Deutscher Bundestag, Paul-Löbe-Haus: Bekanntgabe Einigung auf Koalition von CDU, CSU und SPD: Saskia Esken, Lars Klingbeil, Friedrich Merz, Markus Söder.

Schleswig-Holstein IfW Kiel zu Koalitionsvertrag: Richtige Richtung, aber zu vage

Stand: 10.04.2025 17:24 Uhr

CDU, CSU und SPD haben in Berlin am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Der Kieler Wirtschaftsexperte Jens Boysen-Hogrefe findet Positives in dem Papier, sieht aber auch Defizite - vor allem bei der geplanten Rentenreform.

Der vorliegende Koalitionsvertrag wird jetzt in den jeweiligen Parteien diskutiert. Union und SPD haben in dem 144-seitigen Papier unter anderem neue Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen sowie Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Zuwanderung vereinbart, außerdem wollen sie eine Bürgergeld-Reform durchführen.

Die Reaktionen aus dem Norden auf den Koalitionsvertrag fallen sehr unterschiedlich aus - vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik. Professor Jens Boysen-Hogrefe arbeitet seit 2008 beim Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Er forscht zu den Schwerpunkten Konjunkturprognose und öffentliche Finanzen - und sieht in dem Vertrag von Union und SPD teilweise ein "weiter so".

Der vermutlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz wählte in der Pressekonferenz am Mittwoch unter anderem das Wort "Aufbruch", um den neuen Koalitionsvertrag zu beschreiben. Was war Ihr erster Eindruck von dem Papier?

Jens Boysen-Hogrefe: Ich denke, da sind einige Schlagworte und Begriffe dabei, die in die richtige Richtung weisen. Stichwort 'Staatsmodernisierung'. Allerdings sind es zum Teil auch Hoffnungswerte. Da geht es um Bürokratieabbau und darum, Dinge zu verschlanken, zu verschnellern, zu konsolidieren. Aber da sind die Ausformulierungen häufig eher vage. Oder es geht um Arbeitskreise und Reformgruppen, die sich erst noch finden müssen.

Welche Schwächen sehen Sie?

Boysen-Hogrefe: Es gibt durchaus Punkte bei denen - ich sage es mal so - das Problembewusstsein etwas zu gering ist. Gerade im Bereich Rente und Sozialversicherungen wird vieles verschoben. Wir leben in einer Phase, in der die Babyboomer allmählich in Rente gehen. Das bedeutet vor allem, dass uns Arbeitskräftepotenzial abhanden kommt. Und genau bei diesem Punkt ist der Koalitionsvertrag sehr schwach.

Jens Boysen-Hogrefe

Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft kritisiert, dass den Koalitionspartnern das Problembewusstsein beim Thema Rente fehlt.

Heißt was genau?

Boysen-Hogrefe: Anstatt eine Rentenreform umzusetzen oder zumindest aufzugleisen, die tatsächlich das Arbeitskräftepotenzial deutlich stärkt, gibt es eher ein "weiter so". Die Haltelinie wird fortgeführt, soll sogar durch Steuermittel gehalten werden. (...)
Es gibt Aufbruch, aber es gibt auch in vielen Politikfeldern ein zu geringes Problembewusstsein und ein bisschen ein Vertagen auf die Haushaltsverhandlungen beziehungsweise auf das, was irgendwelche Arbeitsgruppen irgendwann schaffen werden.

Was hätten Sie sich stattdessen gewünscht?

Boysen-Hogrefe: Auf jeden Fall hätte man nicht die Rentengarantie oder die Haltelinie aussprechen dürfen. Denn das wird dazu führen, dass jetzt der demografische Druck von den Rentenbezieherinnen und -beziehern ferngehalten wird. Das ist natürlich ganz erfreulich für diese Personengruppe, keine Frage. Aber wir haben eben Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und wir haben Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die diesen Druck mitmachen müssen. Und da wäre es eigentlich schön, wenn das Arbeitsangebot größer wäre, wenn also mehr Leute dazu bewegt würden, anstatt frühzeitig in Rente zu gehen, eher länger zu arbeiten. Das fehlt hier schlicht. Und das wird irgendwann dazu führen, dass wir ganz große Probleme kriegen werden.

Noch mal ein Blick auf den Bürokratieabbau, da sagten Sie, dass Ihnen das zu vage ist. Hätten Sie sich explizitere Maßnahmen in diesem Papier gewünscht?

Boysen-Hogrefe: Es ist sehr schwierig da explizitere Maßnahmen zu benennen. Das muss man auch dazu sagen. Das hängt sehr davon ab, was jetzt in den nächsten Monaten und Jahren dieser Koalition passieren wird. Dass ein Ministerium zur Staatsmodernisierung gebildet wird, das klingt erst mal ganz gut. Aber man muss natürlich dazu sagen, dass wahrscheinlich erst mal zusätzliche Bürokratie geschaffen wird, um dem Ziel näher zu kommen. Und das, was es dann auch braucht ist nicht nur die Bundesverwaltung wie angekündigt zu verkleinern, sondern es braucht ja vor allem auch einen Leitfaden, welche Aufgaben, welche Regulierungen wegfallen können.

Was bedeutet die Einigung nun für Deutschland als Akteur innerhalb der Europäischen Union und auch auf weltpolitischer Ebene, wo es ja gerade auch durchaus turbulent ist?

Boysen-Hogrefe: Der Umstand, dass eine handlungsfähige Regierung erst mal da ist und auch der Umstand, dass einige Politikfelder jetzt geeinigt worden sind (...), spricht natürlich schon dafür, dass es da ein Deutschland gibt, welches auf die Schwierigkeiten, die es im außenwirtschaftlichen Umfeld, in der internationalen Politik gibt, entschiedener reagieren kann, als es bis dato der Fall gewesen ist.

Das Interview führte Hannah Böhme, NDR Schleswig-Holstein.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein 18:00 | 09.04.2025 | 18:00 Uhr