Gefängniszelle im ehemaligen Geheimdienstquartier Al-Khatib in Damaskus
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Geheimdienstgefängnisse in Syrien Ein Land sucht seine Kinder

Stand: 03.02.2025 06:00 Uhr

Als das syrische Regime zusammenbrach, flohen seine Schergen aus den Behörden. Auch die Zentralen der berüchtigten Geheimdienste standen leer. NDR-Reporter konnten dort Dokumente sichten und Angehörige der Opfer ausfindig machen.

Von Sulaiman Tadmory, Amir Musawy, Antonius Kempmann, Essam Yehia, Jonas Schreijäg, NDR

Ende Dezember, wenige Tage nach Assads Sturz. Die Außenfassade des Al-Mujtahid-Krankenhauses in Damaskus ist beklebt mit Fotos von Vermissten. Neben dem Bild eines Mannes steht der Name Abdulla Qablan und: "Geboren in Aleppo. Verschwunden: 2012 in Damaskus".

Hunderttausende Syrerinnen und Syrer suchen bis heute ihre Familienangehörigen, die vom Regime oft willkürlich verhaftet und in die berüchtigten Geheimdienstgefängnisse verschleppt worden waren. "Ich hoffe von ganzem Herzen, dass meine Mutter noch am Leben ist und ich sie eines Tages wiedersehen werde", sagt eine Frau, die vor der Wand mit den Vermissten steht. Auf ihrem Handy hat sie ein Foto ihrer Mutter. "Nachdem ich jetzt die ganzen Berichte gesehen habe, frage ich mich: Haben sie meine Mutter auch so gefoltert?"

Hunderttausende suchen nach Familienangehörigen

Nach Schätzungen der Internationalen Kommission für Vermisste Personen (ICMP) ist der Verbleib von 100.000 bis 200.000 Menschen in Syrien ungeklärt. Das Regime von Diktator Bashar al-Assad ließ seit dem "arabischen Frühling" 2011 Kritiker und vermeintliche Kritiker des Regimes von den Geheimdiensten verhaften und in deren Gefängnissen foltern und ermorden.

Die grausamen Foltermethoden, die der Geheimdienst gegen Zivilisten anwendete, hatte auch ein historisches Gerichtsverfahren in Deutschland offenbart. In Koblenz stand ab 2020 zum weltweit ersten Mal ein Mitarbeiter des Assad-Regimes vor Gericht.

Anwar R. war Oberst des syrischen Geheimdienstes und Vernehmungschef in dem Geheimdienstgefängnis Al-Khatib in Damaskus. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte R. 2022 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Anwar R. als Mittäter unter anderem für 27 Morde und die Folter von mindestens 4000 Häftlingen verantwortlich war. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Einblicke in Foltergefängnisse

NDR-Reporter bekamen Zugang zu jenem Geheimdienstgefängnis in Damaskus, in dem Anwar R. Vernehmungschef war. Das Al-Khatib-Gefängnis liegt in einer ruhigen Sackgasse in einem zentralen Stadtteil von Damaskus. Einige Büros im Obergeschoss sind ausgebrannt. Im Keller befinden sich winzige, dunkle Zellen ohne Fenster. Streckt ein Mensch die Hände aus, stößt er oben an die Decke und rechts und links gegen die Wände.

Nach dem Sturz des Diktators verließen die Geheimdienstmitarbeiter fluchtartig ihre Büros. Zurück ließen sie in der Eile Dokumente, die die Grausamkeiten des Folterregimes erahnen lassen. Die Behörden hatten ihre Taten offenbar fein säuberlich dokumentiert. NDR-Reporter fanden im Al-Khatib-Gefängnis Todeslisten von Inhaftierten sowie Fotos verstümmelter und offenbar gefolterter Leichen.

"Die haben einfach wahllos Leute mitgenommen"

Anhand der Todeslisten sowie durch einen Abgleich der Opferfotos mit Fotos in sozialen Netzwerken konnten die Reporter mehrere Hinterbliebene ausfindig machen. Darunter auch Abo Khaled Al-Makbal, den die Reporter in Damaskus antrafen. Mehr als zwölf Jahre hatte er seinen Vater gesucht.

Der damals 62-Jährige habe nur sein Auto anmelden wollen und sei nie zurückgekehrt, erzählt Abo Khaled Al-Makbal. "Mein Vater war nicht auf Demonstrationen gegen das Regime. Damals haben sie einfach wahllos Leute mitgenommen." Bis zuletzt habe er Hoffnung gehabt, dass sein Vater noch am Leben sei.

Die Unterlagen aus dem Geheimdienstgefängnis zeigen allerdings, dass Jihad Ali Al-Mkabal offenbar schon kurz nach seiner Verhaftung gestorben ist. Wie genau er zu Tode kam, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Massengräber vermutet

In den Schränken von Assads Geheimdiensten lagern unzählige Aktenordner mit Informationen über die Verschleppten. An mehreren Stellen im Land werden zudem Massengräber vermutet, in denen die Getöteten verscharrt worden sein sollen. "Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sie wie Tiere behandelt wurden - vielleicht sogar schlechter", sagt Mohammad Yaqoub al-Omar, Informationsminister der neuen syrischen Regierung, im Interview mit STRG_F (NDR/FUNK). "Planierraupen wurden benutzt, um große Massengräber auszuheben, um Syrer ohne Gnade zu verscharren."

Die deutsche Bundesregierung kündigte an, Syrien bei der Aufarbeitung der Verbrechen unterstützen zu wollen. "Versöhnung und ein friedliches Zusammenleben in Syrien wird es nur geben können, wenn schwere Menschenrechtsverstöße aus der Vergangenheit konsequent aufgeklärt und geahndet werden", sagte der Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Tobias Lindner (Grüne) dem NDR.

Finanzierung der Aufarbeitung

Das Auswärtige Amt habe dafür kurzfristig eine Million Euro für den UN-Mechanismus IIIM bereitgestellt, der Beweismittel zu den Verbrechen in Syrien sammelt. "Die Aufarbeitung ist ein großes Anliegen der Bundesregierung und auch Gegenstand von Gesprächen mit der syrischen Seite."

Der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa versprach früheren Soldaten des Assad-Regimes eine weitgehende Amnestie. Davon ausgenommen seien allerdings diejenigen, die schlimme Verbrechen begangen haben - etwa Massaker oder die Folter von Gefangenen. Ihnen stellte er ein rechtsstaatliches Verfahren in Aussicht.

Die Dokumentation zum Thema sehen sie am 04.02. ab 06:00 Uhr bei bei STRG_F.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. Februar 2025 um 05:05 Uhr.