
Rettungsdienst "In Deutschland sterben Menschen rein systembedingt"
Die Björn Steiger Stiftung sieht eklatante Missstände im Rettungswesen und hat deshalb Verfassungsbeschwerde eingereicht. Ziel ist es, bundesweit einheitliche Standards zu erreichen.
Das Bundesverfassungsgericht könnte sich bald mit dem Rettungsdienst in Deutschland beschäftigen. Die Björn Steiger Stiftung hat Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht mit dem Ziel, bundesweit einheitliche Standards zu erreichen. Obwohl Notärzte und Rettungskräfte vorbildlich ausgebildet seien, befinde sich die Bundesrepublik bei der Notfallrettung organisatorisch auf dem "Niveau eines Entwicklungslandes", kritisiert der Präsident der Björn Steiger Stiftung, Pierre-Enric Steiger. Kein Bundesland habe einen guten Rettungsdienst, ausgenommen einzelne Leuchtturmprojekte.
Die Unterlagen wurden elektronisch beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, wie die Stiftung mitteilte. Auch der frühere Präsident der Bundesärztekammer und Mitglied des Präsidialrats der Stiftung, Frank Ulrich Montgomery, kritisierte: "Es kann nicht sein, dass Menschen je nach Wohnort unterschiedliche Überlebenschancen haben." Es gebe 16 verschiedene Rettungsdienstgesetze. "Es ist inakzeptabel, dass der Bund keine einheitlichen Standards im Rettungswesen vorgibt, obwohl dies für Krankenhäuser und den ärztlichen Bereich längst etabliert ist", sagte Montgomery.
Beschwerde gegen die Rahmenbedingungen
Ziel der Verfassungsbeschwerde ist nach Steigers Angaben, die Feststellung, dass die jetzige Regelung gegen das Grundgesetz verstößt - um dann eine bundesweite Verbesserung in Angriff nehmen zu können. "Unsere Beschwerde richtet sich nicht gegen die Rettungskräfte, sondern gegen die Rahmenbedingungen, die ihre Arbeit erschweren und damit die Sicherheit der Bevölkerung gefährden", betonte Steiger.
Die Rettung eines Menschenlebens dürfe nicht vom Wohnort und der jeweiligen Tagesform des Mitarbeiters in der Rettungsleitstelle abhängen. "In Deutschland sterben jedoch Menschen rein systembedingt."
Gegen das Land Baden-Württemberg zieht die Stiftung vor Gericht, weil dort im vergangenen August ein umstrittenes neues Rettungsgesetz in Kraft getreten ist. Aus Sicht der Stiftung stellt es keine Verbesserung dar. Zuständigkeiten und Strukturen bei Notfällen seien nicht genügend geklärt und entsprächen nicht internationalen Standards.
Stiftung setzte Notrufnummern 110 und 112 mit durch
Die Björn Steiger Stiftung setzt sich seit Jahrzehnten für das Rettungswesen in Deutschland ein und hat die einheitlichen Notrufnummern 110 und 112 mit durchgesetzt. Das Rettungswesen in Deutschland habe einst zu den modernsten der Welt gehört, sagte Steiger.
Doch seit den 1970er-Jahren herrsche Stillstand: "Dann sind wir jedoch stehen geblieben. Deutsche Leitstellen sind unwirtschaftlich, teuer und ineffektiv", kritisierte Steiger. Europäische Nachbarn wie Österreich, die Niederlanden oder skandinavische Länder verfügten hingegen über moderne Leitstellen, deren Mitarbeiter dank moderner Cloud-Systeme teils sogar im Homeoffice arbeiten könnten. Ein ständiger Datenaustausch gewährleiste schnelle Hilfe und gleiche Qualitätsstandards.
Es bleibt aber abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht den Fall annimmt. Die Hürden dafür, dass das höchste deutsche Gericht eine Verfassungsbeschwerde annimmt, sind hoch. Dafür muss dem Thema eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen.