Nord-Stream-Sabotage Tatort Ostsee
Seit den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee 2022 ermitteln Polizeien, Geheimdienste und Justizbehörden in mehreren europäischen Ländern. Was haben die deutschen Ermittler bislang herausgefunden?
Beim Bundeskriminalamt (BKA) ist man schwierige Ermittlungen gewohnt. Rund um den Globus haben die Kriminalisten bereits Beweise gegen Terroristen, Drogenschmuggler oder Kriegsverbrecher gesammelt - auf dem Balkan, in Pakistan, Tunesien, Ruanda, Kolumbien, Irak oder im Kongo. Seit dem vergangenen Jahr aber ist das BKA mit einem Tatort befasst, wie es ihn in der 70-jährigen Geschichte der Polizeibehörde noch nicht gab - dem Meeresgrund der Ostsee.
Am 26. September 2022, zwischen 2 und 3 Uhr nachts, zerriss eine Explosion unweit der dänischen Insel Bornholm eine Röhre der noch im Bau befindliche Ostseepipeline Nord Stream 2. Einige Stunden später dann erfolgte mehr als 60 Kilometer entfernt die zweite Explosion. Diesmal traf es beide Röhren der Pipeline Nord-Stream-1, durch die bereits seit Jahren Gas aus Russland nach Deutschland strömte. Die Pipelines waren zwar nicht in Betrieb, sie enthielten aber dennoch Gas. Und so begann die Ostsee tagelang zu blubbern.
Früher Verdacht: Sabotage
Ein Unfall als Ursache für die Explosionen wurde schnell ausgeschlossen. Stattdessen vermuteten Experten und staatliche Stellen, dass es sich wohl um Sabotage gehandelt habe. Wer aber steckt dahinter? Russland wies schnell jede Verantwortung von sich. Der Kreml sprach von einem Terroranschlag. Auch die Ukraine und die USA wurden zwischenzeitlich verdächtigt. Beiden Staaten wurde dabei unterstellt, sie hätten ein großes Interesse daran, dass Putin kein Gas mehr an Europa verkaufen könne.
Im Sommer 2022 hatte die CIA tatsächlich eine Warnung an europäische Partnerdienste verschickt, laut der es Hinweise darauf gebe, dass Ukrainer versuchen würden, sich in Schweden ein Boot zu beschaffen, um einen Anschlag auf Nord-Stream-Pipelines zu verüben. Der US-Geheimdienst aber schätzte die Glaubwürdigkeit dieser Information als gering ein.
"Wir lassen uns durch den Angriff auf die Nord-Stream-Pipelines nicht einschüchtern", erklärte Justizminister Marco Buschmann. "Die deutschen Behörden werden gemeinsam mit unseren europäischen Partnern aufklären, wer für die Sabotage an den Leitungen verantwortlich ist."
Seit dem Vorfall im vergangenen September ermitteln Polizeien, Geheimdienste und Justizbehörden in gleich mehreren europäischen Ländern. In Dänemark, Schweden und auch in Deutschland wurden Untersuchungen eingeleitet, eine gemeinsame Ermittlungsgruppe aber gibt es nicht. Schweden hatte diesem Vorschlag nicht zugestimmt. Stattdessen ermittelt nun jedes Land für sich.
Generalbundesanwalt übernimmt
Hierzulande leitete der Generalbundesanwalt in Karlsruhe Anfang Oktober 2022 ein Ermittlungsverfahren zu den Pipeline-Anschlägen ein. Der Verdacht lautet in trockenem Juristendeutsch: Verdacht der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und verfassungsfeindliche Sabotage.
Das BKA wurde beauftragt herauszufinden, was genau sich am Meeresgrund bei Bornholm, in der dänischen und schwedischen Wirtschaftszone, abgespielt hat - und wer für den Sabotageakt verantwortlich ist. Bearbeitet wird das Verfahren "Nord-Stream" von der Staatsschutz-Abteilung in Meckenheim bei Bonn. Diese Ermittler sind sonst zuständig für die Fälle von Spionage und Staatsterrorismus.
In den vergangenen Jahren waren sie beispielsweise mit dem sogenannten "Tiergarten-Mord" befasst, bei dem ein Auftragsmörder im Dienst des russischen Geheimdienstes einen Exil-Tschetschenen in Berlin erschoss. Ein Verbrechen wie der Anschlag auf die Gaspipelines in der Ostsee aber ist auch für die BKA-Spezialisten neues Terrain.
Schwierige Ermittlungen am Tatort
Es ist vor allem der Tatort auf hoher See, der den Kriminalisten einige Probleme bereitet hat. Immerhin verlaufen die Nord-Stream-Pipelines in einer Wassertiefe von 70 bis 80 Metern. Mehrfach waren die Ermittler bereits vor Ort. Die Bundespolizei und die Bundeswehr leisteten dabei Amtshilfe mit Schiffen. Schon früh gab es jedoch erste Probleme - und zwar nicht nur aufgrund der schwierigen Bedingungen unter Wasser, sondern auch durch die Tücken der deutschen Bürokratie.
