Sachsen-Anhalt 40 Jahre "Schwerter zu Pflugscharen": Eine Schmiedeaktion mit Folgen
Als der Wittenberger Kunstschmied Stefan Nau am Abend des 24. September 1983 aus einem Schwert eine Pflugschar schmiedete, hallten die Schläge weiter als gedacht. Sogar das Westfernsehen sendete die Bilder. Doch Stasi und SED-Führung waren von der Aktion gleichermaßen überrascht. Obwohl die Friedensbewegung beflügelt wurde, änderte sich am Rüstungswettlauf nichts. Das Jubiläum der Schmiedeaktion wird am Donnerstag in Wittenberg gefeiert.
2017 wurde in Wittenberg das drei Meter hohe Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen" eingeweiht – mit dabei der Initiator der Friedensaktion 1983, Friedrich Schorlemmer.
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- Vor 40 Jahren hatte in Wittenberg eine pazifistische Aktion für Aufsehen gesorgt.
- Angelehnt an das Bibel-Zitat "Schwerter zu Pflugscharen" entstand der Name der Friedensbewegung.
- Symbol und Botschaft wirken bis heute nach.
Der Kirchentag in Wittenberg 1983 war für die Stasi ein Großeinsatz, auch weil westdeutsche Politiker vor Ort waren, unter anderem Richard von Weizsäcker, damals noch regierender Bürgermeister von Westberlin und später Bundespräsident. Folglich waren unter den mehr als 1.000 Menschen im Wittenberger Lutherhof auch einige Stasi-IM. Was sich dort dann abspielte, schien den anwesenden Geheimdienstleuten so wichtig zu sein, dass sie noch am selben Abend einen Bericht verfassten. Um 22:30 Uhr setzen zwei Augenzeugen der Stasi eine Sofortmeldung ab: "Unter viel Beifall mit Hei- und He-Rufen wurde das Schmiedefeuer dazu benutzt, um symbolhaft ein Schwert zum Pflugschar zu schmieden."
Die Stasi war überrascht
30 Jahre später erinnerte sich einer der Organisatoren, der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer, noch immer mit einer gewissen Freude daran, seinerzeit die Staatssicherheit überlistet zu haben: "Außer unserer Gruppe wusste niemand, was wir vorhaben. Doch Gott wusste es. Aber die Staatssicherheit wusste es auch nicht, weil sie gerade ihre Spitzelin, abgeschaltet hatte. Es waren Massen da, und die Stasi fürchtete, das könnte Ärger geben. Außerdem wollte der Genosse Erich Honecker doch gerne mal den Weizsäcker treffen." Und da hätte ein hartes Eingreifen der Staatsmacht wohl nicht gerade die Chancen verbessert.
Die Stasi war überrumpelt und konnte, glaube ich, nichts machen, weil sie keinen Befehl kriegte. Die waren in Massen da, weil sie fürchteten, es könnte Ärger geben. Der Genosse Erich Honecker wollte doch gerne mal den Weizsäcker treffen. Friedrich Schorlemmer, Theologe |
Atom-Angst und Nato-Doppelbeschluss
Allerdings waren auch etliche westdeutsche Journalisten vor Ort, die jedoch in ihren Berichten die Aktion ebenso unerwähnt ließen wie der Ehrengast von Weizsäcker tags darauf in seiner Kirchentagsrede. Stattdessen ging er auf Distanz zu pazifistischen Bestrebungen. Denn tatsächlich fiel die Wittenberger Aktion in eine Zeit großer Debatten, auch in Westeuropa. Der Nato-Doppelbeschluss sorgte dafür, dass Hunderttausende gegen eine weitere atomare Aufrüstung demonstrierten. Der in Wittenberg so offen inszenierte Pazifismus wurde also sowohl in Ost wie West durchaus auch argwöhnisch verfolgt. Nur zwei Monate nach der Wittenberger Aktion, im November 1983, billigte der Deutsche Bundestag die Stationierung von atomaren Raketen und Marschflugkörpern auf dem Territorium der Bundesrepublik.
