Neue Arbeitswelt Wenn der Platz im Büro gebucht werden muss
Seit Corona gehört das Homeoffice zum Alltag - und immer mehr Firmen sparen Bürofläche ein. Zum Beispiel TUI: Bei dem Reisekonzern reichen die Büroplätze nur noch für gut die Hälfte der Belegschaft.
Was passiert mit den Goldfischen aus dem alten Büro? Wie lange hat die Kantine geöffnet? Wird es auch guten Kaffee geben? Wenn Projektleiterin Inga Meyer solche Fragen gestellt bekommt, dann ist sie beruhigt: "Wenn wir bei solchen Details angekommen sind, dann wird das Grundsätzliche nicht mehr in Frage gestellt", sagt die 42-Jährige.
"Das Grundsätzliche": Das ist der große Um- und Wiedereinzug der TUI-Beschäftigten in das teilrenovierte Bürogebäude in Hannover, das sie jetzt "Campus" nennen. Zwei alte Gebäude werden aufgegeben, alle Beschäftigten sollen in Zukunft auf dem "Campus" zusammenkommen.
"Virtuelles Handtuch" sichert den Schreibtisch
Gleichzeitig wird das allerdings nicht gehen. Denn für die 2.800 Beschäftigten gibt es nur noch 1.500 feste Arbeitsplätze. Die muss man vorab digital buchen: Auf einem Plan erkennt man, wo noch etwas frei ist, wie der Platz technisch ausgestattet ist und welche Kollegen auch schon reserviert haben. Die Beschäftigten werfen quasi digital ihr Handtuch über einen Bürostuhl.
Seit Monaten erklärt Projektleiterin Meyer in Videokonferenzen das neue Konzept, spricht über "Co-Working-Areas" und Rückzugsräume, über die Anzahl von Teeküchen und Spülmaschinen. Vor allem am Anfang wollten die Beschäftigten wissen: Werde ich immer einen Platz im Büro finden? Auch wenn ich vergessen habe, zu buchen?
"Das wüsste ich auch gerne", sagt Meyer und lacht. "Wenn ich meine Glaskugel befrage, dann würde ich sagen: Ja, es gibt ausreichend Plätze. Und für die, die spontan reinkommen, gibt es noch mal 200 zusätzliche Plätze, die nicht gebucht werden können."
Lob vom Betriebsrat
Auch Frank Jakobi, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates, ist zuversichtlich. "Keiner wird vor der Tür stehen", ist er sicher. Umfragen innerhalb der Belegschaft hätten ergeben, dass mehr als 80 Prozent zwei Tage pro Woche ins Büro kommen und drei Tage von zu Hause aus arbeiten wollen. Dienstreisen, Urlaube und Krankheitsfälle führten darüber hinaus zu freien Plätzen. Jakobi lobt, dass das Unternehmen die Beschäftigten von Anfang an mitgenommen habe und das Konzept immer transparent kommuniziert worden sei.
Transparenz ist auch ein Wort, das im Gespräch mit Sybille Reiß häufig fällt. Die Personalvorständin lädt zum Interview in einen der "Co-Spaces": großer Raum, viel Blau, ein langer Konferenztisch, Sofa und Sesselgruppen. Und am Rand einige mit Glastüren abgetrennte kleinere Arbeitsbereiche. Die Idee: Wer Ruhe sucht, soll sie finden, aber der Fokus liegt auf Austausch. "Uns ist klar: Es braucht transparente Kommunikation und viel Führung, um das Konzept erfolgreich zu machen," sagt die 47-Jährige. "Aber das können wir."
In den sogenannten "Co-Spaces" sollen die TUI-Beschäftigten zusammenkommen.
Alles muss abends vom Schreibtisch
Die Personalvorständin kennt aber auch Bedenken von Beschäftigten: "Zum Beispiel: Wo bleibe ich mit meinen persönlichen Gegenständen vom Schreibtisch?" Am "Campus" muss der Schreibtisch abends leer geräumt werden - gemäß der sogenannten "Clean Desk Policy". Fotos, Teebeutel, Wasserflaschen: Alles muss abends wieder mit nach Hause oder über Nacht ins Schließfach.
Projektleiterin Meyer weiß außerdem, dass einige Kolleginnen und Kollegen befürchten, alles werde nur noch ein einziges Kommen und Gehen sein - ohne wirklichen Zusammenhalt. "Leute fragen: Wo kann ich denn jetzt den Geburtstagstisch für meine Kollegin dekorieren?" Meyers Antwort: Einen Raum wie "Team Island" buchen und dort feiern. 75 Gemeinschaftsräume, 16 Teeküchen, eine große Kantine: Meyer glaubt, dass es ausreichend Orte für Begegnungen geben wird.
Der Konzern spart viel Geld
Auch die Forschung beschäftigt sich seit Jahren mit flexiblen Arbeitsformen. Psychologe Jonas Brüggemann von der Universität Osnabrück nennt wesentliche Erfolgsfaktoren. "Aufgabengestaltung, Führungsstil, die innere Einstellung der Beschäftigten und die Unternehmenskultur: All das muss im Einklang sein, damit flexibles Arbeiten klappt." Liefen viele dieser Variablen in unterschiedliche Richtungen oder stünden gar im Konflikt zueinander, könnten entsprechende Konzepte scheitern.
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei es wichtig, mit ihrer Arbeit von den Vorgesetzten gesehen zu werden. Im Vergleich dazu sei der konkrete Arbeitsort nachranging. Personalvorständin Reiß formuliert es ähnlich: "Arbeit ist das, was wir tun. Nicht das, wo wir hingehen."
Klar ist: Ein Unternehmen wie TUI spart auch jede Menge Geld, wenn statt drei Bürogebäuden nur noch eins benötigt wird. Eine Summe nennt der Konzern allerdings nicht. Reiß versichert aber: Es sei gleichermaßen ums Sparen und um eine moderne Form des Arbeitens gegangen. Und für die Goldfische haben sie mittlerweile auch eine Lösung gefunden: Die übernehme der Nachmieter.