Zu viel CO2 in der Atmosphäre "Man muss neu denken"
CO2 einzusparen ist das Klimaschutz-Gebot der Stunde - doch reicht das? Ein österreichisch-bayerischer Unternehmer meint: nein - und tüftelt an weitergehenden Methoden.
Früher hat der österreichisch-bayerische Unternehmer Frank Obrist CO2-freie Klimaanlagen für die Autoindustrie entwickelt. Jetzt will Obrist das für die Erderwärmung verantwortliche Kohlendioxid aus der Atmosphäre holen. "Es reicht nicht, klimaneutral zu werden", sagt der 61 Jahre alte Firmenchef, "die Menschheit muss in den kommenden Jahrzehnten einen Teil der emittierten Treibhausgase wieder aus Atmosphäre entfernen." Sein Konzept will Obrist heute auf dem Weltklimagipfel auf Einladung der UN-Organisation UNIDO Politikern und Experten vorstellen. Dabei helfen sollen ausgerechnet Autos, die einen Verbrennermotor an Bord haben. Klingt auf den ersten Blick völlig paradox, bei genauerer Betrachtung scheint seine Vision von der klimapositiven Individualmobilität aber gar nicht so abwegig. Prominente Wissenschaftler unterstützen jedenfalls die kühnen Ideen des Österreichers, der seit Mai seine Firmenzentrale im bayerischen Lindau am Bodensee hat.
Prominente Unterstützer
Franz Josef Radermacher, seit 20 Jahren im Club of Rome und seit einiger Zeit auch Berater von UN-Generalsekretär Guterres in Klimafragen, spricht von einer "super Idee". Robert Schlögl, der als einziger Wissenschaftler in Deutschland zwei Max-Planck-Institute leitet und nächstes Jahr Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung wird, arbeitet mit Obrist eng zusammen.
Schlögl hat wesentliche Vorarbeiten für das Projekt geleistet. Der Spezialist für chemische Energiekonversion hat beim Thyssenkrupp-Konzern, der in Duisburg das größte Stahlwerk Europas betreibt und allein hier fünf Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes verursacht, eine industrielle Produktionsanlage für Methanol aufgebaut. Die erzeugt mit einem Elektrolyseur zunächst Wasserstoff, in einem zweiten Schritt kommt CO2 aus den Hochöfen dazu. Daraus entsteht der Alkohol Methanol, der als Treibstoff verwendet werden kann. "Mit unserer Anlage in Duisburg haben wir bewiesen, dass man Methanol auf diesem Weg industriell skaliert, also in riesigen Mengen herstellen kann," sagt Schlögl.
Technologisches Neuland
Obrist will noch zwei Schritte weiter gehen. Der erste: Er will das CO2 nicht aus Industrieanlagen nehmen, sondern aus der Umgebungsluft. Wenn dann das so erzeugte Methanol im Motor verbrannt wird, entsteht nur so viel CO2, wie zuvor aus der Luft genommen wurde. Solche Antriebe gelten als klimaneutral: Die Menge des Treibhausgases bleibt trotz der Verbrennung gleich. Doch auch das geht Obrist nicht weit genug. "Wir müssen anfangen, den Mist, den wir in den letzten Jahrzehnten freigesetzt haben, wieder zurückzuholen." Sprich: die CO2-Konzentration in der Atmosphäre reduzieren.
Konkret will Obrist einen Teil des bei der Methanolproduktion aus der Luft gefilterten Kohlendioxids in festen Kohlenstoff umwandeln, diesen einlagern und so der Atmosphäre dauerhaft entziehen. Das hat Schlögl in Duisburg noch nicht gemacht. Der Chemiker spricht von einer Herausforderung, die aber lösbar sei. "Ich halte die Idee für sehr sinnvoll. Auf diese Weise kann man eine Kohlenstoffsenke bauen und so den Zielen des Pariser Klimaabkommens näher kommen." Auch Radermacher unterstützt die Idee von Obrist: "Wir müssen jährlich zehn Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen, das Konzept von Obrist kann dabei helfen."
