Nordrhein-Westfalen Scholz oder Pistorius? NRW-Abgeordnete gehen auf Distanz zum Kanzler
Auch in NRW diskutiert die SPD, wer Kanzlerkandidat werden soll. Es gibt Fans von Boris Pistorius - aber auch Scholz hat Unterstützer. Zwei wichtige NRW-Bundestagsabgeordnete äußern sich jetzt aber kritisch zu einer Kandidatur des Kanzlers.
"Im Zentrum steht die Frage, was die beste politische Aufstellung jetzt für diese Bundeswahl ist. Dabei hören wir viel Zuspruch für Boris Pistorius", erklärten Dirk Wiese und Wiebke Esdar. Die beiden sind die Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag. Ihre Aussagen gegenüber dem WDR haben die Debatte um die K-Frage bei den Sozialdemokraten nochmal zugespitzt.
Die Bielefelder SPD-Bundestagsabgeordnete Wiebke Esdar
Interessant ist: Sie vertreten zwei Flügel der Partei: Esdar ist Co-Vorsitzende der Gruppe der Parlamentarischen Linken und Wiese der Co-Vorsitzende des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Fraktion.
Der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese aus dem Hochsauerlandkreis
Wiese und Esdar berichten von einer kritischen Debatte in den Wahlkreisen und betonen außerdem: "Das aktuelle Ansehen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist stark mit der Ampel-Koalition verknüpft. Mit einigem Abstand werden seine Arbeit und seine Entscheidungen für unser Land mit Sicherheit weitaus positiver beurteilt werden." Klar sei aber, dass "letztlich die Parteigremien über die Frage der Kanzlerkandidatur entscheiden, das ist auch der richtige Ort dafür".
Kritik am Statement von Wiese und Esdar
Die Positionierung der beiden sorgt innerhalb der SPD-Landesgruppe für Kritik. "Dieses Statement der Vorsitzenden ist nicht in der NRW-Landesgruppe beschlossen worden", sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer der Nachrichtenagentur Reuters am Montagabend. "Es ist missverständlich, schwächt den Bundeskanzler und hat bei den SPD-Bundestagsabgeordneten keine Mehrheit. Ich habe sofort eine Sondersitzung der NRW-MdBs beantragt."
SPD-Spitze für Scholz
Unter anderem die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie der Generalsekretär Matthias Miersch hatten sich zuletzt klar für Scholz ausgesprochen. Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich aus Köln, hatte allerdings ein "Grummeln" an der Parteibasis eingeräumt. Dieses Grummeln wird nun offenbar lauter.
"Grummeln" an der SPD-Basis
Wie sehr die Partei angesichts chronisch schlechter Umfragewerte mit sich ringt, zeigt ein Blick in einzelne NRW-Städte. Der Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete Andreas Rimkus sagte dem "Stern": "Wir haben einen Kanzler. Und deshalb haben wir auch einen Kanzlerkandidaten."
Rimkus tritt allerdings nicht wieder an. Der neue Kandidat im Düsseldorfer Süden ist Adis Selimi. Der 30-Jährige sagte am Montag dem WDR: "Olaf Scholz hat als Kanzler herausragende Arbeit geleistet. Es ist für ihn nach dem Ampel-Aus natürlich eine schwierige Situation. Boris Pistorius ist ein sehr beliebter Verteidigungsminister." Das merke er in seinem Wahlkreis, so Selimi.
"Für uns als Partei ist es eine interessante Situation. Die SPD wird den Kanzlerkandidaten nominieren und dann treten wir gemeinsam als Team an. Ich denke, das ist der richtige Kurs." Eine klare Festlegung auf Scholz vermeidet der junge Direktkandidat also.
Selimi antwortet ähnlich ausweichend wie Pistorius, der seit Wochen in Interviews erklärt, dass er aktuell die Kanzlerkandidatur nicht anstrebt. Allerdings lässt sich Pistorius dabei auch die Möglichkeit offen. "In der Politik sollte man nie irgendetwas ausschließen", sagte er etwa am Montag bei einer Veranstaltung der Mediengruppe Bayern.
