Hessen Wie Radfahrer in Kassel zum Streumittel-Tester werden
Schnee und Eis auf Radwegen erhöhen die Unfallgefahr. In Kassel soll Radfahren im Winter sicherer werden. Hier wurde jetzt eine Teststrecke für Streumittel eingerichtet - jeder kann mitmachen.
Holzspäne, Splitt und Salz - all das sind Streumittel im Winter. Doch welches Produkt ist für Radwege am besten geeignet? In Kassel lässt man jetzt fünf verschiedene Produkte von Radfahrern und Fußgängern testen.
Die Fahrradroute 4 zwischen dem Kasseler Hafen und Niestetal ist daher seit Mitte November in fünf gekennzeichnete Abschnitte eingeteilt. Auf dieser Strecke pendeln besonders viele Radfahrer.
Durch die Kennzeichnung der Abschnitte können Nutzerinnen und Nutzer erkennen, über welches Streumittel sie gerade fahren, erklärte Anne Grimm, die Fahrradbeauftragte der Stadt, beim Ortstermin.
Jeder Abschnitt der als gemeinsamer Geh- und Radweg ausgewiesenen Strecke wird in den Wintermonaten mit einem anderen Streumittel gestreut.
Bewertung mit QR-Code und Smartphone
Mit der ungewöhnlichen Teststrecke und der Möglichkeit zur Bewertung wollen die Stadtreiniger das perfekte Anti-Rutsch-Mittel für den Winter finden. Durch QR-Codes an der 500 Meter langen Strecke können alle "Tester" ihr Votum abgeben und die einzelnen Abschnitte beurteilen.
Das Ziel: Weil immer mehr Menschen auch im Winter mit dem Rad fahren, sollen sie bei jeder Witterung sicher von A nach B kommen. Besonders, wo es bei dem nassen Wetter auf dem Boden schnell frieren kann.
Welches Streumittel macht den Untergrund besonders sicher? Wo sorgen Granulate oder grobe Partikel für Rutschgefahr in den Kurven? Und wie können Wege sicher werden, ohne die Umwelt zu belasten?
Fünf Mittel mit Vor- und Nachteilen
Auf der Teststrecke kommen Sole, Späne aus Holz, Splitt, klassisches Steinsalz und ein salzfreies Granulat zum Einsatz. Jedes Mittel hat Vor- und Nachteile. So eigne sich die wässrige Salzlösung vor allem bei geringem Frost, heißt es in einer Mitteilung der Stadt.
Holzspäne kommen vor allem in anderen europäischen Ländern zum Einsatz. In Kassel werden sie jetzt erstmals getestet. Sind die Späne ein Ersatz für Splitt, der bisher auf gemeinsamen Geh- und Radwegen eingesetzt wird und dort laut Stadt "keine ausreichende Wirkung erzielt"?
Welches Streumittel ist für Geh- und Radwege am geeignetsten: das wird in Kassel getestet.
Das salzfreie Granulat soll laut Hersteller ungiftig für Tiere, Pflanzen und Wasserorganismen sein und sich biologisch abbauen. Es basiert zu 87 Prozent auf einem Natriumsalz der Ameisensäure (Natriumformiat). Der Nachteil: es ist deutlich teurer als herkömmliches Steinsalz.
Platte Reifen, wunde Hundepfoten
Ein Kriterium für die Stadt ist auch die Umweltverträglichkeit der eingesetzten Mittel. Stadtklimarätin Simone Fedderke (Grüne) erhofft sich durch den Test Erkenntnisse für weitere Winter.
Die Umstellung auf umweltverträgliche Streumittel sei "ein wichtiger Schritt zu einem umweltfreundlichen Winterdienst, der Mensch und Natur schützt", so Fedderke. Denn Salz und Splitt sind nicht nur für die Umwelt ein Problem.
Man habe immer wieder Rückmeldungen von Radfahrern bekommen, dass die feinen Steine die Reifen zerstören, berichtet Tobias Schmidt von den Stadtreinigern. Hundebesitzer hätten zurückgemeldet, dass Salz die Pfoten ihrer Vierbeiner angreife.
ADFC: Rollsplitt "komplett ungeeignet"
Auch beim Allgemeinen deutschen Fahrradclub (ADFC) hält man Rollsplit für "komplett ungeeignet", wie der hessische Landesvorsitzende Ansgar Hegerfeld dem hr auf Anfrage mitteilte. Durch die scharfen Kanten würden "Fahrradreifen binnen kürzester Zeit zerstört" - je nachdem, welche Mischung eingesetzt werde.
Die in Kassel getestete Salzsole habe Nachteile im Bereich Umweltschutz, so Hegerfeld, und solle deshalb nur sparsam eingesetzt werden. Wichtig sei, frisch gefallenen Schnee schnell zu beseitigen, bevor er festgefahren und zu Glatteis wird.
Radwege zuerst räumen?
Dazu fordert der ADFC sichere und ganzjährig befahrbare Radwege - und sieht Verbesserungsbedarf. Ein nennenswerter Winterdienst auf Radwegen sei in Hessen "leider eher die Ausnahme als die Regel", so Hegerfeld.
Der Winterdienst auf Radwegen müsse mindestens dieselben Zeiten abdecken wie bei den Fahrbahnen, forderte Hegerfeld und geht sogar noch einen Schritt weiter: Wegen der höheren Sturzgefahr auf zwei Rädern sollten Radwege im Zweifelsfall zuerst geräumt werden.
Nach dem Winter wird man in Kassel genau schauen, wie die einzelnen Streumittel abgeschnitten haben. Und auch beim ADFC ist man gespannt auf die Ergebnisse des Kasseler Tests.