Ein Kellner trägt ein Tablett mit Getränken

Schleswig-Holstein Freude beim Wirt, Skepsis beim Windplaner: Das sagt SH zum Koalitionsvertrag

Stand: 10.04.2025 20:30 Uhr

Der DEHOGA begrüßt, dass die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent gesenkt werden soll, der Flüchtlingsrat hält das Papier für menschenfeindlich und teilweise rechtswidrig: Die Reaktionen auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD sind unterschiedlich.

CDU, CSU und SPD haben am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag in Berlin vorgestellt. NDR Schleswig-Holstein hat einige Punkte aus dem Papier und die Reaktionen im Norden darauf analysiert.

Windenergie:

Was steht im Koalitionsvertrag?

Die künftige Bundesregierung kündigt an, die Windenergie grundsätzlich weiter ausbauen zu wollen. Das Tempo des Ausbaus der Anlagen soll aber dem Netzausbau angeglichen werden. Dafür könnten sogenannte Engpassgebiete ausgewiesen werden. In diesen Gebieten kann der Ausbau eingeschränkt werden. Die Flächenziele, also die für Windkraftanlagen ausgewiesenen Landesflächen, sollen nochmal überprüft werden.

Wie reagiert der Norden?

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sieht in den Aussagen des Koalitionsvertrags ein gutes Zeichen für den Norden. "Der Ausbau von Windkraft soll genau in der Form auch stattfinden, wie vereinbart. Das ist auch für uns in Schleswig-Holstein sehr, sehr wichtig", sagte er NDR Schleswig-Holstein.

Ganz anders sieht Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) die Lage. Es seien viele Fragezeichen an den weiteren Ausbau der Windkraft gemacht worden. Der Koalitionsvertrag schlage beispielsweise vor, dass in bestimmten Regionen der Ausbau der Windkraft gebremst werden solle, weil Netzengpässe da seien. "Eigentlich müsste aber gefragt werden: Wie kriege ich das Stromnetz so gebaut, dass die erneuerbaren Energien aufgenommen werden können?", so Goldschmidt. "Wir sollten nicht wackeln, sondern wir sollten fragen: Wie können wir die Energiewende weiter beschleunigen, damit wir nie wieder in die Abhängigkeit kommen von russischen oder amerikanischen Gasexporten?"

Auch Kai von Garrel vom Planungsbüro für Windkraft "Plan 8" in Eckernförde (Kreis Rendsburg-Eckernförde) beobachtet mit Skepsis, dass überprüft werden soll, ob Flächenziele bestehen bleiben. "Für uns ist es ganz wichtig, dass es bestehen bleibt. Wir als Unternehmen haben viele Projekte, wo wir schon Prozesse wie eine Bauleitplanung angestoßen haben." Wenn diese Projekte nicht mehr realisiert werden könnten, werde das wirtschaftliche Folgen für die Unternehmen haben.

Gastronomie:

Was steht im Koalitionsvertrag?

Die Umsatzsteuer, auch Mehrwertsteuer genannt, soll in der Gastronomie im Jahr 2026 für Speisen von 19 auf dauerhaft sieben Prozent gesenkt werden. Dokumentationspflichten für Gastronomie, Hotellerie, Handwerk, Einzelhandel und Landwirtschaft sollen abgebaut werden. Nachweispflichten, Statistikpflichten und Pflichten zur Datenerhebung werden demnach reduziert.

Wie reagiert der Norden?

Stefan Scholtis, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel und Gaststättenverbandes (DEHOGA) in Schleswig-Holstein, sieht darin ein "wichtiges Zeichen". Die geplante Mehrwertsteuersenkung sei eine "enorme Erleichterung" für die Gastronomen. "Jetzt hat man eine Planungssicherheit. Da hat die Branche sehnsüchtig drauf gewartet." Viele Betriebe hätten die Mehrwertsteuersenkung aber gerne schon in diesem Jahr gehabt, merkt Thorsten Meyer vom Hotel Strandräuber in Kalifornien in Schönberg (Kreis Plön) an. Die geplante Entbürokratisierung begrüßen Scholtis und Meyer. "Gaststättengesetz, Infektionschutzgesetz, Kassensicherungsverordnung: Wir haben insgesamt 124 Verordnungen in der Gastronomiebranche. Es wurde ausgerechnet, dass man mindestens einen Tag im Büro verbringen muss, um diese ganzen Dokumentationspflichten zu erfüllen", berichtet Meyer. Das zu verschlanken, helfe enorm.

Handwerk:

Was steht im Koalitionsvertrag?

Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß gesenkt, Umlagen und Netzentgelte reduziert werden. Das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, auch bekannt als Lieferkettengesetz, wird laut Koalitionsvertrag abgeschafft - und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt. Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen dazu, bestimmte Umwelt- und Menschenrechtsstandards einzuhalten. Und die Dokumentationspflichten sollen auch im Bereich Handwerk abgebaut werden.

Wie reagiert der Norden?

