Ein Model geht über einen Laufsteg in Paris.
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Machtmissbrauch und Schuldenfallen Wie brutal ist das Model-Business?

Stand: 10.12.2024 06:00 Uhr

Nachwuchs-Models werfen einer großen deutschen Agentur finanzielle Ausbeutung vor, auf der Pariser Fashion Week laufen wieder Models mit ungesunden Maßen, wie Vollbild-Recherchen zeigen. Ist ein Wandel in der Branche unmöglich?

Von Caspar Dudek, Carina Parke und Julius Bauer, SWR

Die Welt bereisen, die luxuriösesten Marken der Welt repräsentieren und über die Catwalks in Mailand, Paris und New York laufen - die Modebranche verspricht jungen Menschen eine Karriere mit Glamour und Rampenlicht. Ein Traum, der auch durch populäre Casting-Shows wie "Germanys Next Topmodel" (GNTM) genährt wird.

Aber hinter den glänzenden Versprechen können Schuldenfallen, Körperwahn und gefährliche Machtgefälle lauern, wie Recherchen des SWR-Investigativ-Formats Vollbild zeigen.

"Finanzielle Ausbeutung"

In der Karriere eines Models spielen Model-Agenturen eine große Rolle. Sie sind es meist, die die großen Karrieren aufbauen, indem sie das Model auf dem Markt platzieren, Jobs und Castings organisieren und das Model an die entsprechenden Kunden vermitteln. Doch manche Model-Agenturen nutzen ihre Machtposition aus und machen Geschäfte auf Kosten der Träume und Körper junger Menschen, wie nun Vollbild -Recherchen belegen.

"Für uns ist mittlerweile klar: Model-Agenturen missbrauchen systematisch die Rechte von Models. (...) Was ich damit meine, ist kein direkter Missbrauch, sondern unserer Erfahrung nach vielmehr finanzieller Missbrauch. Finanzielle Ausbeutung", sagt Ekaterina Ozhiganova.

Sie ist Gründerin der Organisation ModelLaw, die sich für den Schutz und die Rechte von Models einsetzt. Auch in Deutschland könne es zu Abhängigkeitsverhältnissen kommen: "Es gibt eben Agenturen, die, bevor das Model überhaupt soweit ist Geld zu verdienen, schon Geld verlangen“, kritisiert Peyman Amin, Ex-Juror von GNTM. Er kennt die Branche und betreibt selbst eine Modelagentur.

Schulden statt Model-Karriere

Der Weg in den Traumberuf kann zur Schuldenfalle werden. Diese Erfahrung mussten nach Vollbild-Recherchen mehrere Models bei einer der größten und renommiertesten Model-Agenturen Deutschlands machen: Modelwerk mit Sitz in Hamburg. Wer dort neu in die Kartei aufgenommen wird, absolviert in der Regel die sogenannte "Modelwerk-Academy". Ein mehrtägiger Workshop für unerfahrene Models, der als perfekter Schnellstart in die Branche angepriesen wird. Was wie ein unverfängliches Angebot klang, endete für die Nachwuchs-Models Sina und Emma (Namen von der Redaktion geändert) laut eigenen Aussagen in einem Albtraum.

Die jungen Models verschuldeten sich demnach bei Modelwerk mit mehreren Tausend Euro. Den Betrag hätten sie laut Modelwerk nicht selbst zahlen müssen, sondern mit Jobs abarbeiten können. Das sei aber aufgrund ausbleibender Jobangebote nie passiert. Nach einem Jahr wurde den beiden jungen Frauen gekündigt. Es folgten Rechnungen, Mahnungen und Anwaltsschreiben. Beide Fälle landeten vor Gericht. Eine der Frauen bekam Recht und musste der Agentur kein Geld zahlen. Die andere verfolgte das Verfahren nicht weiter und einigte sich außergerichtlich.

Auch anderen Models sei plötzlich gekündigt worden, im Anschluss habe die Agentur Geld gefordert, sagen Sina und Emma. Sie hätten anschließend das Gefühl gehabt, sie seien auf eine Masche hereingefallen, erzählen sie. In Hintergrundgesprächen schildern weitere ehemalige Academy-Teilnehmerinnen ähnliche Erfahrungen. Vollbild legte Branchenexperten die Recherchen vor, sie ordneten die Verträge und das Vorgehen als "sittenwidrig" ein. Modelwerk-Agenturchefin Claudia Midolo hingegen widerspricht den Vorwürfen: "Man kann diese Verträge ja kündigen, wenn man möchte. (…) Von daher sehe ich das eigentlich nicht als sittenwidrig an."

