Klimakrise Millionen Tonnen Treibhausgase durch Privatjets
Die Zahl der Privatjet-Flüge in Deutschland ist auf Rekordniveau gestiegen. Damit wurden auch mehr klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen - vor allem durch viele Kurzstreckenflüge. Das zeigen Recherchen von NDR und SZ.
Am Freitag vor Pfingsten hatte der Tower auf Sylt viel zu tun. Etwa 30 Privatjets sind an diesem Tag gelandet. Sie kamen aus Mallorca, München oder Düsseldorf. Allein aus Hamburg waren es fünf Flieger, obwohl es hier eine direkte Zugverbindung gibt - drei Stunden Fahrt mit dem Regionalexpress. Aber natürlich ist es bequemer und schneller zu fliegen. Und offenbar nehmen immer mehr Menschen das Flugzeug.
Von deutschen Flughäfen aus sind im vergangenen Jahr so viele Privatjets wie nie zuvor gestartet. Insgesamt mehr als 94.000 Starts von Flugzeugen aus dem sogenannten Business-Segment verzeichnete die Luftkontroll-Organisation Eurocontrol - also etwa 260 Flüge täglich, ein Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Privatjet-Flüge machten damit etwa 12 Prozent des gesamten Flugverkehrs in Deutschland aus.
"Wir sehen einen starken Zuwachs bei den Privatflügen, die sehr CO2-intensiv sind und damit auch immer stärker zum Klimawandel beitragen", sagt Stefan Gössling. Er arbeitet an der Linnaeus-Universität in Schweden und forscht seit vielen Jahren zu den Auswirkungen des Flugverkehrs auf den Klimawandel.
Gleich mehrfach klimaschädlich
Flüge sind nicht nur wegen der CO2-Emissionen klimaschädlich. Die Jets stoßen auch Stickoxide, Ruß und Wasserdampf aus. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass der gesamte Klimaschaden etwa dreimal so hoch ist wie die ausgestoßene Menge an CO2. Das meistgenutzte Privatjet-Modell verbraucht beispielsweise etwa 760 Kilogramm Kerosin in der ersten Flugstunde. So gelangen mehr als drei Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Die gesamte Auswirkung auf das Klima entspricht aber mehr als neun Tonnen - in einer Stunde. Im Vergleich: Ein Mensch in Deutschland verursacht im Schnitt etwa elf Tonnen Treibhausgase pro Jahr.
Europaweit haben Privatjets 2022 insgesamt etwa zehn Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen, mehr als eine Million davon in Deutschland. Das zeigen Daten zu den geflogenen Strecken, den genutzten Flugzeug-Typen und den Kerosinverbräuchen, die NDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) ausgewertet haben.
Ein Teil der Flüge mit Flugzeugen aus dem Business-Segment - etwa 10 Prozent - sind medizinische Transporte oder Ambulanzflüge, ein weiterer, kleiner Teil sind Flüge von Regierungsmitgliedern oder Trainingsflüge. Der Großteil - in Deutschland mehr als 85 Prozent - sind jedoch private oder geschäftlichen Reisen. Das zeigen Daten der European Business Aviation Association (EBAA).
Keine verlässlichen Daten
Während in Frankreich im vergangenen Jahr intensiv darüber diskutiert wurde, Privatjet-Flüge einzuschränken, gibt es nicht einmal offizielle Zahlen zu den in Deutschland verursachten Treibhausgasen. Der Verband von Unternehmen der Geschäftsluftfahrt (German Business Aviation Association, GBAA) schrieb auf Anfrage, es seien keine Zahlen bekannt. Auch das Bundesverkehrsministerium teilte mit, es lägen dazu keine gesonderten Daten vor.
Gössling fordert die Politik auf, tätig zu werden. "Wir können aus Klima-Perspektive nicht länger zuschauen, dass viele Reisen mit dem Flugzeug gemacht werden, gerade mit Privat-Flugzeugen, die auch genauso gut mit der Bahn zu absolvieren wären oder meinetwegen mit dem Privatwagen."
Es geht tatsächlich größtenteils um kurze Strecken. Fast drei Viertel der Privatjet-Flüge von deutschen Flughäfen gehen zu Zielen, die weniger als 500 Kilometer entfernt sind. Etwa 60 Prozent der Strecken sind sogar kürzer als 300 Kilometer. Hunderte Jets pro Jahr fliegen etwa die Strecke zwischen Hamburg und Sylt.
Flugzeuge fliegen offenbar häufig leer
Oft starten die Jets aber auch von kleinen Flughäfen irgendwo im Land. Denn Dutzende Charterfirmen bieten eine Art Flug-Taxi-Service an. Passagiere können sich einen Jet zu einem Startort ihrer Wahl bestellen. Das heißt aber auch: Oft muss das Flugzeug zunächst einmal dahin. Die Jets fliegen deshalb häufig ohne Passagiere an Bord. Mutmaßlich machen diese Flüge einen größeren Teil der zurückgelegten Kurzstrecken aus.
In einem älteren Branchenbericht hieß es, dass im Jahr 2014 etwa 40 Prozent aller Business-Flüge Leerflüge gewesen seien. NDR und SZ haben den Branchen-Verband und etwa ein Dutzend Charter-Anbieter nach aktuellen Daten gefragt, aber keine Zahlen bekommen. Die meisten haben auf die Mail gar nicht reagiert.
