Selbstbestimmungsgesetz Ein längst überfälliger Schritt
Die Ampel-Koalition hat die Eckpunkte zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt. Das wurde auch Zeit. Denn die Betroffenen warten seit Jahren auf eine angemessene Behandlung.
Trans, intergeschlechtlich, nicht-binär: Viele Menschen fühlen sich schon durch die Begriffe überfordert und reagieren mit einer Abwehrhaltung. Das sei alles ein Hype. Es gebe wichtigere Dinge, um die sich die Politik kümmern sollte. Beides ist falsch.
Bislang teures und bloßstellendes Verfahren
Das sogenannte Transsexuellen-Gesetz, das bisher die Anerkennung von Geschlechteridentität regelt, stammt aus dem Jahr 1980. Bereits vor mehr 40 Jahren also gab es eine öffentliche Debatte darüber, wie der Staat mit Personen umgeht, die ihre Geschlechtszugehörigkeit auf den Prüfstand stellen. Damals reagierte die Politik mit einem Gesetz, das Menschen, die ihre Geschlechtsidentität ändern wollten, zwang, sich sterilisieren zu lassen und sich einer geschlechtsumwandelnden Operation zu unterziehen.
Viele Punkte dieses Gesetzes wurden zwar schon vor Jahren gerichtlich gekippt. Doch auf eine angemessene Behandlung müssen die Betroffenen bis jetzt warten. Um ihren Namen und ihr Geschlecht amtlich zu ändern, sind sie immer noch gezwungen, ein teures und bloßstellendes Verfahren zu durchlaufen. Dazu zählen etwa auch Fragen nach dem Masturbationsverhalten. Für einen modernen, liberalen Staat, als der sich die Bundesrepublik gern inszeniert, ist das eine Schande.
Fehlender politischer Wille und die Unfähigkeit, über Regierungskonstellationen hinaus Mehrheiten zu suchen, haben den Schritt bisher verhindert. FDP und Grüne hatten bereits in der vergangenen Legislaturperiode Gesetzesvorhaben vorgelegt, die allerdings versandeten. Das mag auch daran gelegen haben, dass der Kreis derer, die es betrifft, nicht riesig ist. Doch das bedeutet nicht, dass er weniger bedeutend ist.
Jahre der Stigmatisierung
Mittlerweile sind Trans-Personen im öffentlichen Raum wie den sozialen Medien eine beachtete Gruppe, die sich nach Jahren der Stigmatisierung Gehör verschafft hat und endlich auf eine Gesellschaft trifft, die bereit ist, zuzuhören. Zumindest in Teilen.
Alle anderen, die bei dem Thema mit den Augen rollen, sollten sich bewusst machen, in welcher glücklichen Position sie sind. Mit dem eigenen Geschlecht zu hadern, seine Identität in Frage zu stellen - und das teilweise bereits seit Kindestagen -, stellt sicherlich eine psychische Belastung dar, die für Außenstehende kaum vorstellbar ist. Wenn Trans-Personen am Ende eines langen Prozesses ihrer Identität bewusst geworden sind, sollte der Staat nicht weitere Hürden in den Weg stellen.
Vielversprechend klingende Eckpunkte
Tatsächlich klingen die Eckpunkte des Selbstbestimmungsgesetzes vielversprechend. Am intensivsten wurde offenbar darüber diskutiert, wie mit Jugendlichen umgegangen werden soll, die ihren Personenstand ändern möchten.
Natürlich ist wichtig, abzuwägen, inwieweit Minderjährige in der Lage sind, solch weitreichende Entscheidungen zu treffen, ihnen aber gleichzeitig ihre Mündigkeit nicht abzusprechen. Eltern und Beratungsstellen mit in die Verantwortung zu nehmen, ist ein guter Schritt.
Klug ist in dem Zusammenhang auch, dass für die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit nicht auch gleichzeitig eine Operation nötig ist. Das nimmt Druck aus der Entscheidung. Zudem ist sich die Wissenschaft größtenteils einig, dass Geschlechtszugehörigkeit nicht unbedingt mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen zusammenhängen muss.
Bedenken erst nehmen
Auch möglichem Missbrauch der neuen Rechtslage versuchen Familien- und Justizministerium zuvorzukommen: Wer sich für eine Änderung der Geschlechtsangabe und des Namens entschieden hat, kann das ein Jahr lang nicht ändern.
Die Angst einiger, dass Männer, die sich vermeintlich nur als Frauen ausgeben, in Schutzräume wie Frauentoiletten oder Frauenhäuser eindringen, wird die Politik wahrscheinlich nicht zerstreuen können. Ja, einzelne, schreckliche Vorfälle wie Vergewaltigung durch Transfrauen gibt es, sie sind aber selten.
Diese Bedenken müssen ernst genommen werden. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass Trans-Personen noch weitere Jahre auf ein Selbstbestimmungsgesetz warten müssen, das seinen Namen auch tatsächlich verdient.