Das Einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, dass ich noch Papst werde.
Boris Pistorius
Pistorius hat laut Umfragen viel bessere persönliche Beliebtheitswerte als Scholz. Eine knappe Mehrheit der SPD-Anhänger hält den amtierenden Kanzler nicht für einen guten Kanzlerkandidaten.
Eine Überlebensfrage für die SPD?
Serdar Yüksel von der Bochumer SPD
Wie in Düsseldorf sieht es in Bochum aus: eine Partei, zwei Meinungen zur K-Frage. Die Stimmung in der Partei spreche klar für einen Wechsel, sagte Serdar Yüksel, der für die SPD in Bochum in den Bundestag strebt, dem "Stern". "Wenn Sie in der SPD die Mitglieder befragen würden, wären 80 Prozent für Pistorius." Ob Scholz noch einmal antrete, sei auch nicht allein seine persönliche Entscheidung. "Es geht jetzt um die Frage, ob die SPD überlebt."
Der bisherige Bochumer SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer hält dagegen. Bei einer internen Abstimmung in einem Bochumer Stadtbezirk seien 70 Prozent der Delegierten für Scholz gewesen, 30 Prozent für Pistorius. Schäfer hält den Kanzler "fachlich" für die beste Option. Zudem habe sich Scholz bei der Kommunikation verbessert.
Schäfer fordert einen schnellen Beschluss der SPD-Spitze für Scholz als Kandidat: "Das erwarte ich jetzt vom Parteivorstand."
Die NRW-SPD hat bei der Bundestagswahl einiges zu verlieren. 2021 waren die Sozialdemokraten auch im bevölkerungsreichsten Bundesland stärkste Kraft geworden. 2025 droht hingegen eine schwere Niederlage gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU).
Sarah Philipp, Co-Landeschefin der NRW-SPD
Die Co-Vorsitzende der Landes-SPD, Sarah Philipp, sagt: "Die Partei stellt sich für einen kurzen und intensiven Wahlkampf auf. Dass mit Olaf Scholz und Boris Pistorius gleich zwei Sozialdemokraten zugetraut wird, ein guter Kanzler zu sein, ist dabei eine Stärke." Auch NRW-Juso-Chefin Nina Gaedike sagt: "Einen Automatismus bei der Besetzung der Kanzlerkandidatur gibt es nicht." Also: Nichts ist ausgeschlossen.
Kevin Waldeck, junger SPD-Bundestagskandidat im Wahlkreis Wesel I, hingegen warnt: "Angesichts der Kürze der Zeit, wäre es meiner Meinung nach keine gute Idee, jetzt noch den Kandidaten auszuwechseln." Auch in seinem Wahlkreis höre er immer wieder Stimmen, die für Pistorius als Kanzlerkandidat seien. Waldeck: "Aber er ist beliebt als Verteidigungsminister. Sobald wir ihn aufs Schild heben als Kanzlerkandidat, kann sich das ändern – da es dann auch um andere Themen geht."
Politologe: NRW nimmt Einfluss
Politologe Thomas Poguntke
Der SPD-Landesverband NRW spiele eine wichtige Rolle in der aktuellen Debatte, analysiert der Düsseldorfer Parteienforscher Thomas Poguntke. Die NRW-SPD stelle viele Delegierte auf dem Parteitag.
49 der 207 sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag kommen aus Nordrhein-Westfalen. "Da Bundestagsabgeordnete gerne wieder gewählt werden wollen und ihre Wahlkreisorganisationen ein sehr großes Interesse daran haben, im Bundestag mit einem Bundestagsabgeordneten vertreten zu sein, wird ein großer Landesverband immer sein Gewicht in eine Kandidatendiskussion einbringen." Schließlich sei der Spitzenkandidat wichtig für das Wahlergebnis, so der Politologe.
Unsere Quellen:
- WDR-Recherchen
- Statement von SPD-Abgeordneten Dirk Wiese und Wiebke Esdar
- WDR-Interviews mit Schäfer, Selimi, Poguntke und Waldeck
- Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Infos des Nachrichtenmagazins "Stern"