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K.o.-Mittel im privaten Umfeld Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram aufgedeckt

Stand: 18.12.2024 06:00 Uhr

In Dutzenden Telegram-Gruppen tauschen sich Nutzer dazu aus, wie sie Frauen betäuben und missbrauchen können. Aufnahmen davon werden anschließend geteilt. STRG_F hat entsprechende Chatverläufe, Fotos und Videos dokumentiert.

Von Isabell Beer, Isabel Ströh, Lutz Ackermann, Lia Gavi, NDR

Über ein Jahr lang hat ein Rechercheteam von STRG_F Dutzende Chatgruppen auf dem Messenger-Dienstes Telegram beobachtet, Chatverläufe, Fotos und Videos aus Gruppen mit Hunderten bis zu teils Zehntausenden Mitgliedern dokumentiert, unter ihnen auch deutsche Nutzer.

In diesen Chats tauschen Nutzer Anleitungen aus, wie man Menschen für sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen unbemerkt betäuben kann. Sie stacheln sich gegenseitig an und bieten ihre Partnerinnen anderen Nutzern zur Vergewaltigung an. Vergewaltigungen werden angekündigt und entsprechende Aufnahmen geteilt.

Sexueller Missbrauch in Echtzeit

Die betroffenen Frauen scheinen aus dem direkten Umfeld der Nutzer zu kommen: Es ist die Rede von der eigenen Schwester, Mutter, Freundin oder Ehefrau. Manche behaupten, ihre Partnerin sei damit einverstanden. Viele schreiben hingegen stolz, dass sie nichts davon wisse.

Ein Nutzer berichtet im Chat über seine vermeintliche Partnerin: "Sie ist jetzt sturzbesoffen und auf ein paar Schlafmedis. Ich sollte hoffentlich bald ein bisschen Spaß haben." Andere Nutzer geben sich begeistert: "Wow, fantastisch! Wie sieht sie aus?" Der Nutzer schickt Fotos.

Teilweise erfolgen die mutmaßlichen Vergewaltigungen in Echtzeit vor Online-Publikum. In einem Fall, den die Recherche dokumentiert hat, bietet ein Deutscher seine Frau zur Vergewaltigung an. Er gibt an, bereits Betäubungsmittel im Internet bestellt zu haben.

K.o.-Mittel schockieren Toxikologen

Nutzer tauschen Tipps und Gebrauchsanweisungen für Betäubungsmittel aus. Verschiedene K.o.-Mittel werden beworben und Links zu den Online-Shops geteilt.

Im Internet konnte STRG_F ein als Haar-Pflegemittel getarntes K.O.-Mittel bestellen. Der Toxikologe Volker Auwärter vom Universitätsklinikum Freiburg fand darin gleich mehrere gefährliche Substanzen: Medetomidin, ein Tiernarkosemittel, Flualprazolam, ein Designer-Benzodiazepin, und Scopolamin, ein Medikament gegen Erbrechen.

Toxikologe Auwärter zeigte sich gegenüber STRG_F schockiert. Eine solche Zusammensetzung sei bislang nicht bekannt, in Standardtests könne sie nicht nachgewiesen werden. "Das ist ein neues Level", so Auwärter, "man muss wahrscheinlich auch die Analytik noch mal neu nachrüsten." Den Toxikologen besorgt auch, dass das Betäubungsmittel als Haarserum getarnt verkauft wird, da es selbst bei einer Hausdurchsuchung unentdeckt bleiben könnte.

Sexuelle Übergriffe an Bewusstlosen strafbar

Sexuelle Übergriffe an Bewusstlosen sind nach Paragraph 177 Absatz 2 des Strafgesetzbuches strafbar. Der Besitz von Aufnahmen von Vergewaltigungen erwachsener Personen hingegen nicht. Das Bundesministerium der Justiz erklärte dazu auf Anfrage: "Kriminalpolitisch ist es nach derzeitiger Einschätzung des Bundesministeriums der Justiz nicht geboten, dies zu ändern."

Aus dem Bundesinnenministerium hieß es auf Anfrage: "Sofern den Polizeibehörden Hinweise auf möglicherweise kriminelle Gruppierungen bekannt werden, gehen diese den Hinweisen aktiv nach. Kriminelle Handlungen im Internet werden ebenso verfolgt wie in der analogen Welt."

Das Bundeskriminalamt hatte STRG_F schon vor über einem Jahr zu derartigen Telegram-Gruppen angefragt. Es erklärte auf Anfrage aber, man könne aus ermittlungstaktischen Gründen keine genauen Angaben machen: "Zudem besteht bei Vorliegen strafbarer Handlungen beispielsweise die Möglichkeit, entsprechende Gruppen an den Diensteanbieter/Messengerdienst zu melden und anzuregen, dass diese gelöscht werden."

Telegram erklärte auf Anfrage, dass man entsprechenden Hinweisen von Nutzern und Ermittlungsbehörden nachgehe: "Telegram verfolgt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Missbrauch seiner Plattform. Alle Nutzer, die dabei erwischt werden, werden sofort gesperrt".

Juristinnenbund sieht gesetzlichen Handlungsbedarf

Im Laufe der Recherche werden einige der Gruppen gelöscht, inaktive Mitglieder werden zum Teil entfernt. Immer neue Einladungslinks zu weiteren Gruppen zeigen aber: Das Vergewaltiger-Netzwerk ist tief verwurzelt.

Anja Schmidt vom Deutschen Juristinnenbund bewertet die Situation gegenüber STRG_F als "ziemlich entsetzlich". Es sei einfach auch ein Hinweis darauf, dass die Regelungen, die es derzeit gebe, nicht ausreichten.

"Auch wenn da sicher der eine oder andere Straftatbestand greift. Ich glaube, weil gar nicht klar ist, welches Ausmaß das hat. Das ist ja eine ganz andere Qualität. Bewegte Live-Bilder von sexualisierter Gewalt. Es besteht wirklich Handlungsbedarf", so Schmidt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info in den Nachrichten am 18. Dezember 2024 um 08:05 Uhr.