IW-Studie Viele im Osten sehen wirtschaftliche Lage düster
Viele Ostdeutsche bewerten die ökonomische Lage in ihrer Heimatregion pessimistischer als es den Tatsachen entspricht - trotz wirtschaftlicher Aufholprozesse. So lautet das Ergebnis einer IW-Studie.
Viele Ostdeutsche bewerten die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Region tendenziell negativer, als es der tatsächlichen Lage entsprechen würde. Das gelte zwar auch für Westdeutsche, aber Lage und Wahrnehmung fallen dort weniger weit auseinander. Das geht aus einer Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) unter fast 5.500 Personen hervor. Im Fokus der Studie stehe die Frage, ob es sich gerade bei den ländlichen Regionen in Ostdeutschland tatsächlich um abgehängte Regionen handele oder ob diese von ihren Einwohnern nur als solche wahrgenommen würden, so das IW.
Dabei konstatieren die IW-Fachleute, dass sich während der vergangenen zehn Jahre in Ostdeutschland ein klarer wirtschaftlicher Aufholprozess zum Westen beobachten lasse. Sowohl beim Abbau der Arbeitslosigkeit als auch bei der Lohnentwicklung seien Ost und West näher zusammengerückt, heißt es in der Studie. So liegt etwa die Arbeitslosenquote in Sachsen und Thüringen deutlich unter der in Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland.
Aufsteigerregion oder abgehängt?
"Die Aufholprozesse würden von den Menschen in Ostdeutschland nur in geringem Maße wahrgenommen", schreiben die IW-Experten dazu. So gebe trotz des deutlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit nicht einmal ein Drittel der ostdeutschen Befragten in der IW-Personenbefragung 2024 an, mit der Entwicklung auf dem heimischen Arbeitsmarkt während der vergangenen zehn Jahre zufrieden zu sein. Ein Drittel sei sogar explizit unzufrieden.
Diese negative Wahrnehmung finde sich ebenso, wenn die Befragten die Wohnregion unterschiedlichen Regionstypen zuordnen sollten. Dabei konnten die Befragten aus den Kategorien Boom, Aufsteiger, Stagnierend und Abgehängt wählen. "Gerade einmal jeder fünfte Ostdeutsche kategorisiert seinen Wohnort der objektiven Entwicklung entsprechend als Aufsteigerregion", stellen die Studienautoren fest. Fast die Hälfte der Befragten in ostdeutschen Aufsteigerregionen meine, ihre Wohnregion stagniere. 21 Prozent nähmen sogar in einer Aufsteigerregion wahr, in einer abgehängten Region zu leben.
In Westdeutschland sei der Anteil, der die Entwicklung in einer Aufsteigerregion auch subjektiv als positiv (Aufsteiger oder Boom) bewerte, etwas höher als in Ostdeutschland. Zudem liege der Anteil derer, die jene Regionen in Westdeutschland als abgehängt beurteilen, bei rund 15 Prozent verglichen mit den 21 Prozent im Osten. "In westdeutschen Boomregionen wird die positive Entwicklung am stärksten als solche wahrgenommen. Aber selbst in diesen Regionen teilt knapp 10 Prozent das Empfinden, in einer abgehängten Region zu leben", so die Studie.
Insgesamt halten 21 Prozent der Ostdeutschen ihren Landkreis oder ihre Stadt für abgehängt. Im Westen liegt der Anteil mit zehn Prozent weniger als halb so hoch. Umgekehrt halten nur neun Prozent der Ostdeutschen ihre Stadt oder ihren Landkreis für eine Boomregion, während es im Westen 20 Prozent sind. In beiden Landesteilen bezeichnet jeweils etwa die Hälfte ihre Heimatgegend als stagnierend, etwa ein Fünftel als aufsteigend.
"Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit"
Das IW sieht in der demografischen Entwicklung einen Erkläransatz für den in Ostdeutschland größer ausgeprägten Pessimismus: "Zum einen schlagen hier die zunehmende Alterung, zum zweiten die Abwanderung zu Buche und könnten entsprechende Erfolge überstrahlen", sagte IW-Studienautor Matthias Diermeier der Nachrichtenagentur Reuters. Mit Ausnahmen einiger Städte wie Leipzig, Dresden oder dem Berliner Umland leide der Osten unter Bevölkerungsschwund. Die Einwohnerzahl der ostdeutschen Kreise ist danach allein von 2012 bis 2022 im Mittel um 2,2 Prozent geschrumpft, während die westdeutschen um 4,5 Prozent gewachsen sind.
Der ökonomische Pessimismus sei in schrumpfenden Regionen des Ostens zugleich besonders ausgeprägt: 80 Prozent der Befragten unterschätzen dort der Studie zufolge die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Wohnregion, im Westen sind es 51 Prozent, das sind jeweils über 20 Prozentpunkte mehr als in den wachsenden Regionen.
"Populistische Parteien machen sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit natürlich zunutze", sagte IW-Forscher Diermeier. "Wirtschaftlicher Pessimismus spiegelt sich in einer stärkeren Neigung zu politischen Rändern wider, sprich AfD und BSW."
"Gefahr einer Abwärtsspirale"
Das sei kein rein ostdeutsches Phänomen, so Diermeier. Nur würden dort die meisten schrumpfenden Regionen liegen. "Die schwachen Regionen laufen Gefahr, in eine Abwärtsspirale hineinzugeraten", warnte der Experte. "Wenn sich dort Abwanderung und wirtschaftlicher Pessimismus verfestigen und populistische Parteien an den Rändern noch stärker werden, dann wird es sehr schwer, Fachkräfte aus anderen Regionen oder aus dem Ausland anzulocken."
Die AfD hat laut Umfragen die Chance, bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September zur stärksten Partei aufzusteigen. "Insbesondere die AfD lebt davon, apokalyptische Untergangsszenarien zu zeichnen, egal ob beim Arbeitsmarkt, der Energiewende oder der Migration", sagte der Forscher. "Sie zerredet wirtschaftliche Erfolge. Das schwächt das Vertrauen in die handelnden politischen Akteure und letztlich in die Region. Wirtschaftliche Erfolge sollten daher ebenso klar benannt werden wie die vorherrschenden Schwierigkeiten, rät IW-Forscher Diermeier.