Die JVA Neuburg-Herrenwörth

Bayern Gablinger Beamte sollen auch in benachbarter JVA geprügelt haben

Stand: 17.04.2025 05:14 Uhr

Beamte der JVA Gablingen werden verdächtigt, auch in der JVA Neuburg-Herrenwörth Gefangene attackiert zu haben. Junge Häftlinge aus Niederbayern berichten dem BR von Schlägen und Würgegriffen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in vier Fällen.

Von Andreas Herz, Sebastian Grosser, Sandra Limoncini

Julian und Milan sind Häftlinge der JVA Neuburg-Herrenwörth, ein Gefängnis für den Jugendstrafvollzug. Sie sagen, dass sie in Neuburg gut behandelt werden: "Die Beamten sind nett, schauen auf jeden Einzelnen." Umso erschütterter sind die beiden von dem, was aus ihrer Sicht am 23.10.2024 passiert ist.

An dem Tag findet in der JVA Neuburg-Herrenwörth eine Drogenrazzia statt. Mit dabei: Mitglieder der sogenannten Sicherungsgruppe (SIG) der JVA Gablingen, also speziell ausgebildete Beamte für konflikthafte Situationen. Bis hierhin ein normales Prozedere, zumal die JVA Neuburg-Herrenwörth keine eigene SIG und auch keinen eigenen Rauschgift-Spürhund hat.

Gablinger Beamte rücken für Drogenrazzia an

Was dann genau passiert, ist nicht bewiesen. Fest aber steht: Nach der Razzia wendet sich der Leiter der JVA Neuburg-Herrenwörth ans Bayerische Justizministerium. Der Verdacht: Vier seiner Häftlinge wurden womöglich durch die Gablinger SIG-Einheit verletzt - also durch die Beamten, gegen die bereits wegen mutmaßlicher Übergriffe in Gablingen ermittelt wird. Das Ministerium informiert darüber auch die Augsburger Staatsanwaltschaft und später den Justizausschuss.

Zwei der Verletzten sind nach ihren eigenen Aussagen Milan und Julian. Milan berichtet, dass er sich am Morgen der Razzia mit rund 20 weiteren Gefangenen in der Turnhalle aufreihen muss. Hinter ihm habe der Spürhund Männchen gemacht. Sofort hätten zwei SIG-Beamte ihm die Arme nach hinten verdreht und ihn in einen Nebenraum geführt.

Schwere Vorwürfe gegen zwei Beamte

Dort muss er sich entkleiden, erzählt Milan. "In dem Moment, als ich mein T-Shirt weggelegt hatte, ist einer der beiden Beamten mir an die Kehle gegangen, ich bin dadurch circa eineinhalb Meter nach hinten geflogen." Die Gablinger Beamten hätten ihn am Boden fixiert, einer ihm die Luft abgedrückt und gefragt: "Wo ist Dein Stoff, wo ist Dein Stoff?"

Milan verneint, Drogen zu besitzen. "Dann hat mir ein SIG-Beamter zweimal mit den Sicherheitshandschuhen in die linke Gesichtshälfte geschlagen." Einer der beiden Beamten habe gerufen: "Du Bastard, ich hau' Dir die Zähne raus, wo ist Dein Stoff?“ Milan beteuert erneut, keine Drogen zu besitzen.

Häftling klagt über Wunde und Kopfschmerzen

Nach dem Vorfall muss Milan zur Drogenkontrolle. Der Urintest sei negativ ausgefallen, sagt Milan. In der Krankenstation der JVA sei eine Wunde über dem linken Auge dokumentiert worden. "Ich hatte zwei bis drei Tage lang Kopfschmerzen."

Milans Zellengenosse Julian berichtet von noch heftigeren Übergriffen. "Was hat die Durchsuchung denn gebracht? Die haben eh nichts gefunden“, sagt Julian, als er von der Turnhalle zurück in der Zelle ist. Kurz darauf sei "ein großer Beamter der SIG" hereingestürmt.

