Thüringen Thüringer Verfassungsschutzbericht: Rechtsextreme Szene wird professioneller
Rechtsextremismus stellt im Freistaat laut dem Thüringer Landesverfassungsschutz weiterhin eine große Gefahr für die Demokratie dar. Der am Donnerstag veröffentlichte Verfassungsschutzbericht für 2023 zeigt sogar: Neben der Gewalt steigt auch die Professionalität der Szene.
Rechtsextremismus stellt in Thüringen laut dem Landesverfassungsschutz weiterhin eine große Gefährdung der Demokratie dar. Das zeigt der am Donnerstag veröffentlichte Bericht für das Jahr 2023. In diesem werden auch die aktuellen Zahlen und Erkenntnisse zum Linksextremismus, zu Islamismus, zu Extremismus, der von ausländischen Organisatoren ausgeht ("auslandsbezogener Extremismus"), sowie zur Reichsbürger-Szene dargestellt.
Die von extremistischen Akteuren bedienten Themen reichten 2023 demzufolge vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem Nahostkonflikt über Migration und die Wirtschaftslage in Deutschland bis hin zur Energie- und Klimapolitik. Dabei sei eine gezielte Desinformation feststellbar.
Was bedeutet "auslandsbezogener Extremismus"? (zum Ausklappen):
Extremistische Gruppierungen aus dem Ausland oder mit Auslandsbezug sind auch in Deutschland aktiv, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern antidemokratisch zu verändern. Sie wollen zum Beispiel eigene Staaten gründen, kommunistische Systeme errichten oder vertreten eine extreme Variante des Nationalismus. Extremistische Organisationen im Ausland beziehen von ihren hier lebenden Anhängern vor allem finanzielle und logistische Unterstützung.
Neben links- und rechtsextremistischen Gruppierungen gehen Gefahren auch von separatistischen Organisationen aus. Ihre ideologischen Ziele und Motive importieren sie nach Deutschland, zum Teil tragen sie auch ihre blutigen Konflikte hier aus. Die Anhängerschaft dieser Gruppierungen setzt sich neben ausländischen Personen auch aus deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund oder auch aus deutschen Extremisten zusammen.
Die Bestrebungen von Organisationen des auslandsbezogenen Extremismus richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden die Innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland.
Quelle: Verfassungsschutz Bayern und Nordrhein-Westfalen
Auch AfD im Fokus
Im Spektrum der rechtsextremistischen Parteien dominiere die AfD, heißt es in dem Bericht. Sie verzeichne einen personellen Zuwachs von 1.300 Mitgliedern im Jahr 2022 auf etwa 1.650 in 2023. Die Mitgliederzahlen der zwei rechtsextremen Kleinstparteien "Die Heimat" (ehemals NPD) und "Der III. Weg" würden dagegen auf niedrigem Niveau stagnieren. Insgesamt zählt der Verfassungsschutz etwa 2.880 Menschen, die er zur rechtsextremen Szene in Thüringen zählt.
Der vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte AfD-Landesverband Thüringen vertritt laut dem Bericht "seit Jahren Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten". Er verfolge dabei ein völkisch-nationalistisches Ziel und strebe ein ethnisch-homogenes Staatsvolk an.
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke befindet sich aktuell in einem Gerichtsverfahren wegen der Verwendung einer verbotenen Nazi-Parole.
Dem Verfassungsschutzbericht zufolge ist zudem erkennbar, dass ein nationalsozialistischer Sprachgebrauch innerhalb der Partei zur Verharmlosung der NS-Zeit insgesamt beiträgt und Unsagbares dadurch scheinbar salonfähig wird. Die AfD ziele darauf ab, den politischen Debattenraum für rechtsextremistische Positionen zu öffnen.
Rechtsextreme Konzerte und Kampfsport-Events
Neben den politischen Parteien befasst sich der Verfassungsschutz in seinem Bericht auch mit dem parteiunabhängigen rechtsextremen Spektrum. So seien in Thüringen eine Vielzahl von aktionistischen Gruppen wie "Kontrakultur Erfurt" und "Patrioten Ostthüringen" aktiv.
