Vorgezogene Bundestagswahl In Windeseile muss eine Kampagne her
Gut drei Monate bleiben noch bis zur Bundestagswahl - extrem wenig Zeit auch für die Kampagnen-Macher. Wird es eher um Inhalte gehen oder um Köpfe? Die Werbeagentur der SPD hat noch ein anderes Problem.
In einem unscheinbaren Hinterhof mitten im hippen Hamburger Schanzenviertel sitzt die Werbeagentur von Raphael Brinkert. Der 47-Jährige sammelt derzeit viele Überstunden an. In Windeseile muss jetzt eine Kampagne für die SPD her. Der sonst übliche Vorlauf von zwölf bis 15 Monaten ist zusammengeschrumpft auf nicht mal drei Monate, bis im Februar gewählt werden soll. "Die Zeit ist schon eine brutale Herausforderung", sagt Brinkert.
Die Uhr tickt, der Druck ist groß
Bekannt wurde er mit Sportmarketing, seinen Einstieg in die Welt der politischen Kampagnen hatte Brinkert mit der CDU im Europawahlkampf 2019. Der große Durchbruch kam dann mit dem Bundestagswahlkampf 2021 und der "Respekt"-Kampagne für Olaf Scholz. Manche bezeichnen Brinkert als einen der Väter des Wahlerfolgs der SPD damals. Aber diesmal sind die Voraussetzungen ganz andere. Die Uhr tickt, der Druck ist groß.
Bei den Konkurrenz-Parteien dürfte es nicht anders aussehen. Die Grünen haben sich mit "Jung von Matt" ebenfalls eine Hamburger Agentur an Bord geholt. Die CDU hat sich gerade erst auf die Agentur "FischerAppelt" festgelegt. Bei der AfD ist der Auswahlprozess noch nicht beendet. Die FDP setzt weiterhin auf die Berliner Werber von "HeimatTBWA". Die Linke geht mit der "Berliner Botschaft" ins Rennen. Sie alle müssen nun unter Hochdruck Kampagnen erstellen und teilweise von Null starten. Eine Mammutaufgabe.
Viel Zeit bleibt Werber Raphael Brinkert nicht für die Wahlkampagne.
Plakate, Werbespots, Social Media
Beispiel Wahlplakate: Sie müssen eigentlich Anfang bis Mitte Dezember fertig gestaltet sein, um rechtzeitig gedruckt und aufgestellt zu werden, erklärt Brinkert. Für Slogans, Motive und Design bleiben also nur wenige Tage bis Wochen. Das sei die Realität, so der Werber. Und dann müssen parallel noch TV- und Radiospots entworfen und tagesaktuelle Social-Media-Posts erstellt werden.
Wahlkampf wohl zugeschnitten auf Personen
Unter diesem Highspeed-Wahlkampf könnte vor allem eins leiden: die Inhalte der Kampagnen. Das befürchtet Martin Fuchs. Der Experte für digitalen Wahlkampf sieht wenig Zeit, um komplexe Inhalte zu kommunizieren und politische Konzepte für die vielfältigen Krisen der Zeit zu erklären.
"Ich glaube, dass dieser Wahlkampf sehr stark über Emotionen und Gefühle geführt werden wird", so Fuchs. Es sei viel einfacher, eine Person zu bewerben als ein Parteiprogramm. An dieser Person könne man dann ein bis zwei Kerninhalte festmachen. Bei der Kürze der Zeit sei dies vermutlich die Strategie der Parteien.
Die K-Frage in der SPD ist ein Problem
Umso drängender dürfte für Werber Raphael Brinkert endlich eine Entscheidung in der Frage über die Kanzlerkandidatur sein. Doch in der SPD rumort es weiter kräftig. Der Kanzler erhält denkbar schlechte Umfrageergebnisse und viele Parteimitglieder wünschen sich einen Wechsel an der Spitze, hin zu Boris Pistorius.
Für die strategische Planung einer Personen-getriebenen Kampagne ist das denkbar schlecht. "Keine Partei in Deutschland kann sich gerade eine Personaldiskussion leisten", meint Wahlkampfexperte Fuchs. Jeder weitere Tag, der ins Land gehe, bedeute eine Verunsicherung der Wählerinnen und Wähler.
Muss Brinkert nun also parallel für zwei Spitzenkandidaten Kampagnen planen? Dazu sagt er nur, es sei ein Luxusproblem, mehrere geeignete Kandidaten zu haben. Und: Der Spitzenkandidat heiße Olaf Scholz und er freue sich auf den Wahlkampf mit ihm.
"Das Wahlplakat kann man nicht wegwischen"
Als Werbemittel setzt Brinkert wie schon 2021 vor allem auf Wahlplakate. "Das Wahlplakat kann man nicht wegwischen. Das steht in der Gegend rum und das hat eine enorme Präsenz in den letzten sechs Wochen in einem Wahlkampf", so der 47-Jährige. Das Plakat sei das Medium Nummer eins. Aber natürlich sei man auch auf Social Media und den digitalen Kanälen vertreten.
Viel Nachholbedarf beim Social-Media-Wahlkampf
Dort aber sieht Experte Fuchs weiterhin viel Nachholbedarf, insbesondere auf TikTok. Hier konnte sich zuletzt vor allem die AfD behaupten. Zwar gebe es auch in den Volksparteien mittlerweile ein paar Menschen, die TikTok sehr gut beherrschten. In der Breite aber seien viele Inhalte der Parteien noch schlecht gemacht.
"Das wird man auch in den wenigen Wochen nicht aufholen", so Fuchs. Es brauche Workshops, viel Zeit für Coachings und auch Leute, die ein Verständnis für die Kultur von TikTok haben, die man im Team haben sollte.
Hoffen auf einen Endspurt wie 2021
Raphael Brinkert hat stressige und arbeitsreiche Wochen vor sich - so viel steht fest. Ob es für ihn dieses Jahr ein Weihnachtsfest gibt, das werde die Zeit zeigen, sagt er. Am Ende kann man sich schon die Frage stellen, woher er die Energie und Zuversicht für eine Kampagne mit diesen schweren Voraussetzungen nimmt.
Brinkert erwähnt immer wieder den Wahlkampf 2021. Damals war die SPD ebenfalls mit schlechten Umfragewerten gestartet und am Ende landete Scholz im Kanzleramt. "Das gibt uns Hoffnung", sagt er und muss dann weiterarbeiten. Jede Stunde zählt.