Interview

Interview mit US-Generalleutnant Hodges "Im Kampf gegen den IS brauchen wir Russland"

Stand: 11.02.2016 13:25 Uhr

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz stehen die Flüchtlingskrise und der Kampf gegen den IS im Mittelpunkt. Dabei brauche der Westen Russland "und Russland braucht uns", sagt der Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, Hodges, im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Ein wichtiges Thema der Münchner Sicherheitskonferenz wird der Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" sein. In Syrien spielt dabei auch Russland eine wichtige Rolle. Die russische Luftwaffe unterstützt das Regime von Präsident Assad. Was sind aus Ihrer Sicht die Motive dafür?

Ben Hodges: Ich denke, Russland engagiert sich aus drei Gründen in Syrien.

Erstens: Die Russen wollen sicherstellen, dass sie einen Fuß im Nahen Osten behalten, bevor das Regime fällt. Ich glaube nicht, dass sie gefühlsduselig sind, was Präsident Assad betrifft, aber sie sind ganz sicher empfindlich, wenn es darum geht, was sie dort behalten wollen - nämlich Zugang zur Region.

Zweitens: Ich denke, Präsident Putin musste seinen Wählern und dem Rest der Welt zeigen, dass Russland eine Weltmacht ist. Das ist auch der Grund, warum er Marschflugkörper vom Kaspischen Meer aus verschossen hat - nicht, weil es die beste Waffe für so eine Operation ist, sondern, um zu zeigen, dass er es kann.

Und drittens: Russland will die Aufmerksamkeit vom Ukraine-Konflikt ablenken und von der Tatsache, dass es 25.000 Soldaten auf der Krim hat. Dass die Russen modernste Luftabwehrsysteme in Syrien stationiert haben, sollte jedem deutlich zeigen, warum sie dort sind. Ich meine: Der IS hat keine Luftwaffe, keine Drohnen. Es geht also darum, mit einer so verstärkten Basis den Zugang zu einer Region zu kontrollieren oder eben auch zu unterbinden.

Zur Person
Generalleutnant Ben Hodges ist seit November 2014 der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte der US-Army in Europa. Er befehligt rund 30.000 Soldaten, die in Kasernen in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Italien stationiert sind. Hodges hat im Irakkrieg und in Afghanistan gekämpft.

"Der IS ist vor allem ein Problem für die Region"

tagesschau.de: Kann denn Russland angesichts dieser Motivlage ein echter Verbündeter im Kampf gegen den IS sein?

Hodges: In diesem Kampf brauchen wir Russland und Russland braucht uns - und mit "uns" meine ich den Westen. Allerdings hat Russland ein größeres Problem mit islamischem Extremismus als der Westen. Sie haben in ihrer Bevölkerung 25 Millionen Muslime, darunter viele Sunniten, und deshalb müssen sie über die Auswirkungen nachdenken, die ihr Handeln hervorruft.

tagesschau.de: Eine alte militärische Lehre lautet: Man kann sich keinem Flugzeug ergeben. Anders formuliert: Ist es nicht unmöglich, den IS ausschließlich mit Luftschlägen zu besiegen?

Hodges: US-Verteidigungsminister Carter hat die Notwendigkeit betont, dass sich andere Länder in diesem Kampf stärker beteiligen müssen, besonders die Länder der Region. Die müssen einen größeren Teil der Kampfhandlungen schultern. Denn der IS ist nicht nur ein Problem für die USA oder die Europäer, es ist vor allem ein Problem für die Region. Wir sprechen über politischen Druck, diplomatischen Druck, wirtschaftlichen Druck, der Nachschub für den IS muss ausgetrocknet werden und natürlich muss die Rekrutierung erschwert werden. Ich denke, die Antwort ist viel komplizierter als nur zu sagen: Bodentruppen. Und dann ist da ja noch die Frage: Wessen Bodentruppen eigentlich?

"Schrecklich, wenn die Schengen-Zone zerfiele"

tagesschau.de: Ein weiteres wesentliches Thema in München wird die Flüchtlingskrise sein. Welche strategische Dimension hat diese Frage aus militärischer Sicht?

Hodges: Die NATO ist nicht nur als Schutz vor Russland gegründet worden, sondern um die Sicherheit und den Schutz all ihrer Mitglieder sicherzustellen. Ich denke also, dass die Einheit der Allianz und die Einheit Europas wesentlich für unsere Stabilität und Sicherheit sind. Das heißt, dass wir uns allem stellen müssen, was diese Einheit belastet und unter Druck setzt. Und natürlich sind die Flüchtlinge ein sehr wesentlicher Teil dieses Drucks.