Der Beamte habe ihn zunächst auf einen Stuhl und dann mit seinem Knie in seine Rippen gedrückt. "Was haben wir nicht gefunden? Wo ist der Stoff?", habe der Beamte gesagt. Julian spannt seine Muskeln an. "Aus Schutz", wie er sagt. Der Beamte habe erwidert: "Du spannst ja an?!", ihn am Genick gepackt und vor die Zelle geführt.

"Ich habe keine Luft mehr bekommen und gezappelt"

Dort habe ihn ein anderer SIG-Beamter am Kehlkopf gepackt und hochgehoben. "Ich habe keine Luft mehr bekommen und gezappelt. Das ist ja auch normal, dass man sich da wehrt. Dann habe ich gleich einen Schlag gegen die Schläfe bekommen."

Julian wird nach eigener Aussage auf den Boden bugsiert. Die SIG-Beamten drücken die Hände über seinem Kopf auf den Boden, berichtet Julian. Trotzdem hätten sie von ihm verlangt, die Hände auf den Rücken zu nehmen. "Ich habe es versucht, aber es ging natürlich nicht. Das habe ich auch zweimal gesagt." Daraufhin hätte ein SIG-Beamter erwidert: "Er widersetzt sich", und Julian mit der Faust in die Rippen geschlagen.

Häftlinge: "Juristin" hat den Einsatz begleitet

Anschließend sei er in den bgH-Raum gesperrt worden. Eine Spezialzelle, teils ohne jegliche Einrichtung, die nur als Ultima Ratio vorgesehen ist, wenn Häftlinge sich selbst oder andere gefährden. "Mir wurden die Anziehsachen mit einer Schere vom Körper geschnitten. Der Beamte hat gesagt: 'Sag uns jetzt, wo der Stoff ist!' Ich habe geantwortet, dass ich von nichts weiß. Darauf sagte der SIG-Beamte: 'Du bleibst mindestens sechs Tage im bgH, dann schauen wir mal, ob Du es Dir anders überlegst.'"

Julian sagt, dass "eine Juristin" seine bgH-Haft angeordnet habe. Die Frau sei auch "zwei bis drei Meter daneben gestanden", als er vor seiner Zelle von SIG-Männern geschlagen worden sei. Auch Milan berichtet von einer Juristin, die bei der Durchsuchung in der Turnhalle dabei gewesen sei. Die Frau habe "kurz durch ein Fenster geschaut", als er sich nach dem mutmaßlichen Angriff auf ihn wieder angezogen habe.

Welche Rolle spielte die Gablinger Vize-Chefin?

So wie die beiden niederbayerischen Häftlinge die Frau beschreiben, handelt es sich offenbar um die damalige stellvertretende Leiter der JVA Gablingen. Laut dem bayerischen Justizministerium war sie beim Einsatz in Neuburg dabei: "Ihre Rolle bei dem Vorfall ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen."

Schläge gegen den Kopf oder Würgegriffe am Hals, wie von den Häftlingen beklagt, seien "grundsätzlich bei keinen Einsatz- oder Zugriffstechniken vorgesehen", schreibt das Ministerium auf BR-Nachfrage. Nur in Einzelfällen sei ein solches Verhalten gerechtfertigt. Als Beispiel nennt das Ministerium Notwehr.

"Stets im Rahmen geltenden Rechts bewegt"

Der BR hat die JVA Gablingen und die Augsburger Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen der Häftlinge befragt. Wegen laufender Ermittlungen gaben die Behörden jedoch keine weiteren Auskünfte.

Der Anwalt der früheren Gablinger Vize-Chefin erklärt, sich zu "Aussagen möglicher Zeugen" erst zu äußern, "wenn uns die Aussagen als Bestandteil einer Akte offiziell zur Verfügung gestellt wurden". Zu betonen sei: "Unsere Mandantin hat sich selbstverständlich stets im Rahmen ihrer Zuständigkeit bewegt und dann auch im Rahmen geltenden Rechts."

In der Causa Gablingen ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen mindestens 17 Bedienstete der JVA Gablingen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

ZUM AUDIO: Gewalt von Gablinger Beamten auch in JVA Herrenwörth

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Quelle: Mittags in Schwaben 17.04.2025 - 12:05 Uhr