"Für die Betriebe bedeutet das, dass sie jetzt Richtschnüre für die nächsten vier Jahre haben", sagt Andreas Katschke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) Lübeck. Die Kostenentlastungen, zum Beispiel durch die geplante Senkung der Stromsteuer, seien sehr wichtig für die Handwerksbetriebe. Auch den Bürokratieabbau begrüßt er. Wenn Betriebsinhaber nicht mehr die Unterlagen für das Lieferkettengesetz ausfüllen müssten, vereinfache das vieles. Auch UV-Nord-Präsident Philipp Murmann sieht es als wichtigen Schritt, das Lieferkettengesetz abzuschaffen. Mit Sorge blickt Katschke auf die steigenden Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge. Diese Lohnzusatzkosten könnten für viele Betriebe noch problematisch werden.

Schule und Kita:

Was steht im Koalitionsvertrag?

Es sind bundesweite Sprachtests für Vierjährige geplant. Außerdem sollen Sprach-Kitas zusätzlich gefördert werden. Das Startchancen-Programm, das sogenannte Brennpunktschulen fördert, soll fortgesetzt und auf Kitas ausgeweitet werden. Geplant sind außerdem ein neuer Digitalpakt und ein neues Investitionsprogramm für Schulen. Die künftige Bundesregierung will zudem den Ganztagsausbau fördern.

Wie reagiert der Norden?

In diesem Punkt sei die schleswig-holsteinische Handschrift erkennbar, sagte Ministerpräsident Daniel Günther: Sprach- und Startchancen-Kitas sowie der Digitalpakt Schule seien zentrale Forderungen, die Bildungsministerin Karin Prien (CDU) schon in Schleswig-Holstein und bundesweit vorangetrieben habe.

Bernd Schauer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Schleswig-Holstein, begrüßt grundsätzlich die Pläne der künftigen Regierung. Er betont aber auch: "Sprachtests für Vierjährige sind kein Allheilmittel. Entscheidend ist nicht der Test. Das entscheidende ist die anschließende Förderung." Hier fehle es aber an Fachkräften und "wir haben Sorge, dass die Mittel für die Kindertagesstätten einfach nicht ausreichen."

Ein Investitionsprogramm für Schulen sei "unbedingt erforderlich." Nur eine gute Lernumgebung bringe auch bessere Leistungen von Schülerinnen und Schülern. Auch, dass mit dem Startchancen-Programm "Kinder und Jugendliche aus armen Familien und Schulen in besonders schwierigen Umfeldern unterstützt werden, ist absolut wichtig und richtig", so Schauer. Grundsätzlich sei die GEW aber misstrauisch, "dass die Mittel tatsächlich ausreichen und dass man alles auch in einem vernünftigen Rahmen macht."

Migration:

Was steht im Koalitionsvertrag?

An allen Bundesgrenzen sollen Kontrollen stattfinden. Zudem will die künftige Regierung die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten vergrößern. Die Koalition kündigt zudem an, die Einrichtung von Bundesausreisezentren zu prüfen. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bekommen laut Koalitionsvertrag künftig kein Bürgergeld mehr, sondern stattdessen Leistungen für Asylbewerber. Die schnelle Einbürgerung soll wieder abgeschafft werden. Die früheste Einbürgerung ist laut Koalitionsvertrag künftig nach fünf Jahren möglich. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll gestoppt werden und die Bezahlkarte für Geflüchtete soll nach den Plänen bundesweit wieder eingeführt werden.

Wie reagiert der Norden?

Der Koalitionsvertrag offenbare ein "migrationspolitisches Gesamtbild von großer Rückschrittlichkeit", kritisierte der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Besonders fatal sei die angedachte Ausweitung von Haftmöglichkeiten. "Mit sogenannten Ausreisezentren, in denen Bewegungsfreiheit faktisch abgeschafft wird, sowie neuen Kompetenzen für die Bundespolizei zur Anordnung von Ausreisegewahrsam, droht eine massive Zunahme rechtswidriger Inhaftierungen", so der Flüchtlingsrat. Kritisch sieht er auch die angekündigten Grenzkontrollen: "Pushbacks an deutschen Außengrenzen sind bereits jetzt gängige, jedoch rechtswidrige Praxis." Der geplante Stopp des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte zwinge "Schutzsuchende auf lebensgefährliche Routen und nimmt ihren Tod im Verfolgerstaat oder auf dem Meer willentlich in Kauf." Der Flüchtlingsrat kritisiert außerdem, dass "Unrechtsregime, wie Tunesien oder Algerien trotz der verheerenden Menschenrechtslage vor Ort" als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden sollen.

Weitere für Schleswig-Holstein interessante Punkte im Koalitionsvertrag:

  • Küstenschutz: Es soll mehr Geld für den Küstenschutz geben. Dabei geht es um Gelder der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK).
  • Die Genehmigungsverfahren bei Hochwasser- und Küstenschutz sollen beschleunigt werden.
  • Die CCS-Technik (Carbon Capture and Storage-Technik) soll ermöglicht werden. Das bedeutet, dass Kohlenstoffdioxid (CO2) offenbar auch unter der Nordsee verpresst werden darf.
  • Die Koalition will den Einstieg deutscher Werften in die Produktion von Offshore-Konverterplattformen unterstützen. Darunter versteht man große Umspannwerke auf dem Meer, die den Strom von Offshore-Windparks aufnehmen, umwandeln und per Seekabel an das Festland weiterleiten.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 10.04.2025 | 17:00 Uhr