Die EU muss klären, wie sie das politisch schultern will. Zum Beispiel, wie sie mit dem Informationsaustausch mit Frontex umgeht. Wenn man Leute registriert, dann muss man in der Lage sein, Informationen zu teilen und ich kann nicht erkennen, dass die Politik der EU momentan damit in Einklang steht. Wir als Amerikaner schauen auch auf die Zukunft der Schengen-Zone. Die ist ein sehr wichtiger Baustein der Wirtschaft in Europa - und Europa ist für uns der wichtigste Handelspartner. Auch deshalb fände ich es als Amerikaner schrecklich, wenn die Schengen-Zone zerfiele oder eingeschränkt würde.

tagesschau.de: Wackelt aus Ihrer Sicht denn die Stabilität Europas?

Hodges: Ich glaube, dass dies alles natürlich nicht zwangsläufig zur Destabilisierung führen muss. Die Führungsstärke der EU, von Menschen wie Bundeskanzlerin Merkel und anderen, ist entscheidend. Wenn die sich einigen und eine Lösung finden, dann wird Europa auch in der Lage sein, das zu verkraften. Dabei tragen aber auch die religiösen Führer, speziell die muslimischen, eine Verantwortung. Sie müssen Menschen ermutigen, sich zu integrieren, mehr noch, sie müssen dabei die Führung übernehmen und ich denke, das passiert derzeit nicht.

"Wir hätten Russland gerne als Partner"

tagesschau.de: Wir haben anfangs über Russland gesprochen. Dessen vermeintliche Aggression abzuschrecken, ist gerade vom US-Oberkommando für Europa zu einer der wesentlichen Prioritäten erklärt worden. Aber wenn man sich die Herausforderungen im Kampf gegen den "Islamischen Staat" ansieht - wäre es nicht besser, Russland als Partner anstatt als Bedrohung zu betrachten?

Hodges: Wir hätten die Russen gerne als Partner und wenn sie auch den IS angreifen würden, wäre das großartig. Aber das tun sie nicht. Mehr als 70 Prozent ihrer Ziele sind Oppositionsgruppen, die gegen Assad kämpfen. Ich glaube, dass die Russen Stärke respektieren, aber sie sind ein schwieriger Partner in der Zusammenarbeit. Im Ukraine-Konflikt etwa behindern sie die OSZE, machen es ihr schwer, ihre Beobachtermission im Donbas durchzuführen. Dabei ist Russland eine Weltmacht und es sollte sich auch so verhalten und dabei helfen, dass die OSZE arbeiten kann.

Dann beobachten wir die Größenordnung der militärischen Aufrüstung, die Russland in Kaliningrad und auf der Krim betreibt. Das gibt Moskau die Möglichkeit den Zugang zur Ostsee beziehungsweise dem Schwarzen Meer zu kontrollieren. Wir haben eine ganze Menge NATO-Verbündeter die sich dadurch bedroht fühlen. Sie sehen, dass sie verwundbar sind, auch durch das militärische Potenzial, das Russland immer weiter entwickelt. Darum machen sich diese Länder Sorgen.

tagesschau.de: Wie gefährlich ist die Situation in Europa aus ihrer Sicht? Stehen wir - wie manche sagen - bereits am Rande eines neuen Kalten Krieges?

Hodges: Ich glaube, es ist unwahrscheinlich, dass Russland ein NATO-Land angreifen würde. Und wir wollen, dass es unwahrscheinlich bleibt. Deswegen demonstrieren wir unsere Einheit und unsere militärische Leistungsfähigkeit. Wir Amerikaner haben deshalb Ausrüstung, darunter auch Panzer, nach Osteuropa gebracht - allerdings in sehr kleiner Anzahl. Die Stärke der US-Landstreitkräfte in Europa liegt ohnehin nur bei 30.000 Soldaten. Das würde gerade mal gut die Hälfte des Münchener Olympiastadions füllen. Aber wir in den Vereinigten Staaten haben uns verpflichtet, unsere Alliierten zu verteidigen. Gleichzeitig erleben wir gerade, dass auch in allen anderen Ländern eine signifikante Erhöhung der militärischen Fähigkeiten stattfindet. Kürzlich hat Deutschland 100 "Leopard 2"-Kampfpanzer von der Industrie zurückgekauft und Ministerin von der Leyen hat höhere Verteidigungsausgaben gefordert. Das sind alles Schritte, um einen Krieg zu verhindern. Und schließlich wir das sicherlich helfen, Russland von der Fehleinschätzung abzuhalten, dass die NATO schlafen könnte.

Das Interview führte Christian Thiels, tagesschau.de