Burkhard Garweg und Daniela Klette
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Mutmaßliches RAF-Mitglied Daniela Klettes Leben im Untergrund

Stand: 11.03.2025 06:00 Uhr

Ende März beginnt der Prozess gegen die mutmaßliche Ex-RAF-Terroristin Klette. Der Vorwurf: Beteiligung an mehreren Raubüberfällen. Bislang unveröffentlichte Fotos und Ermittlungsdetails geben nun einen Einblick in ihr Leben im Untergrund.

Von Lea Busch, Antonius Kempmann, NDR, Martin Kaul, WDR

Kurz vor Beginn des Prozesses gegen die mutmaßliche Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette werden nun neue Details über das Leben einer der einst meistgesuchten Deutschen bekannt. Dabei handelt es sich auch um Fotos, die nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) Klette in ihrer Zeit im Untergrund zeigen, als sie unter falscher Identität in Berlin lebte.

Die Bilder stammen aus den 2000er-Jahren und waren bislang öffentlich nicht bekannt. Damals hat Klette, von ihrem Umfeld unerkannt, unter dem Decknamen "Claudia" in verschiedenen Wohnungen in der Bundeshauptstadt gelebt. Die Fotos zeigen Daniela Klette mal in geselliger kleiner Runde, mal mit einem Baby auf dem Arm oder gemeinsam mit ihrem mutmaßlichen Komplizen Burkhard Garweg, der sich weiterhin auf der Flucht befindet.

Festnahme vor einem Jahr

Klette war Ende Februar 2024 in Berlin festgenommen worden. In ihrer kleinen Wohnung im fünften Stock eines Berliner Mehrfamilienhauses hatte sie zuvor weitgehend unauffällig gelebt. Bei ihrer Festnahme stellte die Polizei laut den Ermittlern neben Pistolen, einem Sturmgewehr und scharfer Munition auch Perücken, Klebebärte und zahlreiche gefälschte Ausweisdokumente sicher, außerdem Bargeld in Höhe von knapp 240.000 Euro sowie sechs Goldbarren.

Klette und ihre mutmaßlichen Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub werden Sicherheitsbehörden zufolge der sogenannten "Dritten Generation" der Rote Armee Fraktion (RAF) zugeordnet, die unter anderem für einen Sprengstoffanschlag auf eine Justizvollzugsanstalt 1993 im hessischen Weiterstadt verantwortlich sein soll.

Fahndung über drei Jahrzehnte

Die RAF war eine linksradikale terroristische Gruppe, die zwischen ihrer Gründung im Jahr 1970 bis in die 1990er-Jahre Attentate verübte und hochrangige Vertreter aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft attackierte und ermordete. Insgesamt wird die RAF für mehr als 30 Morde und etwa 200 Verletzte verantwortlich gemacht. 1998 gab sie ihre Selbstauflösung bekannt.

Fahnder hatten rund drei Jahrzehnte nach Klette, Garweg und Staub gesucht, ehe Klette vor einem Jahr in Berlin festgenommen wurde. Bei dem Prozess, der im niedersächsischen Celle am 25. März beginnen soll, werfen die Ermittler Klette vor, zwischen 1999 und 2016 mit ihren Komplizen in 13 Fällen Geldtransporter und Supermärkte überfallen zu haben. Insgesamt sollen sie so rund 2,7 Millionen Euro erbeutet und damit ihr Leben im Untergrund finanziert haben.

Freunde nennen Klette fürsorglich und verlässlich

Ein Reporterteam von NDR, WDR und SZ hat mit damaligen Freundinnen und Freunden von Klette gesprochen, die diese damals laut eigenen Angaben nur unter ihrer Falschidentität als "Claudia" kannten. Einige von ihnen wurden auch polizeilich vernommen, andere dagegen nicht. Die meisten von ihnen möchten unerkannt bleiben.

Sie zeichnen das Bild einer sympathischen Frau: Demnach zeigte sich "Claudia" als eine fürsorgliche Freundin, verlässlich und kinderlieb. "Ich kenne Daniela Klette nicht, ich kenne Claudia. Sie war für mich wie meine Schwester", sagt etwa der Brasilianer Ermeson Gomes da Silva, der Anfang der 2000er-Jahre in Berlin lebte. Er berichtet, wie er "Claudia" damals in einer Tanzschule kennenlernte und so eine enge Freundschaft entstanden sei.

Klette gab wahre Geschichte nicht preis

"Sie hat mir ihre Schulter gegeben, zum Weinen", so da Silva. Zeitweise habe er mit ihr zusammen in einer Wohnung gewohnt. Danach blieb er offenbar bis zu ihrer Festnahme mit ihr in freundschaftlichem Kontakt, das zeigen langjährige Facebook-Korrespondenzen, die beide führten - auch als er zurück nach Brasilien zog, wo da Silva inzwischen wieder lebt.

