturschwachen Gegend ist das ein enormer Wirtschaftsfaktor.
Dazu kommen Tausende weiterer Jobs, die im Inland und der Region an der Werft hängen. Denn die Schiffsbauindustrie setzt traditionell stark auf inländische Zulieferer. Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik e. V. (VSM) schätzt den Anteil der innerdeutschen Wertschöpfung in der Schiffsbaubranche auf mehr als 70 Prozent.
Niedersachsens Ministerpräsident Weil sagte, es gehe deutschlandweit um 17.000 Stellen, die direkt oder indirekt von dem Weiterbestehen von Meyer Werft abhingen.
Ökonom: Werft kann durch Staatseinstieg auf die Beine kommen
Wirtschaftsprofessor Johns glaubt, dass sich der Einstieg lohnen kann: "An sich ist das Unternehmen gut aufgestellt. Das Auftragsbuch ist gut gefüllt und es war auch die letzten Jahre. Zudem hat es hier viele Modernisierungen die letzten Jahre gegeben." Es liege nicht am Unternehmen oder den Arbeitern, dass es derzeit eine Krise gibt.
Das Problem sei vielmehr eine Finanzierungslücke: Die Pandemie hat die Kreuzfahrtindustrie weltweit heftig zugesetzt. Dann kamen die steigenden Preise." Dazu kommt eine spezifische Konstellation in der Schiffsbaubranche, da die Werften üblicherweise zu rund 80 Prozent in Vorleistung gehen. "Wird diese Überbrückung gestellt, glaube ich daran, dass die Werft wieder profitabel werden kann.
Nach Angaben von Meyer Werft aus dem August stehen im Auftragsbuch aktuell zehn Kreuzfahrtschiffe, ein Forschungsschiff sowie der Stahlbau von vier Offshore-Konverterplattformen im Gesamtwert von elf Milliarden Euro.
Steigende Nachfrage nach Kreuzfahrten
Rückenwind kommt auch von einer deutlich gestiegenen Nachfrage nach Kreuzfahrten. Laut Spitzenverband Cruise Lines International Association (CLIA) haben im vergangenen Jahr fast 31 Millionen Menschen eine Kreuzfahrt unternommen. Das sind sieben Prozent mehr als 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Experten gehen davon aus, dass das Interesse an diesen Reisen sogar noch wachsen dürfte.
Der wichtigste Absatzmarkt für Kreuzfahrten weltweit ist nach den USA Deutschland. Hierzulande machten laut CLIA im vergangenen Jahr 2,5 Millionen Menschen Urlaub auf Deck.
Ökonom Rudolf Hickel von der Universität Bremen betont bei tagesschau24, dass die Meyer Werft weltweit eine zentrale Rolle für den Bau von entsprechenden Luxuslinern spiele: "Außer in Frankreich und Italien wird so etwas in keinem anderen Land der Welt gebaut." In Asien seien Personalkosten zwar günstiger, doch dort könnten solche Boote gar nicht gebaut werden. Ein Grund sei, dass es in Deutschland eine starke Zulieferindustrie gebe.
Eine weitere Krise darf es nicht geben
Allerdings sagt Johns auch: "Es darf nicht wieder eine Krise dazwischenkommen." Als Risiko sieht er einen Nachfrageeinbruch durch Kriege, Rezessionen oder eine neue Pandemie.
Und: Ob es langfristig unbedingt einen deutschen Kreuzfahrtschiffsbauer geben müsse oder ob nicht eine Fusion mit einer anderen Werft infrage komme, stehe auf einem anderen Blatt. "Ein Kronjuwel muss man nicht unbedingt im Land halten, wir sind ja keine Monarchie." Voraussetzung sei aber, dass dann die deutschen Standorte erhalten bleiben.
Und genau dafür sei nun die Überbrückungshilfe durch den Staat eine Chance. Johns: "Die staatlichen Investitionen, die jetzt reinkommen, würden solche Gespräche überhaupt erst ermöglichen."