E-Fuels statt BEV
Paradoxer Weise könnten dazu auch Autos beitragen. Obrist will das grüne Methanol in einem von ihm entwickelten Antriebsstrang einsetzen. Seine Firma hat ein herkömmliches batterieelektrisches Auto (BEV) umgebaut. Die große Batterie wurde durch eine ganz kleine ersetzt und ein kleiner Methanolmotor eingebaut, der als Generator läuft und kontinuierlich einen Großteil des Fahrstroms an Bord erzeugt. Die Vorteile des Konzepts: Dieses Elektroauto mit Verbrennermotor ist dank dem kleinen Akku viel billiger als herkömmliche BEV, es hat eine größere Reichweite und braucht keine teure Schnellladeinfrastruktur.
"Mein Ziel ist bezahlbare Elektromobilität für jedermann auf der Welt", sagt Obrist. Radermacher sieht das ähnlich. Das BEV sei "ein Nischenprodukt für die Wohlhabenden in den reichen Ländern. Konzepte mit sogenannten E-Fuels sind viel sinnvoller, weil sie überall auf der Welt umsetzbar sind."
Billiger Solarstrom aus Wüstenstaaten
Kritiker wenden dagegen ein, dass der Energieaufwand bei der Produktion dieser synthetischen Kraftstoffe viel zu hoch sei. "Um ein Verbrennerauto mit E-Fuels anzutreiben, braucht man am Ende fünfmal so viel Solar- und Windstrom wie für den Betrieb eines Elektroautos - und dann wird das Ganze auch fünfmal so teuer. In Deutschland werden wir so viele Solaranlagen und Windräder gar nicht aufstellen können," wendet etwa Volker Quaschning ein. Er ist Experte für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Doch Obrist will seine CO2-Senke gar nicht in Deutschland aufbauen. Er will die Produktionsanlagen im Sonnengürtel der Erde ansiedeln - also in Staaten mit großen Wüsten, in denen die Sonne an fast allen Tagen des Jahres scheint, weshalb die Effizienz der Solaranlagen viel höher ist als in Deutschland. In den Golfstaaten des Nahen Ostens etwa kostet die Kilowattstunde Solarstrom schon heute weniger als einen Cent. Bei diesen Preisen, sagt Obrist, spiele es keine Rolle, dass man fünfmal mehr grünen Strom für mein Antriebskonzept braucht als bei einem BEV. Denn das BEV könne in Deutschland nur mit dem knappen und deshalb teuren grünen Strom fahren, den man vor Ort produzieren kann. Sein Konzept aber könne den billigen grünen Strom aus anderen Teilen der Welt nutzen und baue zudem eine Kohlenstoffsenke auf. Und auch wenn es paradox klingt: "Sie wird umso größer, je mehr wir mit Autos fahren, die diesen Treibstoff nutzen."
So könnte eine Solarfabrik in der Wüste aussehen - Animation der Firma Obrist.
"Große Chance für Afrika"
"Wir müssen neu denken: Mit dem Autofahren kann man der Atmosphäre CO2 entziehen", sagt auch Radermacher. Bis es soweit ist, müssen aber noch zwei gewaltige Probleme gelöst werden: Die Produktionsanlagen in der Wüste gibt es bislang nur als Computeranimation. Sie zu bauen, wird viele Milliarden kosten, dafür müssen sich noch Investoren finden. Und auch das Elektroauto mit Verbrennermotor gibt es bislang nur als Prototypen. Obrist hat zwar schon mit vielen großen Herstellern gesprochen, aber noch keinen überzeugen können, sein Antriebskonzept in Serie zu bauen. Auch dafür will er bei seinem Auftritt bei der Weltklimakonferenz werben.
Dass er überhaupt dort sprechen darf, verdankt er einer Einladung der UN-Organisation UNIDO, die die industrielle Entwicklung in den ärmeren Ländern fördert. Bei der Eröffnung des Tech-Zentrums von Obrist in Lindau Ende Mai bezeichnete die UNIDO-Vertreterin Katarina Barunika die Herstellung von grünem Methanol als "große Chance für Afrika". Die sonnenreichen Länder wären ideal, um dort grünen Kraftstoff für die Energieversorgung der Zukunft zu produzieren.