Pazifismus am Jackenärmel
So wundert es nicht, dass es ein bundesdeutscher Korrespondent des evangelischen Pressedienstes war, der die Bilder erst Wochen später in der ARD veröffentlichte. Erst das machte die Aktion dann weit über die Lutherstadt Wittenberg hinaus bekannt. Allerdings war das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" schon länger Teil der kirchlichen Friedensbewegung und mit einiger List gewählt. Denn das Bibelzitat war eigentlich der Titel einer Statue, welche die Sowjetunion der UNO geschenkt hatte, als Zeichen für das Bemühen um eine friedliche Welt.
Was heute Sticker sind, waren seinerzeit Aufnäher und solche brachte dann die evangelische Kirche tausendfach in Umlauf, mit dem Bild des sowjetischen Friedensbringers. Nach kurzer Irritation verbot die DDR den Aufnäher und Volkspolizisten kontrollierten nicht nur Aufnäher, sondern auch Jackenärmel. Wohl auch deshalb galt es unter jungen Leuten als chic, sodass sich DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann vor der Volkskammer zu einer Reaktion genötigt sah: "Unsere Soldaten tragen ihre Waffen für den Frieden. So gerne wir auch unsere Waffen verschrotten werden, noch braucht der Sozialismus, braucht der Frieden Pflugscharen und Schwerter."
Das Friedenssymbol wird bis in die Gegenwart genutzt. (Archivbild)
Pazifismus erneut in der Kritik
Damals bei der Friedensaktion in Wittenberg dabei war auch Friedrich Kramer, der heutige Bischof der evangelischen Landeskirche Mitteldeutschland. Er ist zugleich der Friedensbeauftragte aller evangelischen Kirchen in Deutschland und sorgte vor allem mit seiner Kritik an den Waffenlieferungen für die Ukraine für Aufsehen. Aus Sicht von Kramer ist es notwendig, immer wieder diese Debatte zu führen: "Nach der Uno-Charta besteht das Recht auf Verteidigung solange, bis die Weltgemeinschaft geeignete Schritte zur Beendigung des Konflikts gefunden hat. Da passiert zu wenig."
Das Recht auf Verteidigung ist unbestritten. Friedrich Kramer, Bischof der evangelischen Landeskirche Mitteldeutschland |
Kramer fordert einen Sichtwechsel ein: Nicht um Sieg müsse es gehen, sondern um Frieden, so schwierig das derzeit auch sei. "Es ist unbestritten, dass die Ukraine das Recht hat, ihr Land zurückzuerobern. Ob das realistisch ist, wie viele Menschenleben das kostet, was die weiteren Eskalationsgefahren sind – das aber sind Fragen, die mitbedacht werden müssen."
Neue Debattenkultur nötig
Dass in der Wende der Ruf "Keine Gewalt" laut wurde, ist sicherlich auch eine Folge der Friedensbewegung, denn viele Montagsdemonstrationen starteten ja mit Friedensgebeten in den Kirchen. In der Debatte um Waffenlieferungen trafen die Ansichten in den evangelischen Landeskirchen zunächst sehr hart aufeinander. Allerdings habe sich nun nach anfänglichen auch sehr persönlichen Auseinandersetzungen eine neue Debattenkultur etabliert, so Kramer: "Wir haben als Evangelische Kirche in Deutschland gezeigt, dass wir mehrstimmig darüber nachdenken, weil die Sachlage sehr komplex ist, je nachdem, von wo man sie betrachtet. Damit, glaube ich, haben wir für unsere gesamtgesellschaftliche Kultur einen wichtigen Beitrag geleistet, nämlich, dass man nicht einander niederbrüllt und beschimpft und diffamiert, sondern einander zuhört."
Bischof Kramer sieht in Waffenlieferungen eine Eskalationskurve.
Wittenberg erinnert mit Friedensfest an die Bewegung
Eine Abrüstung beim Reden ist in einer Zeit gesellschaftlicher Aufregung vielleicht auch schon ein erster Schritt in Richtung Entspannung. Mit einem Bürgerfest in Wittenberg wurde sowohl an die Aktion vor 40 Jahren erinnert, als auch die Debatte fortgeführt, um den richtigen Weg zum Frieden.
MDR (Uli Wittstock, André Plaul)