Von der wahren Identität seiner Freundin "Claudia" erfuhr da Silva laut eigener Aussage erst in Folge ihrer Festnahme. Zuvor habe sie Nachfragen abgeblockt: "Ich habe zu ihr gesagt: 'Du hast ein Geheimnis, ich möchte es wissen.' Doch sie sagte nur: 'Jeder hat ein Geheimnis'." Er habe das akzeptiert. "Claudia" habe ihm bedeutet, dass sie ihm auch Dinge nicht sage, um ihn nicht in Schwierigkeiten zu bringen, um ihn zu schützen.

Während der Fahndung auf Reisen

Klette hatte sich vor ihrer Festnahme insbesondere in der brasilianischen Community in Berlin aufgehalten, an Tanzkursen und am "Karneval der Kulturen" teilgenommen und den brasilianischen Kampfsport Capoeira gelernt. Während öffentlich nach Klette gefahndet wurde, ist sie unter falscher Identität sogar nach Brasilien geflogen, verbrachte dort einen Urlaub und besuchte Freunde - auch da Silva.

Ein anderer Bekannter von ihr erzählt: Klette sei nicht nur nach Brasilien gereist, sondern habe ihn auch Mitte der 2000er-Jahre in Südafrika besucht. Er selbst habe sie damals beherbergt - ebenfalls als seine Freundin "Claudia".

Ihren Freunden soll Klette erzählt haben, dass sie in der Pflege arbeite und für ihren Job oft nach Süddeutschland reisen müsse. Immer wieder sei sie deshalb für mehrere Wochen weg gewesen. Den Ermittlungen zufolge hat sie wiederholt während dieser Abwesenheiten mit Freunden kommuniziert und über ihre hohe Arbeitsbelastung und ihr stressiges Arbeitsleben berichtet. Die Ermittler sehen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Klettes Abwesenheiten und den ihr vorgeworfenen Raubdelikten. Klettes Anwalt wollte sich auf Anfrage dazu und zu weiteren Fragen nicht äußern.

Burkhard Garweg alias "Jens"

35 Jahre lebte Klette im Untergrund bis zu ihrer Festnahme. Damalige Freunde berichten auch, Klette habe damals darauf geachtet, möglichst nicht auf Fotos zu erscheinen. "'Claudia' wollte nie gerne fotografiert werden", erinnert sich da Silva. Auch Burkhard Garweg selbst ist auf einem der Fotos mit Klette abgebildet. Er habe Garweg allerdings stets nur als "Jens" kennengelernt, schildert da Silva - und dass er ebenfalls erst aus den Medien von dessen tatsächlicher Identität erfahren habe.

Bei "Jens" handelt es sich um einen bislang nicht öffentlich bekannten weiteren Decknamen von Burkhard Garweg. Bislang war bekannt, dass Garweg in Berlin vor allem den Decknamen "Martin" verwendet hatte und lange in einem Bauwagenprojekt in Berlin gelebt haben soll. Auch andere ehemalige Freunde bestätigten auf Nachfrage, dass sie Burkhard Garweg unter dem Namen "Jens" kennengelernt hätten.

Garweg, der laut Medienberichten in Berlin offenbar in der linksradikalen Szene verkehrte, soll unter anderem gern nachts in Clubs unterwegs gewesen sein. Eine Anfrage an Garwegs Anwalt blieb unbeantwortet. Garweg, der sich weiterhin auf der Flucht befindet, soll Autor eines Essays zur Geschichte der RAF sein, der erst in der vergangenen Woche in der Zeitung "nd" (ehemals Neues Deutschland) erschien.

Ermittlungen zur RAF laufen weiter

Ehe sich Klette am Tag ihrer Festnahme widerstandslos hatte abführen lassen, hatte sie nach Erkenntnissen der Ermittler kurz zuvor noch zwei SMS an Garweg abgesetzt und ihn gewarnt. Damalige Freunde beschreiben, dass Klette und Garweg über viele Jahre hinweg eng befreundet und oft gemeinsam in Berlin unterwegs waren. Da Silva will sich auch erinnern, dass er einst vor rund 20 Jahren den ebenfalls bis heute gesuchten Ernst-Volker Staub gesehen habe.

Angeklagt ist Daniela Klette vor dem Landgericht Verden, da viele der Raubüberfälle, an denen sie beteiligt gewesen sein soll, in Niedersachsen und Umgebung stattgefunden haben. Aus Platzgründen findet der Prozess allerdings in den Räumlichkeiten des Oberlandesgerichts Celle statt. Die Ermittlungen wegen ihrer mutmaßlichen Mitgliedschaft in der RAF sind davon abgelöst und werden von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe geführt.