Auffällig viele Kurzflüge einer Firma
Doch es sind nicht nur Chartermaschinen, die zu vielen Mini-Flügen starten. Auch einige Unternehmen haben eigene Jets, die auffällig oft kurze Strecken zurücklegen. Dazu zählt etwa die Firma Würth, vor allem bekannt als Hersteller von Schrauben. Der Konzern betrieb zuletzt fünf eigene Jets.
Im vergangenen Jahr sind die Flugzeuge von Würth zu etwa 100 Flügen pro Monat gestartet. Fast die Hälfte der zurückgelegten Strecken waren kürzer als 300 Kilometer, etwa von Schwäbisch-Hall nach Zürich oder Salzburg. Das geht aus Flug-Tracking-Daten hervor, die NDR und SZ ausgewertet haben. Besonders oft flogen Würth-Jets die weniger als 200 Kilometer vom Stammsitz in Baden-Württemberg nach St. Gallen in der Schweiz. In der Nähe hat der Konzern vor einigen Jahren ein neues Ausbildungs- und Verwaltungszentrum errichtet.
Angaben aus dem EU-Emissionshandel zeigen zudem, dass Würth im Jahr 2021 etwa 2500 Tonnen CO2 mit innereuropäischen Flügen verursacht hat. Das Unternehmen teilte dazu auf Anfrage mit, dass es sich bemühe, die Geschäftsreisen insgesamt zu vermindern, etwa durch mehr Videokonferenzen. Eines ihrer Flugzeuge stehe auch deshalb derzeit zum Verkauf. Gleichzeitig sei eine "global tätige und dezentral organisierte Unternehmensgruppe" darauf angewiesen, dass "sich die Menschen auch persönlich begegnen".
Viele Firmen zahlen keinen Ausgleich
Würth ist allerdings eines von sehr wenigen Unternehmen, die für ihre Werksflüge CO2-Rechte kaufen müssen. Die meisten Firmen und Privatpersonen, die weniger Privatjets haben, profitieren von einer Ausnahmeregelung beim EU-Emissionshandel. Erst ab 1000 Tonnen CO2 pro Jahr wird überhaupt ein Preis fällig. Auch viele kleinere Charterfirmen müssen nicht für ihre Emissionen bezahlen. Denn für gewerbliche Fluganbieter gilt sogar eine Mindestgrenze von 10.000 Tonnen.
Der Verwaltungsaufwand sei sonst zu groß und stünde in keinem angemessenen Verhältnis zum ökologischen Nutzen, so begründet die EU-Kommission diese Ausnahme. Änderungen sind vorerst nicht geplant. Zwar hat die EU im Dezember eine Ausweitung des Emissionshandel beschlossen, aber über diese Regel sei nicht verhandelt worden, schrieb die EU-Kommission auf Anfrage von NDR und SZ.
Hoffnung auf CO2-neutrales Fliegen
Auch die Bundesregierung plant keine strengeren Regeln, stattdessen wolle sie sich für die Forschung und Förderung innovativer Technologien und Kraftstoffe engagieren, teilt das FDP geführte Verkehrsministerium mit. So solle Deutschland zum "Vorreiter des CO2-neutralen Fliegens" werden.
Der Europäische Business-Flug-Verband (EBAA) argumentiert ähnlich. Man solle die Branche als Treiber für Innovationen betrachten. "Wenn wir kleinere Flugzeuge, die in der Geschäftsluftfahrt eingesetzt werden, dazu bringen können, völlig emissionsfrei zu fliegen, können diese Technologien auch auf Großraumflugzeuge übertragen werden", sagt Róman Kok vom EBAA. Ein Verbot von Privatjets würde nachhaltige Flüge in Zukunft gefährden.Und die Leute würden einfach fliegen wollen. Bis 2050 wolle man klimaneutral werden, mit nachhaltigem Treibstoff und elektrisch angetriebenen Flugzeugen für kurze Strecken, so Kok.
Experten eher pessimistisch
Doch viele Wissenschaftler bezweifeln, dass es möglich ist, alle Flüge klimaneutral durchzuführen, insbesondere weil nicht nur das CO2 zur Erderhitzung beitrage. Die Technologie könne "zwar theoretisch das Wachstum der Luftverkehrsnachfrage und die Abschwächung des Klimawandels miteinander vereinbaren", doch das beruhe "auf sehr ehrgeizigen und möglicherweise nicht realisierbaren technologischen Durchbrüchen und optimistischen Annahmen", haben etwa Forscher der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich im Juli 2022 in einer in der Zeitschrift "Nature" veröffentlichten Studie geschrieben.
Und natürlich sei es derzeit so: Je mehr Flüge durchgeführt werden, desto höher sind die Emissionen, räumt auch Kok ein. "Ja, es ist eine Industrie, die die Umwelt verschmutzt, wir verbrennen kohlenstoffhaltige Brennstoffe, aber wir versuchen, es in den Griff zu bekommen." Aber alles in allem würden die Emissionen der Privatjets ja nur einen sehr kleinen Teil aller Treibhausgase ausmachen.
Ein Teil, der derzeit allerdings wächst. Der Wissenschaftler Gössling ist deshalb dafür, auch bestimmte Flüge zu verbieten - und widerspricht dem Argument, es sei ja nicht viel. "Wenn man den Klimawandel ernst nimmt, stellt sich die Frage, was wir uns noch leisten können an Emissionen".
Über dieses Thema berichtet das ARD-Magazin Panorama heute Abend um 21:45 Uhr im Ersten.