Insgesamt sei in den vergangenen Jahren eine stetige Professionalisierung der Szene zu beobachten. Dies zeige sich insbesondere im Kampfsport, der sich "neben der rechtsextremistischen Musikkultur zu einem wesentlichen Element des erlebnisorientierten rechtsextremistischen Lebensstils herausgebildet hat".
Außerdem sei 2023 ein deutlicher Anstieg an sogenannten Liederabenden in Thüringen verzeichnet worden. Gab es 2022 lediglich vier solcher Veranstaltungen, konnte der Verfassungsschutz ein Jahr später 26 solcher musikalischer Events in Thüringen zählen. Zwei dieser Veranstaltungen wurden laut dem Bericht aufgelöst, zwei weitere wurden im Vorfeld verhindert.
Zahl der rechtsextremen Straftaten auf Höchststand
Die Zahl der erfassten rechtsextremen Straftaten in Thüringen hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. So ordnete der Verfassungsschutz insgesamt 1.835 Delikte dem rechtsextremen Spektrum zu, ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2022 (1.555) und 2021 (1.280).
Die größte Gruppe der Straftaten bilden dabei Propagandadelikte mit 1.048. Dazu zählt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung. Allerdings befindet sich auch die Zahl der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit 93 Fällen auf einem hohen Niveau. Dies sei "Ausdruck der insgesamt hohen Gewaltbereitschaft innerhalb der rechtsextremistischen Szene."
Politisch motivierte Kriminalität von Links
Die Zahl der politisch motivierten Kriminalität von Links befindet sich mit 444 erfassten Straftaten nach einem deutlichen Rückgang 2022 (353 Delikte) wieder auf einem ähnlichen Niveau wie 2021 (443). Während die Zahl der Gewaltdelikte (24) im Vergleich zu 2022 (23) stagniert, kam es vor allem zu einem Zuwachs an Sachbeschädigungen (von 240 auf 303) und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz (von 12 auf 24).
Wie häufig die Straftaten von Thüringer Extremisten begangen werden, sei dabei unklar, die Szene gelte innerhalb Deutschlands als gut vernetzt. So soll es Anhaltspunkte geben, "die auf eine nicht unerhebliche Beteiligung von auswärtigen Szeneangehörigen an Aktionen in Thüringen deuten".
Im bundesweiten Vergleich spielt Linksextremismus in Thüringen laut dem Verfassungsschutz eine untergeordnete Rolle. Dennoch sei "aufgrund der in den vergangenen Jahren fortgesetzten schweren Einzelstraf- und Gewalttaten gegen Objekte und Menschen der rechtsextremistischen Szene in Thüringen von einem hohen Radikalisierungspotential eines Teils der gewaltorientierten linksextremistischen Szene im Freistaat auszugehen," so der Verfassungsschutz.
Auch Reichsbürger und Islamisten aktiv
Die Zahl der sogenannten Reichsbürger bewegt sich laut dem Verfassungsschutzbericht mit 1.000 Anhängern in Thüringen weiterhin auf hohem Niveau. Die Szene und ihre Ideologie sei dabei äußerst heterogen.
Auch 2024 sind Reichsbürger in Thüringen aktiv, wie hier auf einer Kundgebung in Gera.
Ihre Vorstellungen seien von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem Staat und einem Verschwörungsglauben geprägt. Die daraus abgeleitete Selbstermächtigung reiche demnach teils bis zur Gewaltandrohung gegenüber Behördenvertretern oder zu Umsturzplänen unter Einsatz von Waffengewalt.
Die Zahl der Islamisten im Freistaat sei dagegen verhältnismäßig klein, die Szene strukturell kaum etabliert. Das Potenzial der losen Anhängerschaft beläuft sich laut dem Bericht auf circa 200 Menschen. Zwei Drittel davon seien dem Salafismus zuzurechnen.
MDR (nir)/dpa/afp