Interview

Interview zur Bankenkrise Zurück zum "Rheinischen Kapitalismus"?

Stand: 08.10.2008 16:38 Uhr

Angesichts der anhaltenden Bankenkrise reagieren die europäischen Staaten mit drastischen Maßnahmen. London nimmt einige Banken teilweise unter Kuratel, die französische Regierung droht mit der kompletten Verstaatlichung angeschlagener Banken. Die Bundesregierung hält solche Schritte zwar vorerst nicht für erforderlich. Doch auch sie will Manager und Banken stärker an die Kandare nehmen. Erleben wir eine Renaissance von Wirtschaftsmodellen, die seit Beginn der Globalisierung als überholt galten? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser.

tagesschau.de: An den Börsen herrscht nackte Panik – die Kurse befinden sich im rapiden Fall. Ist diese Krise vergleichbar mit anderen Wirtschaftskrisen – etwa der von 1929/31?

Werner Abelshauser: Es gibt viele Unterschiede – aber die großen Krisen haben alle gemeinsam, dass das Vertrauen in das Bankensystem und in die Wirtschaft verloren gegangen ist. Es bedarf jetzt Maßnahmen, die nur noch vom Staat kommen können. Nur der Staat ist als Organ des Souveräns in der Lage, diesen Notstand zu beherrschen. Im Gegensatz zu heute waren 1931 die Bankvorstände nicht "Schuld" an der Katastrophe, weil sie etwa gegen Regeln verstoßen hätten. Vielmehr gerieten sie durch konjunkturelle Einbrüche unter Druck. Das ist der Unterschied. Der Staat musste 1931 die Aktienmehrheit an mehreren Großbanken übernehmen, um sie funktionsfähig zu halten und das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen. Insofern gibt es schon Parallelen.

Zur Person
Prof. Werner Abelshauser, Jahrgang 1944, leitet an der Universität Bielefeld den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte und hat zahlreiche Bücher zum Wandel der deutschen Industrie und Wirtschaft verfasst. Sein Buch "Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945" gilt als Standardwerk.

tagesschau.de: Deutschland, Frankreich und Großbritannien verfolgen im Umgang mit strauchelnden Banken sehr unterschiedliche Wege zwischen Finanzhilfen, Teilverstaatlichung und der Androhung von kompletter Verstaatlichung. Welcher Weg ist richtig?

Abelshauser: Der Staat muss so reagieren, wie es in dem jeweils herrschenden sozialen System der Produktion angemessen ist. Er muss sich nach den Bedingungen richten, die in dem jeweiligen Land das Bankensystem regeln. In Großbritannien wird sich außer einer Garantie oder einer staatlichen Übernahme nicht viel ändern, weil dort die Ideologie des "Laissez-Faire" vorherrscht – keine Staatseingriffe, Vertrauen in den Markt und ähnliches. Auch bei einer Verstaatlichung würde man die Banken weiter selbst entscheiden lassen. In Frankreich schlägt die Stunde der sogenannten "ENArchen". Also der Absolventen der staatlichen Elite-Hochschule für Administration. Sie genießen das absolute Vertrauen der Regierung und der Öffentlichkeit. Der Staat wird es dort traditionell selbst regeln, wie es seit der Revolution von 1789 üblich ist.

In Deutschland würde der Staat im Fall einer Verstaatlichung wohl den Aufsichtsrat besetzen und dessen formal großen Rechte nutzen. Er würde so die Bankvorstände zwingen, die Regeln einzuhalten, die in Deutschland herrschen sollen. Man wird die Bankvorstände dieses Mal nicht ungeschoren davonkommen lassen können, weil sie ja im Wesentlichen verantwortlich sind für die Kalamitäten. Sie haben nach Regeln gespielt, die nicht zu dem deutschen sozialen System der Produktion passen.

tagesschau.de: In der deutschen Tradition gibt es auch das Gemeinwirtschaftsmodell. Wäre das auch ein Instrument?

Abelshauser: Dieses Modell ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte immer wieder angewendet worden, zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg. In diesem Modell wird der Aufsichtsrat nicht einfach durch Beamte der Finanzbehörden ersetzt. Vielmehr werden die Aufsichtsräte nach einem gesellschaftlich repräsentativen Modell besetzt. Einerseits wären private Anleger repräsentiert und, wie schon jetzt, die Arbeitnehmer, andererseits der Staat und die Öffentlichkeit, die Verbraucher.

"Das Bankensystem hat sich verselbstständigt"

tagesschau.de: Was wäre der Vorteil? Würden diese Banken mit mehr Augenmaß agieren?

Abelshauser: Das Handeln sollte natürlich weiter profitorientiert sein. Aber die Regeln, innerhalb derer dieser Profit erwirtschaftet wird, wären besser durchzusetzen. Das Bankensystem könnte sich nicht, wie im vergangenen Jahrzehnt geschehen, verselbständigen. Die Mentalität, eine Rendite von 25 Prozent plus X anzustreben, gäbe es dann nicht mehr. Es würden nicht mehr Methoden angewendet, die möglicherweise im amerikanischen System sinnvoll waren, aber nicht im deutschen. Unser System ist auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegt, weil es hier um Qualitätsproduktion geht, die eine langfristige Unternehmensperspektive verlangt.

tagesschau.de: Sind die landesspezifischen Traditionen wichtiger, als man angenommen hat?

Abelshauser: Es gibt in den wichtigen europäischen Ländern und in den USA sehr unterschiedliche Denk- und Handelsweisen, die die Wirtschaft bestimmen. In Deutschland ist es nicht der Staat wie in Frankreich und nicht das Individuum oder der einzelne Unternehmer wie in England. In Deutschland ist das schon immer eine sehr viel stärker kooperativ ausgerichtete Zusammenarbeit der Unternehmen, der Verbände und der Gewerkschaften gewesen. Das hat zuletzt nicht mehr so gut funktioniert, und das ist auch ein Grund dafür, warum jetzt diese Probleme da sind. Und das wird nicht beim Finanzsystem aufhören. Es geht um die Regeln des Kapitalmarkts, die wegen ihrer sehr kurzfristigen Taktung für das deutsche System nicht brauchbar sind. Es geht ebenso um das Ausbildungssystem. Wir haben jetzt erlebt, dass das Ausbildungssystem nicht mehr funktioniert – zum Nachteil der deutschen Wirtschaft. Die Unternehmen bilden nicht mehr genügend Menschen aus im Glauben, man könne sich nach amerikanischem Muster die qualifizierten Mitarbeiter vom Markt holen. Das funktioniert aber nicht. Diese Liste könnte man fortsetzen. Wir müssen grundsätzlich zurückkommen zu den Regeln, die unser deutsches Produktionsmodell braucht.

tagesschau.de: Erkennen Sie dazu die Bereitschaft?

Abelshauser: Die Bereitschaft wächst. Es war bislang aber sehr umstritten. Es gab einen Kulturkampf zwischen dem Standardkapitalismus, der siegreich den Globus beherrscht, und dem "Rheinischen Kapitalismus", also dem Organisationsmodell, das von Skandinavien bis Norditalien, von der Seine bis an die Oder praktiziert wird. Die sich jetzt abzeichnende Katastrophe ist ein Grund dafür, dass in diesem Kulturkampf das europäische Modell wieder stärker wird.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de