So waren zwar Taucher der Bundespolizei bereits Ende September 2022 mit einem Schiff vor Ort, allerdings tauchten sie nicht zu den beschädigten Pipelines hinab. Es hieß zunächst, man habe bei der Erkundungsfahrt nicht die notwendige Ausstattung dabeigehabt.
Dienstvorschrift verhindert Tauchgang
Tatsächlich aber sind die Gründe viel profaner: Obwohl die Ostsee vergleichsweise flach ist, dürfen deutsche Polizeitaucher schlichtweg nicht in solchen Tiefen arbeiten. Laut Polizeilicher Dienstvorschrift 415 ("Tauchdienst") sind nur Tauchgänge bis maximal 50 Meter erlaubt, wie ein Sprecher der Bundespolizei auf Nachfrage bestätigt. Und gleichzeitig anmerkt: "Auch wenn ein Taucher nicht taucht, kann er sehr wohl vor Ort etwas taugen."
Abhilfe schafften schließlich die Technik. Mit einer Unterwasserdrohne der Bundeswehr konnte die Bundespolizei erste Aufnahmen vom Tatort machen. Zu sehen waren große Löcher, die in den Röhren der Nord-Stream-Pipelines klafften, teilweise waren sie auf rund 50 Metern Länge aufgerissen.
Amtshilfe von Forschern
Ende Oktober 2022 dann stachen auch die BKA-Ermittler im Auftrag des Generalbundesanwalts in See - diesmal mit dem zivilen Forschungsschiff "Alkor" aus Kiel und abgesichert durch das Schiff "Bamberg" der Bundespolizei aus Rostock. Mehrere Tage dauerte der Einsatz östlich von Bornholm.
Die Wissenschaftler der "Alkor" waren zufälligerweise im Rahmen eines EU-Projekts mit der Erforschung von Auswirkungen in der Ostsee versenkter Munition und Sprengstoff aus dem Zweiten Weltkrieg befasst. Nun bat der Generalbundesanwalt die Forscher um Hilfe. Mit einem Unterwasserroboter und Unterwasserdrohnen wurden Boden- und Wasserproben rund um die beschädigten Gaspipelines genommen sowie Trümmerteile geborgen.
Offenbar militärischer Sprengstoff verwendet
Die BKA-Sprengstoffexperten haben die Beweismittel vom Meeresgrund mittlerweile kriminaltechnisch untersucht. Nach Informationen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" soll es demnach Hinweise darauf geben, laut denen bei den Anschlägen offenbar ein Sprengstoff verwendet wurde, der vor allem im militärischen Bereich genutzt wird. Zudem sollen die Ermittler inzwischen Erkenntnisse dazu haben, dass die Explosionen wohl nicht durch Geschosse wie etwa Torpedos verursacht wurden, sondern sehr wahrscheinlich durch Sprengsätze, die außen an den Röhren angebracht wurden.
Wer für die Explosionen verantwortlich ist, lässt sich nach bisherigem Ermittlungsstand allerdings nicht sagen. Auch für eine mögliche Urheberschaft Russlands gebe es bislang durch die deutschen Ermittlungen keine Beweise, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank kürzlich der "Welt am Sonntag". "Das ist derzeit nicht belegbar, die Ermittlungen dauern an", so der Karlsruher Chefankläger. Mit den Strafverfolgungsbehörden in Dänemark und Schweden stehe man in Kontakt, sagte Frank.
Schweden mauert weiter
Gemeinsame europäische Ermittlungen aber hatten insbesondere die schwedischen Behörden abgelehnt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Stockholm teilte schon im November 2022 mit, dass es Belege für einen Sabotage-Anschlag gebe und dass auch der verwendete Sprengstoff identifiziert worden sei.
In deutschen Sicherheitskreisen heißt es, in Schweden würden wohl noch weitgehendere Erkenntnisse vorliegen, allerdings würden diese bislang nicht mit ausländischen Stellen geteilt. Selbst in Schweden seien diese als geheim eingestuften Informationen, die wohl von den schwedischen Nachrichtendiensten stammen sollen, bislang offenbar nicht in vollem Umfang der dortigen Polizei und Justiz zur Verfügung gestellt oder zur Weitergabe an andere Behörden freigegeben worden.
Auch in Deutschland sind die Geheimdienste an der Aufklärung der Pipeline-Explosionen beteiligt und unterstützten das BKA. Der Bundesnachrichtendienst (BND) etwa hat ausgewertet, welche Schiffe und Flugzeuge in den Tagen und Wochen zuvor in der Nähe unterwegs waren. Zudem wurden die Aktivitäten auf russischen Militärstützpunkten, etwa in Kaliningrad, ausgewertet. Bislang aber ohne eine heiße Spur.