"Size Zero" scheint wieder salonfähig zu sein

Für ihren Traum vom großen Auftritt auf dem Laufsteg müssen viele Models nicht nur finanzielle, sondern auch gesundheitliche Risiken eingehen. Vollbild-Recherchen zeigen, dass ein gefährlicher Schönheitskult zurück ist: "Size Zero". Mitte der 1990er-Jahre hatte dieser Trend mit der Entdeckung von Kate Moss Hochkonjunktur. Der sogenannte "Heroin Chic" bestimmte ab da den Maßstab der Modebranche.

Ein Maßstab, der sich lange hielt, bis der öffentliche Druck zu groß wurde und die Branche Besserung versprach. So veröffentlichten etwa die Modekonzerne Kering, zu dem die Marke Saint Laurent gehört, und Moët Hennessy - Louis Vuitton (LVMH) eine Charta, in der sie sich selbst dazu verpflichteten, die französische Kleidergröße 32 aus ihren Casting-Anforderungen zu streichen. Die Größe ist vergleichbar mit den Maßen von Brust, Taille und Hüfte bei Kleidungsstücken, die man in Deutschland in der Kinderabteilung etwa für zwölfjährige Mädchen findet.

In einer Datenrecherche analysierte Vollbild die Maße der Models, die bei der diesjährigen Fashion Week für Frühjahr und Sommer in Paris für diese beiden Labels gelaufen sind: Sechs Models und damit mehr als jedes achte Model von Saint Laurent und zehn Models - also jedes fünfte Model von Louis Vuitton trug - gemessen an der Charta - eine zu kleine Kleidergröße und verstieß damit gegen die Selbstverpflichtung. Auf Anfrage antwortete Kering, die Unternehmen der Gruppe hielten sich an die Charta. LVMH antwortete nicht.

Gesundheit riskiert

Es ist ein Rückschritt, denn die großen Modelabels legen die sogenannte "Sample Size" fest, also die Kleidergröße, in die die Models auf den Fashion Shows passen müssen. Das deutsche Model Anne-Sophie Monrad sagt, der Druck sei groß, die Anforderungen der großen Player zu erfüllen. Monrad war ein international gebuchtes Topmodel, lief für Givenchy, Gaultier, Karl Lagerfeld über den Laufsteg und stand für die Vogue vor der Kamera.

Während dieser Zeit riskierte die junge Frau ihre Gesundheit für prestigeträchtige Jobs: "Mein größtes gesundheitliches Risiko dann war das Ausbleiben meiner Periode. Und das muss man immer so betonen. Das heißt, nicht nur für den Moment riskiere ich meine Gesundheit, sondern das kann langwierige Folgen haben", sagt sie. Heute könne sie nicht mehr vom Modeln leben, weil sie den ungesunden Körper-Maßstäben nicht mehr entsprechen möchte. Über unmenschliche Zustände in der Modebranche hat sie ein Buch geschrieben, mit dem sie junge Frauen vor Magersucht, Konkurrenzdruck und Ausbeutung in der Modeindustrie warnen möchte.

Sexuelle Übergriffe und Grenzüberschreitungen

Machtgefälle, finanzielle Ausbeutung und die Fremdbestimmung über den eigenen Körper bilden in der Mode-Industrie offenbar einen Nährboden für sexuelle Übergriffe. Auch heute sei es noch gang und gäbe, dass wichtige Jobs gegen sexuelle Gegenleistungen vergeben würden, erzählt das deutsche Topmodel Caro Schäffler im Interview mit Vollbild. Die #metoo-Debatte hatte auch die Modebranche erreicht - laut Schäffler hat sich seitdem auch einiges verändert. Dennoch komme es immer noch zu verbalen Übergriffen, sexuellen Belästigungen und Grenzüberschreitungen.

Diese Erfahrung musste das junge Model selbst machen. Bei einem Fotoshooting sei sie alleine im Home-Studio eines Fotografen gewesen, dieser habe Schäffler dazu aufgefordert ihr Oberteil auszuziehen. Das sei nicht abgesprochen gewesen. Für das damals unerfahrene Model war es eine brisante Situation.

Schäffler erhofft sich für die Modebranche einen Wandel, der nicht oberflächlich bleibt, auf allen Ebenen - Agenturen, die keinen Profit auf Kosten junger Menschen machen, Machtpositionen, die nicht ausgenutzt werden und weniger Fremdbestimmung über den eigenen Körper: "Dass es einfach aufhört, normal zu sein, einem Model zu raten, einen Apfel und einen Eiswürfel zum Abendessen zu essen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der SWR am 13. Dezember 2024 um 02:35 Uhr.