Der Schriftzug Sächsischer Landtag ist an der Fassade des Gebäudes montiert.

Sachsen Wirtschaft und Sozialträger schlagen Alarm: Minderheitsregierung muss schnell Probleme lösen

Stand: 18.11.2024 16:11 Uhr

Premiere für Sachsen. Nachdem es jahrzehntelang immer eine parlamentarische Mehrheit für die Landesregierung gab, könnte in Kürze erstmals eine Minderheitsregierung gebildet werden. CDU und SPD streben das an und wollen Koalitionsgespräche starten. Doch wie gut kann eine Landesregierung funktionieren, der von vornherein zehn Stimmen fehlen? MDR SACHSEN hat sich bei Akteuren aus dem sozialen Bereich, der Wirtschaft und den Kommunen umgehört. Die Minderheitsregierung ist auch Thema bei "Fakt ist!" im MDR FERNSEHEN.

Von Stephan Hönigschmid, MDR SACHSEN

Während CDU und SPD in Sachsen über eine Minderheitsregierung verhandeln, hat die unklare Lage bereits erste Konsequenzen. Besonders bei den sozialen Trägern ist die Situation alles andere als einfach. "Für uns ist es wichtig, dass es schnell eine Regierung gibt, die einen Haushalt aufstellt, weil sonst bei uns zahlreiche Angebote bedroht sind", sagt der Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Sachsen, Kai Kranich. Das DRK sei kein Wirtschaftsunternehmen und habe daher keinen finanziellen Puffer. "Wir versuchen zwar momentan in Vorleistung zu gehen, aber in dem Glauben, dass das auch refinanziert wird."

Stellenstreichungen im sozialen Bereich

Die Kommunen, die per Schlüsselüberweisung Geld vom Land bekämen, hätten aufgrund der schwierigen Haushaltslage schon viele freiwillige Leistungen gestrichen, mit denen unter anderem die DRK-Angebote bezahlt werden, erklärt Kranich. "In fünf Kommunen in Sachsen sind bereits Stellen in der Schulsozialarbeit weggefallen. Allein in Dresden betrifft das vier Stellen." Schwierig sehe es auch für die Schulbegleiter des DRK aus, die sich um Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen kümmern.

"Die Schulbegleiter, die Sozialarbeiter und auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Schuldnerberatung, sind alles Menschen, die Berufe ausüben. Die brauchen Sicherheit und müssen planen können." Ob eine Minderheitsregierung in der Lage wäre, diese Aufgaben zu bewältigen, will der Sprecher nicht bewerten. Stattdessen antwortet er grundsätzlich: "Im Sozialen ist Zuverlässigkeit und Planbarkeit besonders wichtig. Daher hoffe ich, dass das gelingt", sagt Kranich.

Angesichts der zahlreichen Herausforderungen darf es keine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners werden. Jörg Dittrich | Präsident der Handwerkskammer Dresden

Neben den sozialen Trägern schauen auch die Handwerker im Freistaat gespannt darauf, was sich nach dem Scheitern der Verhandlungen zur Brombeerkoalition in Sachsens Landespolitik tut. Es sei positiv, dass CDU und SPD Verantwortung im Freistaat übernehmen. Allerdings werde die Arbeit in der geplanten Minderheitsregierung sicher nicht einfach, sagt der Dresdner Handwerkskammerpräsident Jörg Dittrich.

"Angesichts der zahlreichen Herausforderungen darf es keine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners werden. Aus Sicht des Handwerks braucht es mutige Entscheidungen für das Land." Er wünsche sich, dass der Wohnungsbau angekurbelt und der Bürokratieabbau entschlossen angepackt werden. "Des Weiteren ist es zwingend notwendig, dass die Haushalte der Kommunen und Landkreise finanziell stabilisiert werden", sagt auch Dittrich.

IHK: Wirtschaft braucht Zuversicht und Verlässlichkeit

Der Chemnitzer IHK-Präsident Max Jankowsky sieht das ähnlich. Er erwartet auch von einer Landesregierung ohne eigene Mehrheit Zuversicht, Planbarkeit und Berechenbarkeit. "Bei einer Minderheitsregierung besteht die Gefahr, dass es einen permanenten Wahlkampf gibt. Das können wir uns jedoch nicht leisten. Bei wichtigen Entscheidungen, gerade auch in der Wirtschaft, müssen wir handlungsfähig bleiben", sagt Jankowsky.

Für ihn hat das auch eine psychologische Komponente. "Bei unserer Erhebung zur Herbstkonjunktur haben wir momentan dieselben Zahlen wie zur Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Wir müssen aufpassen, dass aus diesem Pessimismus keine Angst wird."

Umso mehr solle die Landesregierung vermitteln, dass man sich auf sie verlassen kann. "Das ist so, wie wenn man privat mal 'ne schlechte Phase hat und dann weiß, dass man immer in sein Elternhaus zurückkehren kann. Dieses Gefühl, ein stabiles Netz hinter sich zu haben, ist auch wichtig für den Wirtschaftsstandort", bekräftigt Jankowsky.

Bei unserer Erhebung zur Herbstkonjunktur haben wir momentan dieselben Zahlen wie zur Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Max Jankowsky | Präsident der IHK Chemnitz

Kommunen finanziell am Limit

Wenig optimistisch blickt der Colditzer Bürgermeister Robert Zillmann (parteilos) auf eine mögliche Minderheitsregierung in Sachsen. "Ich sehe gerade keine Ansätze in Dresden, die sich wirklich mit den elementaren Problemen der Kommunen beschäftigen. Städte und Gemeinden, aber auch Landkreise, werden aufgrund der extrem gestiegenen Sozialkosten gegenwärtig fast in die Insolvenz getrieben."

Er habe seine Zweifel, dass eine Minderheitsregierung in der Lage sein werde, das bestehende System umzukrempeln, "einfach, weil man auf verschiedene Mehrheiten angewiesen sein wird". Der Sanierungsstau sei das größte Problem, da es Gelder oft nur für den Neubau, aber nicht für die Instandhaltung gebe. "Wir haben in Colditz Turnhallen, wir haben Schulen, wir haben Kindergärten und wir haben zahlreiche kleine Brücken, die saniert werden müssen. Aber dafür fehlt das Geld."

Ich sehe gerade keine Ansätze in Dresden, die sich wirklich mit den elementaren Problemen der Kommunen beschäftigen. Robert Zillmann (parteilos) | Bürgermeister von Colditz

Der Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages, Bert Wendsche (parteilos), pflichtet ihm bei: "Wir erwarten von einer neuen Staatsregierung, dass sie sich an die Zusagen aus den Verhandlungen zum kommunalen Finanzausgleich vom Juni 2024 hält und die vereinbarten Finanzausgleichszuweisungen zur Verfügung stellt. Die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen in den Kommunen öffnet sich immer weiter, die Defizite werden größer."