Thüringen Versöhnung an Ruhestätten: Eichsfelder spürt hunderte vermisste Soldaten und Zivilopfer auf
Zum Volkstrauertag: Ein Hobbyhistoriker aus dem Eichsfeld sucht in seiner Freizeit nach vermissten Soldaten und Zivilopfern. Stefan Sander verhilft ihnen zu einer würdevollen letzten Ruhestätte. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat den 60-Jährigen mit dem Silbernen Verdienstkreuz geehrt. Er forscht seit 27 Jahren zum Schicksal der Kriegsopfer. Auch seinen im Weltkrieg gefallenen Großvater fand er.
Schon als Kind hatte sich Stefan Sander für Geschichte interessiert. Unterstützt wurde er von Förster Eduard Fritze, der später auch 25 Jahre lang sein Chef war. Die friedliche deutsche Wiedervereinigung 1989/90 öffnete für den Hobbyhistoriker neue Türen. "Es durfte sich nun auch offiziell mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt werden", erinnert sich Sander.
1997 erster Einsatz im Wohnmobil in Lettland
In einer Sendung im Fernsehen lernt er den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kennen. Sander fand es total spannend und wichtig, dass es Leute gibt, die sich um Soldatengräber und Gräber für zivile Opfer beschäftigen. Der Volksbund gründete sich bereits 1919, ein Jahr nach dem Ende des verheerenden Ersten Weltkrieges, um Kriegsgräberstätten anzulegen und zu pflegen. Das erfährt Sander in den 1990er-Jahren.
Dies wird der Anfang von Sanders Ehrenamt für gefallene und vermisste deutsche Soldaten. Er ruft in Kassel, dem Sitz des Volksbundes, an und legt dort sein Führungszeugnis vor. 1997 hat er seinen ersten Einsatz in Lettland als Mitglied des Umbettungsteams.
Wie alt er war, weiß ich nicht mehr. Aber seinen Namen vergesse ich nie. Stefan Sander | über seinen ersten beigesetzten Soldaten
Mit zwei Freunden fährt er im Wohnmobil nach Lettland. Dort machen sie gefallene deutsche Soldaten, die dort seit dem Krieg noch in den Wäldern und Feldern liegen, ausfindig. Die Gebeine der Gefallenen werden "ausgebettet", wie er berichtet, und die Identität versucht zu klären. Dann werden sie in kleine Särge gelegt und auf zentralen Friedhöfen würdig beigesetzt.
Sein erster Soldat hieß Heinrich Krämer. "Wie alt er war, weiß ich nicht mehr. Aber seinen Namen vergesse ich nie", sagt Stefan Sander. Die Recherchen vor Ort ergaben, dass auch ein Gefallener aus seinem Heimatort Küllstedt dort begraben ist.
Alle zwei oder drei Jahre ist er zu Umbettungseinsätzen ins Ausland gefahren. "Es kostet viel Geld und ich musste immer zwei Wochen Urlaub nehmen", sagt Sander. Er ist inzwischen in Stalingrad, dem heutigen Wolgograd, in Smolensk und im gesamten Baltikum unterwegs gewesen.
Das Silberne Verdienstkreuz für Stefan Sander aus Küllstedt im Thüringer Eichsfeld aufgrund seines jahrzehntelangen Engagements für die Kriegsgräberfürsorge.
Vermissten Großvater in Russland entdeckt
Schon als kleiner Junge sei er bei seiner Oma vom Foto eines Soldaten an der Wand fasziniert gewesen. Hat es immer wieder angesehen. Im russischen Smolensk findet 2001 er dann seinen viele Jahre vermissten Großvater. Dafür brauchte er vier Jahre, die entscheidenden Informationen kamen aus dem Militärarchiv in Freiburg. Auf einer Skizze war der "Jelna Bogen" eingezeichnet: Dort fand er seinen Großvater, der am 13. August 1941 gefallen war. Sander begrub insgesamt 30 deutsche Soldaten, darunter auch seinen Großvater, und gab ihnen so eine letzte würdevolle Ruhestätte.
Hunderte Kriegsopfer umgebettet - zuletzt oft allein unterwegs
In den vergangenen Jahren ist Sander oft allein oder mit Hans Schildberg aus Treffurt unterwegs gewesen. Schildberg lernte er bei Umbettungen in Wolgograd kennen. Mit ihm bettet er seitdem deutsche Soldaten, KZ-Häftlinge, kriegsgefangene Frauen und sowjetische Soldaten um.
Vor drei Jahren wurden 78 Sowjetsoldaten im Grünen Band geborgen. Die sowjetischen Kriegsgefangenen trugen Erkennungsmarken am Körper und konnten so identifiziert werden. Sie fanden nach ihrer Umbettung in einer Kriegsgräberstätte direkt am Werratal-Radweg bei Untersuhl ihre letzte Ruhestätte.
"Viele, viele Hundert" getöteten Menschen habe er zu einer letzten Ruhestätte verholfen, schätzt Stefan Sander. Die genaue Zahl weiß er nicht.
Dass es zum Beispiel in Ershausen im Eichsfeld einen Gedenkort für vier Gefallene gibt, ist auch ihm zu verdanken. Zwei der vier Grabkreuze habe er recherchiert. Diese erinnern an die im September 1944 in Ershausen und Wilbich abgeschossenen Jagdflieger Josef Torfer und Heinrich Eckrich. Deren Schicksal erforschte Sander, weil er parallel viele Jahre über die Luftkämpfe im Eichsfeld während des Zweiten Weltkrieges recherchiert hatte und fast alle Abstürze im Eichsfeld, auch von US-amerikanischen und australischen Piloten, aufgelistet hat.
Die Hauptaufgabe ist, Frieden zu stiften und die Jugendlichen beieinander zu bringen. Stefan Sander |
Sander erhielt für seine jahrzehntelangen Verdienste um die Kriegsräberfürsorge Ende Oktober das Silberne Verdienstkreuz
Kriegsgräber sind für ihn Orte der Versöhnung und zum Friedenstiften. Für junge Menschen seien sie ein Ort der Begegnung. Deshalb lädt der Volksbund jedes Jahr zu internationalen Jugendlagern ein. "Die Hauptaufgabe ist, Frieden zu stiften und die Jugendlichen beieinander zu bringen", sagt Sander. Morgens pflegen die Teilnehmer Gräber und nachmittags besichtigen sie Kulturstätten.
Stefan Sander aus Küllstedt im Eichsfeld hat Ende Oktober das Silberne Verdienstkreuz erhalten. Es gratuliert Wolfgang Schneiderhan, Ex-General und Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Nicht alle Opfer werden gefunden
Alle Opfer würden nicht gefunden und könnten deshalb nicht geborgen werden, bedauert Sander. Viele Kriegsgräber vor allem in Osteuropa seien inzwischen überbaut.
Aber im Eichsfeld gibt es fast in jedem Dorf eine Kriegsgräberstätte, die größte ist in Heiligenstadt. "Die Hauptaufgabe meines Ehrenamtes ist es, den Vermissten ihre Namen zurückzugeben", sagt Sander. Das sei für die Verwandten wichtig. Sie erhielten dadurch einen Ort der Trauer. Und vielleicht inzwischen genauso wichtig: Kriegsgräberstätten dienten auch der Mahnung.
MDR (rom)