Kohlekompromiss "Damit ist es nicht getan"
Der Ausstieg aus der Kohleenergie ist beschlossen. Das richtige Signal, meint Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima. Doch die wirkliche Arbeit komme erst jetzt und es drohten viele Fehler.
tagesschau.de: Der Kompromiss der Kohlekommission wird wohlwollend begrüßt. Wie realistisch sind die Pläne, bis 2038 komplett aus der Kohle auszusteigen?
Manfred Fischedick: Der Zeitraum ist absolut machbar: Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist nicht gefährdet und der Zeitrahmen ist groß genug für die Unternehmen. Aber damit ist es nicht getan, die Bundesregierung muss jetzt liefern und einen Plan erarbeiten.
ts.de: Den Einstieg vom Ausstieg gestalten?
Fischedick: Sie muss ein klares Handlungsprogramm aufstellen. Dafür müssen die erneuerbaren Energien in Deutschland ausgebaut werden - mindestens auf das Maß, was sich die Bundesregierung selbst vorgenommen hat: 65 Prozent bis 2030. Außerdem muss das Netz parallel ausgebaut werden, damit der Strom aus erneuerbaren Energien überhaupt jede Steckdose erreichen kann. Zur Zeit ist das noch eine Art "Flaschenhals".
Und: Der Kompromiss muss im Staatsvertrag aufgenommen werden. Damit die Beschlüsse unabhängig von Regierungen und Legislaturperioden verpflichtend umgesetzt werden. Nicht, dass wir in drei Jahren, wenn eine andere Regierung am Zug ist, wieder vor den gleichen Problemen stehen.
ts.de: Welche Risiken gibt es beim Kohleausstieg?
Fischedick: Was jetzt nicht passieren darf ist, dass Kraftwerke vom Netz genommen werden, aber die verbleibenden Kohlekraftwerke einfach mehr produzieren. Das nennen wir "Rebound-Effekt". Für den Klimaschutz ist entscheidend, dass bis 2030 die Stromerzeugungsmenge signifikant verringert wird.
Und eine weitere Gefahr: Deutschland ist eingebunden in ein europäisches Emissionshandelssystem. Wer CO2 produziert, muss dafür ein Zertifikat erwerben; wer CO2 einspart, kann anderen seine Emissionsrechte verkaufen. Mit dem deutschen Ausstieg müssen die zugehörigen Emissionszertifikate stillgelegt werden.
ts.de: Das ist seit gewisser Zeit gesetzlich möglich?
Fischedick: Ja, das geht. Denn es darf nicht passieren, dass Deutschland die Kohlekraftwerke schließt, aber Polen und Tschechien dann die Lücke füllen und Werke bauen. Dann entsteht ein Verschiebebahnhof, wenn wir da nicht eingreifen. Am Ende des Tages muss weniger CO2 ausgestoßen werden.
40 Milliarden Euro Hilfen sollen die Kohleregionen Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg für den Strukturwandel erhalten.
ts.de: Kommt der Ausstieg - mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen - zu spät?
Fischedick: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre muss gesenkt werden. Das ist klar. Bislang wurde das Problem verschleppt - da ist es schon ein positives Signal, dass sich die Kohlekommission geeinigt hat. Dabei ist nicht das Datum entscheidend, sondern die Frage, wie der Weg des Ausstiegs dorthin gestaltet ist. Aber im Sinne des Pariser Klimaabkommens (Anm. d. Red.: Erderwärmung deutlich auf unter 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter senken) hätte man höhere Ziele stecken müssen. Deshalb ist es auch wichtig, den Kohleausstieg regelmäßig zu überprüfen. Der Druck darf nicht nachlassen.
ts.de: Welche Aufgaben müssen die Energieunternehmen übernehmen?
Fischedick: Sie können sich freuen, dass sie nun die Rahmenbedingungen kennen: Sie haben Planungssicherheit über einen ausreichenden Zeitraum von 20 Jahren. Diesen Zeitraum müssen sie nun nutzen, um proaktiv die Transformation anzustoßen. Wie können sie neue Geschäftsfelder erschließen und dabei auch ihre Belegschaft mitnehmen? Umdenken. Dass sie die Kohle so lange wie möglich nutzen wollen, wissen wir. Die Unternehmen müssen nun aus der Verweigerungshaltung herauskommen.
ts.de: Strompreiskompensation, Entlastungen für Privathaushalte, Strukturhilfe und Entschädigungen für Beschäftigte - das sind Milliardenkosten für den Staat.
Fischedick: Das ist eine politische Entscheidung, auf Braunkohle verzichten zu wollen, dann muss das auch die Politik tragen. Dabei fallen in den betroffenen Regionen Arbeitsplätze weg. Dann müssen die Regionen bei dieser Umstellung auch unterstützt werden. Einige Regionen wie die Lausitz sind ohnehin schon Leidtragende der Wiedervereinigung, nun kommt auch noch der Kohleausstieg. Das ist ein enormer Strukturwandel, der da gestemmt wird. Wie können neue Arbeitsplätze entstehen? Bei der Suche nach Antworten braucht die Region finanzielle Unterstützung.
Zudem darf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieunternehmen nicht gefährdet werden. Da ist es sinnvoll, für Unternehmen die Netzentgelte zu reduzieren und Kompensation für hohe CO2-Zertifikate zu zahlen. Das wird ohnehin schon seit einigen Jahren gemacht, um die Industrie im Land zu halten.
ts.de: Und wie sieht es für Verbraucher und Verbraucherinnen aus?
Fischedick: Problematisch ist es bei Privathaushalten. Bisher ist noch gar nicht klar, ob es zu einem Strompreisanstieg kommt. Und wenn ja, hielte ich es für viel sinnvoller, das mit Energieeffizienzmaßnahmen zu koppeln. Heißt: Statt einfach Gelder auszuschütten, würden Bürger beim Stromsparen unterstützt.
Mit einem intelligenten Bonus-Programm könnte der Kauf von energiesparenden Kühlschränken, Kühltruhen, Heizungen oder Lampen unterstützt werden. Dann ist vielleicht die Kilowattstunde Strom teurer, aber es würde weniger verbraucht und der Bürger müsste so nicht mehr zahlen.
Denn den Verbraucher interessiert doch die Stromrechnung am Ende, ob da 100 oder 120 Euro steht. Das wäre die große Chance, an der Energieeffizienz zu arbeiten. Ein Faktor, der bislang vernachlässigt wird.
ts.de: Ist Deutschland mit dem Kohlekompromiss auf einem guten Weg?
Fischedick: Der Konsens ist schön und gut, es gibt aber keinen Anlass zum Zurücklehnen. Die Energieversorgung trägt zu ungefähr einem Drittel zur Treibhausgasemission in Deutschland bei, allein damit werden wir das Problem nicht lösen.
Ich sehe ein riesiges Problem beim Verkehr, da müssen wir jetzt mit gleicher Intensität einen ähnlichen Kompromiss erarbeiten. Die Bundesregierung ist jedoch weit davon entfernt, in die richtige Richtung zu marschieren. Auch im Industriesektor und bei Gebäuden passiert bislang viel zu wenig.
Das Interview führte Judith Pape, tagesschau.de.