Baden-Württemberg Kretschmann zu möglichem AfD-Verbot: "Ändert in den Gehirnen der Leute nichts"
Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken wollen ein AfD-Verbotsverfahren anstoßen. Die Hürden dafür sind hoch, gibt BW-Ministerpräsident Kretschmann zu bedenken.
Medienberichten zufolge wollen Abgeordnete von SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken einen Antrag in den Bundestag einbringen mit dem Ziel, ein AfD-Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einzuleiten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht ein solches Verbotsverfahren skeptisch und verweist auf die hohen Hürden für ein Parteiverbot: "Da muss man sehr sehr handfeste Beweise letztlich haben, dass diese Partei die demokratische Grundordnung beseitigen möchte", so der Ministerpräsident.
Parteiverbote nur in extremen Ausnahmefällen
Die Abgeordneten hatten ihr Vorgehen laut der Zeitung "Welt" damit begründet, dass die AfD verfassungswidrig sei und gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine aktiv kämpferisch-aggressive Haltung habe. Eine Partei verbieten kann nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dafür muss jedoch festgestellt werden, dass die Partei tatsächlich verfassungswidrig ist.
Ein Parteiverbot ist die "schärfste Waffe des Rechtsstaats" stellten die Karlsruher Richter in ihrem Urteil zur rechtsextremen NPD im Jahr 2017 klar. Daher könne es auch nur im extremen Ausnahmefall erfolgen. Für Kretschmann ändert ein Verbot der AfD auch nichts in den "Gehirnen der Leute, die die bisher gewählt haben - sei es aus Überzeugung oder aus Protest". Man müsse vielmehr an der politischen Front um die Köpfe der Menschen kämpfen.
Wir müssen wieder ernsthaft versuchen, die Menschen zurückzugewinnen für demokratische Parteien, die demokratische Mitte, das ist unsere Hauptaufgabe. BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
Nicht nur der baden-württembergische Ministerpräsident sieht ein mögliches Verbotsverfahren kritisch. Auch die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, warnte im "Tagesspiegel", dass ein solches Verfahren die Bürgerinnen und Bürger "in die Arme der AfD treiben" würde. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte kürzlich ebenfalls auf die Risiken eines Verbotsverfahrens hingewiesen: "Würde ein solches Verfahren vor dem Verfassungsgericht scheitern, wäre dies ein gewaltiger PR-Sieg für die Partei."
Regierungssprecher Steffen Hebestreit reagierte reserviert auf die Nachrichten über die Pläne aus dem Bundestag heraus ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu beantragen. Ende der vergangenen Woche hatte er davon gesprochen, dass dies ein "sehr weitreichender Schritt sei" und es in der Bundesregierung keine Pläne gebe, ein solches Verbotsverfahren anzustoßen.
Was sind die Voraussetzungen für ein Parteiverbot?
Die Voraussetzungen eine Partei zu verbieten, benennt das Grundgesetz: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." In einem Urteil von 1956 fordert Karlsruhe dafür eine "aktiv kämpferisch-aggressive Haltung", mit der diese Ordnung beseitigt werden soll. Darauf berufen sich im aktuellen Fall die Abgeordneten, die sich für den Antrag stark machen. Die Verfassungswidrigkeit muss sich beispielsweise aus dem Parteiprogramm oder dem Verhalten der Anhänger der Partei ergeben.
Hinzu kommt laut Gericht, dass es konkrete Anhaltspunkte geben muss, dass ein Erreichen der verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint. Somit können unbedeutende Parteien nicht verboten werden, da sie nicht in der Lage sind ihre Ziele umzusetzen - selbst wenn diese verfassungswidrig sind.
Wer kann ein Parteiverbotsverfahren beantragen?
Den Antrag für ein Verbotsverfahren können sowohl Bundesregierung, Bundestag oder der Bundesrat stellen. Ist eine Partei nur in einem Bundesland aktiv, kann auch die dortige Landesregierung ein Verbotsverfahren beantragen. Für ein Verbot ist dann eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Karlsruher Gerichtssenats notwendig.
Wie argumentieren die Befürworter eines Verbotsverfahrens gegen die AfD?
Die Initiatoren werfen der AfD in dem Bundestagsantrag vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen zu wollen und gegenüber dieser Grundordnung eine "aktiv kämpferisch-aggressive Haltung" einzunehmen. Zudem geht der Gruppenantrag für das Verbotsverfahren von zahlreichen Verstößen der AfD gegen die Menschenwürde aus, die in Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert ist. Das Verfassungsgericht solle deshalb gemäß Artikel 21 feststellen, dass die AfD verfassungswidrig sei. Hilfsweise solle vom Verfassungsgericht festgestellt werden, dass die AfD von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen werde.
Gab es bereits erfolgreiche Parteiverbotesverfahren?
Seit Gründung der Bundesrepublik wurden zwei Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei, die 1949 als Sammelbecken für Ex-Mitglieder der NSDAP gegründet worden war, und 1956 die stalinistische Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Ein Verbot der rechtsextremen NPD hatte das Bundesverfassungsgericht Anfang 2017 abgelehnt. Karlsruhe attestierte der Partei damals zwar verfassungsfeindliche Ziele. Sie sei aber zu unbedeutend, um die Demokratie zu gefährden. Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD, die sich inzwischen in "Die Heimat" umbenannt hat, war 2003 ohne Entscheidung eingestellt worden.
Sendung am Mo., 30.9.2024 14:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten