Ursachen der Kauflust "Auch Minimalismus ist eine Konsumfantasie"
Immer schon haben sich Menschen gerne schöne Dinge gekauft, sofern sie die Mittel dazu hatten, sagt der Historiker Valentin Groebner im Interview. Der "Black Friday" allerdings sei ein rätselhaftes Konsumfest.
tagesschau.de: Ab dem heutigen "Black Friday" stehen uns mehrere Tage mit besonderen Rabatten ins Haus - der Handel in Deutschland erwartet in diesem Jahr einen Umsatz von bis zu sechs Milliarden Euro rund um dieses Wochenende. Der Tag ruft auch Konsumkritiker auf den Plan, Umweltverbände fordern sogar die Abschaffung des "Black Friday". Ist unser Konsum historisch einmalig exzessiv?
Valentin Groebner: Kritik an der Konsumgesellschaft geht gewöhnlich davon aus, dass nur wir jetzt so oberflächlich und gierig nach schönen Dingen sind, während unsere Vorfahren viel vernünftiger, tugendhafter und bescheidener waren. Die historische Forschung kann das allerdings so nicht bestätigen. In dem Moment, in dem Gesellschaften und Einzelpersonen die Mittel dafür haben, schaffen sie sich mit großer Energie und großer Zielstrebigkeit glitzernde, schöne neue Waren an.
"Das hysterisch Kollektive macht nervös"
tagesschau.de: Wann hat das begonnen?
Groebner: Das geschah in mehreren Schüben - den sogenannten "consumer revolutions". Die erste war im späten Mittelalter, also ab dem 13. Jahrhundert. Da hatten die Europäer zum ersten Mal genug Mittel, um sich all die verlockenden Waren aus dem Nahen und Mittleren Osten zu kaufen - Seide- und Baumwollstoffe, Glas, Parfüms, Seife, Edelsteine.
tagesschau.de: Auch da ging es vermutlich schon nicht allein um die Befriedigung von Grundbedürfnissen.
Groebner: Nein. Der Mantel aus spektakulärem bunten Stoff sollte nicht nur warmhalten, sondern auch zeigen, was der Träger für ein toller Hecht ist und wieviel Geld er für exotischen Luxus ausgeben kann. Die Vorstellung einer guten alten Zeit jedenfalls, in der es den Leuten nicht um Konsum gegangen sei, sondern um wirkliche Frömmigkeit, um den lieben Gott, um echte Werte - diese gute alte Zeit hat es so offenbar nie gegeben.
tagesschau.de: Konsum hat also schon immer auch irgendwie Spaß gemacht, sogar im Mittelalter.
Groebner: Ja, aber gleichzeitig war er immer auch mit einem schlechtem Gewissen verbunden. Luxuskonsum ist immer beides gleichzeitig, Verschwendung von kollektiven Ressourcen und ein Versprechen auf Glück, auf individuelle Wunscherfüllung. Der "Black Friday" ist für mich allerdings rätselhaft. Die meisten Konsumfeste verweisen ja noch auf etwas außerhalb der Kauflust, die sie inszenieren. Bei Weihnachten sind es die glänzenden Kinderaugen, der Tannenbaum, die Nostalgie und die Vereinigung mit der Familie. Der "Black Friday" verweist aber nur auf sich selbst, aufs günstige Kaufen von irgendetwas zu niedrigen Preisen. Mich macht das hysterische Kollektive daran ein bisschen nervös: "Wir alle zusammen; nur jetzt, nur an diesem Tag."
Konsumieren als "Bürgerpflicht"?
tagesschau.de: Das geht vermutlich vielen so. Was halten Sie von Trends wie Minimalismus, also Ansätzen, die Verzicht oder zumindest Reduktion propagieren?
Groebner: Das eine ist Teil des anderen. Die Konsumkritik entstand als Konsequenz aus der immer größeren Fülle an verfügbaren Waren seit dem 19. Jahrhundert durch die industrielle Revolution. Der demonstrative Minimalismus ist aber nicht das Gegenteil von Massenproduktion, sondern in gewisser Weise dialektisch damit verbunden. In einer fast leeren Wohnung mit nur wenigen Gegenständen zu leben, ist auch eine Konsumfantasie, nämlich die von besonders edlen und haltbaren Gegenständen.
Und selbstverständlich kann ich diese Dinge bei teuren Versandhäusern bestellen, die sich auf dieses Marktsegment spezialisiert haben. Gleichzeitig ist das auch ein Ausweis meines überlegenen Geschmacks und meiner Möglichkeiten, auf das viele Billige verzichten zu können. Der Minimalismus demonstriert also vor allem die eigene ökonomische Potenz.
tagesschau.de: Am "Black Friday" nicht teilzunehmen - das könnte man auch in dieser Hinsicht deuten: Ich kann es mir leisten, auf die Rabatte zu verzichten. Aber es gibt doch auch lautere Gründe, sich einzuschränken. Wir wissen schließlich um die ökologischen und sozialen Folgen des Massenkonsums.
Groebner: Ein Konsumfestival wie der "Black Friday" suggeriert: Nur in diesen 24 Stunden kriegst du dieses tolle Angebot, versäum' es nicht. Außerdem denken wir ja: Wenn die Deutschen keine Autos und keine Neuwagen mehr kaufen, dann bricht ohnehin alles zusammen. Konsum ist also auch eine Pflicht.
tagesschau.de: Was meinen Sie damit?
Groebner: Im 17 und 18. Jahrhundert war es die Pflicht der Untertanen, für die Gesundheit des Souveräns zu beten und den richtigen Glauben zu haben. Im 19. Jahrhundert war es Pflicht der Untertanen, gehorsam zu sein und alle Gesetze zu befolgen. Im 20. Jahrhundert wiederum ist die Pflicht der Untertanen, gute Demokraten zu sein, also wählen zu gehen und sich zu engagieren. Aber seit den 1950er-Jahren ist auch ein Teil unserer Pflichten, Dinge zu kaufen und die Wirtschaft in Schwung zu halten. Man soll also ein braver Staatsbürger sein, das Klima schonen, aber auch ordentlich konsumieren. Und das ist natürlich eine paradoxe Anrufung - man wird diese Pflichten nie vollständig erfüllen können.
Das Gespräch führte Meike Fries, tagesschau.de