Arbeitsplätze in einer leeren Industriehalle

Diskussion über Industriesterben "Wer mal weg ist, bleibt auch weg"

Stand: 10.02.2025 06:49 Uhr

Experten warnen schon seit Jahren vor einem Industriesterben. Auch im TV-Duell zur Bundestagswahl ging es darum, ob es eine "Deindustrialisierung" gibt. Wie groß ist die Gefahr?

Von Anne-Catherine Beck, ARD-Finanzredaktion

Mit seiner Logistikfirma Harder Logistics hilft Marcello Danieli Unternehmen dabei, ihre Standorte zu verlagern. "Manchmal sind es nur Maschinen oder Anlagen, teilweise aber auch komplette Produktionsstätten", erklärt er. Seit über 40 Jahren ist Danieli in der Branche tätig, er hat schon viele Firmen dabei begleitet, ihren Sitz zu verlagern.

Dabei stellt er eine klare Veränderung fest: "Damals sind die Firmen größtenteils innerhalb Deutschlands umgezogen. Heute verlagern wir 80 Prozent der Firmen ins Ausland." Die meisten davon wanderten nach Indien, Mexiko oder in die USA ab. Auch das sei nicht immer so gewesen, erklärt er: "Vor Corona war China besonders beliebt. Das hat sich geändert, China braucht uns inzwischen nicht mehr."

"Das finde ich sehr erschreckend"

Auch wenn sich Danieli vor Aufträgen kaum retten kann und sein Geschäft brummt, macht ihm diese Entwicklung Sorgen. "Immer mehr Unternehmen befinden sich gerade in einem aktiven Verlagerungsprozess oder denken zumindest darüber nach. Das finde ich sehr erschreckend."

Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bedauert diesen Prozess. "Ich bin jetzt seit über 30 Jahren als Ökonom tätig. Wir haben noch nie eine dermaßen lange Phase gehabt, in der die Industrieproduktion sinkt." Seit 2017 befindet sich die Industrieproduktion in einem Abwärtstrend.

Einen besonders großen Anteil an diesem Rückgang hatte zuletzt die Automobilbranche. "Ganz akut sind die Probleme in der Autoindustrie, bei den Zulieferern. Das Traurige daran ist, das sind häufig Mittelständler, die Deutschland grundsätzlich sehr treu sind und zum Teil schon in dritter Generation bei diesen Unternehmen arbeiten", beklagt Krämer.

Viele Faktoren als Hemmnisse

Weshalb die Unternehmen Deutschland zunehmend verlassen, weiß Danieli genau. Er ist fast täglich mit ihnen im Austausch: "Ich frage die Manager, die Geschäftsführer, die Inhaber immer, warum sie abwandern. Fast alle Unternehmen nennen die Bürokratie an erster Stelle, wie behördliche Prozesse oder Genehmigungsverfahren. Danach kommt die hohe Steuerlast. Wir sind nach Belgien das Land mit den höchsten Steuern weltweit. Und an dritter Stelle die Energiekosten."

Neben all der Probleme kritisiert Danieli die Rahmenbedingungen, die Unternehmen in Deutschland vorfinden. "Andere Länder lassen sich ordentlich etwas einfallen und schaffen Anreize, dort zu investieren", sagt er und schildert einen aktuellen Fall: "Ein Unternehmen, das über 80 Millionen Euro in die USA investiert hat, erlebt dort eine Willkommenskultur. Sie erhalten dort die ersten zwei Jahre sowohl steuer- als auch energiekostenfrei. Im Gegenzug müssen sich die Firmen dazu verpflichten, 20 Jahre dort zu bleiben."

Danieli wünscht sich auch in Deutschland mehr Interesse an den Unternehmen und mehr Bemühungen, sie hier zu behalten. "Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass zum Beispiel ein Bürgermeister mal nachgefragt hätte, was man tun kann oder wieso das Unternehmen hier unzufrieden war." Obwohl es offensichtlich sei, gebe es keinen erkennbaren Plan, auf diese Prozesse einzuwirken.

"Es ist allerhöchste Zeit"

Volkswirt Krämer ruft die nächste Bundesregierung deshalb dazu auf, aktiv zu werden. "Die Unternehmen müssen wieder spüren, dass sie hier gewollt sind und, dass sich die Rahmenbedingungen in die richtige Richtung entwickeln." Grundsätzlich habe er die Hoffnung, dass sich etwas ändert: "Wir haben das ja schon mehrfach in unserer Wirtschaftsgeschichte geschafft - wenn man etwa an die Agenda 2010 unter Kanzler Schröder zurückdenkt."

Wichtig sei allerdings, dass die künftigen Koalitionspartner auch an einem Strang ziehen. Denn es sei allerhöchste Zeit. Auch Danieli weiß, die Abwanderung der Unternehmen ist eine einseitige Entwicklung: "Wer mal weg ist, bleibt weg und kommt in der Regel auch nicht mehr zurück."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 10. Februar 2025 um 09:00 Uhr.