Beratungen im Bundesrat Länder machen Druck beim Industriestrompreis
Ein subventionierter Industriestrompreis ist umstritten - in der Bundesregierung, aber auch in der Wirtschaft. Die Länder hingegen stellen sich einstimmig hinter die Idee und beraten heute im Bundesrat.
Sechzehn zu Null - in Sachen Industriestrompreis sind sich die Länder einig. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass die Kosten für eine solche Unterstützung allein vom Bund getragen werden müssten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits im Mai ein Konzept mit einem Preisdeckel von sechs Cent je Kilowattstunde Strom für energieintensive Unternehmen vorgelegt, den Rest würde der Staat übernehmen. Die Kosten - bis zu 30 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 - will der Grünen-Politiker aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds übernehmen, aus dem bereits die Energiepreisbremsen bezahlt werden. Was freilich auf erbitterten Widerstand bei Christian Lindner (FDP) stößt: Der Finanzminister hält eine Ausweitung des Verwendungszwecks für verfassungswidrig und erwartet zudem Probleme mit dem EU-Beihilferecht.
Scholz: Bislang keine überzeugende Lösung
Auch der Bundeskanzler ist skeptisch. Bereits im August hatte Olaf Scholz vor Unternehmern gesagt: "Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne können wir uns nicht leisten." Zu überlegen wäre allenfalls eine Unterstützung in Einzelfällen, zur Überbrückung, so der SPD-Politiker in dieser Woche im Gespräch mit der "Wirtschaftswoche". Bisher gebe es aber noch keine Lösung, die alle überzeugt habe. "Mich eingeschlossen", so Scholz wörtlich.
Dabei versuchen gerade viele Industrievertreter Überzeugungsarbeit zu leisten. BDI-Präsident Siegfried Russwurm wies beim Klimakongress seines Verbands am Dienstag darauf hin, dass es lediglich um eine kleine Gruppe betroffener Unternehmen gehe: Unternehmen, die zum einen besonders stark von den hohen Strompreisen betroffen seien und zum anderen im internationalen Wettbewerb stünden.
Christian Hartel, Vorstandschef der Wacker Chemie, betonte ebenfalls auf dem Klimakongress, dass die Unterstützung nur für wenige Jahre notwendig sei. Strom werde spätestens in den 2030er-Jahren günstiger sein und in größeren Mengen zur Verfügung stehen - "dann läuft die Transformation von alleine", so Hartel. Um anzufügen: "Nur: Ich würde gerne die 30er-Jahre erleben."
Dramatische Warnungen vor Betriebsschließungen und Standortverlagerungen wurden auch am Mittwoch beim Chemie-Gipfel im Kanzleramt artikuliert. Er nehme entsprechende Signale wahr, so Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis von der IG BCE. Und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) sagte: "Es ist fünf vor zwölf für die Chemie und andere energieintensive Betriebe."
Ökonomen sehen deutliche Nachteile
Trotz solch deutlicher Warnungen: Die meisten Ökonomen sind kritisch. Das wurde beispielsweise bei der Präsentation des Herbstgutachtens der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute deutlich. Ein subventionierter Strom wäre ein Irrweg, heißt es da. Dabei bestreiten die Ökonomen auch eine Grundannahme der Befürworter eines Industriestrompreises: "Da die Stromproduktion in Deutschland dauerhaft teurer bleiben dürfte als in anderen Ländern, würde der notwendige Strukturwandel aufgehalten."
Zudem wäre die Unterstützung der Industrie mit Nachteilen für viele andere verbunden, so Professor Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Saale): Durch eine künstliche Verbilligung werde die Nachfrage nach Energie noch verstärkt, wodurch sich wiederum der Preis für alle anderen Unternehmen erhöhe. "Deshalb ist das aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive kein geeignetes Instrument", so Holtemöller.
Das ist ein Grund, warum die Meinungen auch innerhalb der Wirtschaft auseinandergehen. Die Verbände mittelständischer Unternehmen wehren sich vehement gegen einen subventionierten Industriestrompreis. So lobt der Verband der Familienunternehmen Bundeskanzler Scholz dafür, dem Druck der Chemiebranche und der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen standzuhalten. "Dafür gebührt ihm Anerkennung", so Marie-Christine Ostermann, die Präsidentin des Verbands. Entscheidend sei vielmehr, das Energieangebot so schnell wie möglich auszuweiten, um die Preise zu drücken.
Alternative 1: Stromsteuer senken
In der Politik wird auch längst über Alternativen oder eine mögliche Kombination verschiedener Maßnahmen nachgedacht. Eine allgemeine Senkung der Stromsteuer könnte allen helfen, Bürgern und Unternehmen. Sie käme den Bund aber noch teurer als ein Industriestrompreis - bislang nimmt der Bund damit rund acht Milliarden Euro ein. Möglich wäre auch, dass der Bund den sogenannten Spitzenausgleich für stromintensive Unternehmen, der eigentlich zum Jahresende auslaufen soll, doch nochmal verlängert.
Alternative 2: Spezielle Verträge für Unternehmen
Die FDP wiederum will Unternehmen unterstützen, die spezielle Verträge mit Anbietern erneuerbarer Energien abschließen, so genannte "Power Purchase Agreements" (PPA). Nach Worten des stellvertretenden FDP-Faktionsvorsitzenden Lukas Köhler könnte der Strom aus externen Energieparks genauso behandelt werden, wie wenn Solaranlagen oder Windräder direkt auf dem jeweiligen Betriebsgeländen stehen. Dann nämlich fallen fast alle Steuern und Umlagen weg. "Damit kommt man zu international konkurrenzfähigen Preisen und schafft zugleich ein höheres Energieangebot", so Köhlers Argument.
Das Problem: Solche zusätzlichen Energieparks müssen erst noch geschaffen werden - selbst bei Einhaltung des von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen "Deutschland-Tempos" würde das mindestens zwei Jahre dauern. Der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD), die den Entschließungsantrag zum Industriestrompreis in den Bundesrat eingebracht hat, reicht das aber nicht: Den massiven Ausbau erneuerbarer Energien hält sie natürlich auch für richtig. Aber bis es soweit sei, sei eine "Brücke" in Form eines verbilligten Industriestrompreises notwendig - "damit der Strom bis dahin bezahlbar bleibt". Dafür brauche die Wirtschaft jetzt ein starkes Signal. Die Bundesländer würden dafür in Brüssel und in Berlin werben - "und wir brauchen darauf eine schnelle Antwort".
Wirtschaftsminister Habeck freut sich über die Unterstützung der Länder. Die Wahrscheinlichkeit für die Einführung eines Industriestrompreises sieht er derzeit bei 50 Prozent.