Autos stehen im Stau in Mittenwald
Mittendrin

Beliebte Ausweichroute Mittenwald kämpft gegen das Verkehrschaos

Stand: 19.05.2024 11:39 Uhr

In der Urlaubszeit geht in Mittenwald oft nichts mehr: Der Stau der umliegenden Fernstraßen verlagert sich ins Ortszentrum. Der Bürgermeister fordert - ähnlich wie im benachbarten Tirol - ein Durchfahrtsverbot.

Von Martin Breitkopf, BR

Auto an Auto, Lärm und Abgase. Anwohner, aber auch Autofahrer sind genervt. Durch Mittenwald im Landkreis Garmisch-Partenkirchen staut sich eine Blechlawine. Das ist in der Hauptreisezeit die Regel.

Erst zu den Faschingsferien kam es zu einem Verkehrskollaps. Stundenlang ging gar nichts mehr, erinnert sich der Mittenwalder Willibald Panzer. Weil auf der Umfahrungsstraße alles stand, leiten Navigationsgeräte den Verkehr durch den Ort. Doch die Straßen in Mittenwald sind eng und kurvig, dazu viele Einbahnstraßen und Sackgassen. Schnell ging gar nichts mehr voran, sagt Anwohnerin Maja Englerth.

Anwohner und Feuerwehr regelten den Verkehr

Da, wo die Verkehrszählstelle normalerweise 6.000 Fahrzeuge am Tag misst, waren es auf einmal mit rund 23.000 Fahrzeugen fast viermal so viele. In ihrer Verzweiflung regelten die Autofahrer selbst den Verkehr. Stundenlang herrschte Ausnahmezustand im Ort.

Bürgermeister Enrico Corongiu sah Gefahr im Verzug und ließ die Feuerwehr ausrücken, um den Verkehr zu regeln. Das deutsche Straßenverkehrsrecht lässt nur in solchen Ausnahmesituationen eine Straßensperrung zu. Jedoch wäre es dann schon zu spät, sagt Bürgermeister Corongiu.

Tirol sperrt Ausweichrouten

Tirol macht es vor und erlässt Verbote. Um Anwohnende vor dem Durchreiseverkehr zu schützen, haben die Behörden des österreichischen Bundeslandes bereits seit 2019 Ausweichrouten entlang wichtiger Durchgangsstrecken in besonders verkehrsintensiven Zeiten gesperrt. So durfte etwa auf der Inntalautobahn, der Fernpass-Route und im Großraum Innsbruck und Kufstein nicht abgefahren werden. Neu kommen in diesen Jahr die Region Nassereith und das Seefelder Plateau dazu.

Die Abfahrverbote in Tirol werden auch in die Navigationsgeräte eingespielt. Dadurch werden die gesperrten Strecken bei einem Stau erst gar nicht als Alternativrouten angezeigt. Zusätzlich werden die Sperren vor Ort von der Polizei und privaten Sicherheitsdiensten überwacht.

Nur wer die Region als Ziel hat, darf einfahren. Wer nur den Stau umgehen will oder wegen der schönen Landschaft abbiegt, wird abgewiesen. Wer erwischt wird und nicht schlüssig nachweisen kann, dass er einen guten Grund hat, dem droht eine Geldbuße.

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Martin Breitkopf, BR, tagesthemen, 15.05.2024 22:15 Uhr

Straßenverkehrsordnung in Österreich lässt Verbote zu

Grundlage für die entsprechenden Einzelverordnungen sei die österreichische Straßenverkehrsordnung, erklärt der Tiroler Verkehrsrat René Zumtobel. Ziel seien die Aufrechterhaltung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie der Schutz der Bevölkerung. Der Verordnungserlassung gehe immer eine intensive Analyse der Verkehrsströme und Beurteilung durch Fachleute voraus. So kann die Sperrung auch über einen langen Zeitraum erfolgen. Von Mai bis Oktober gilt die Verordnung an jedem Wochenende und den Feiertagen tagsüber.

Zumtobel spricht selbst von einer Notlösung. Doch Tirol bleibe keine andere Wahl, sagt er gegenüber tagesschau.de. "Die Deutschen haben Express-Routen bis an unsere Grenzen gebaut und wir können diese Menge an Verkehr nicht verarbeiten", sagt der Verkehrsrat. Zudem habe ich das Reiseverhalten verändert. Fuhren die Menschen früher ein- bis zweimal in den Urlaub, sind es jetzt oft drei bis vier Urlaube im Jahr. Infolgedessen hat das Verkehrsaufkommen erheblich zugenommen.

Mittenwald wünscht sich Abfahrverbote

Auch die Bürger im bayerischen Mittenwald registrieren immer mehr Verkehr. Die Strecke über die A95 München in Richtung Garmisch-Partenkirchen, vorbei an Mittenwald zum Grenzübergang Scharnitz, ist eine beliebte Ausweichroute, wenn viel Verkehr auf der Autobahn A8 München-Salzburg ist. Wer ins Zillertal will, spart sich auf dieser Route zusätzlich die österreichische Autobahnmaut.

Mittenwalds Bürgermeister Corongiu wünscht sich ähnliche Verbote wie in Österreich. Urlauber sollen seiner Meinung nach auf der Umfahrungsstraße bleiben, auch wenn es sich dort staut. Durchgangsverkehr habe im Ort nichts verloren.

Doch das ist nicht so einfach wie bei den Nachbarn in Österreich: Das deutsche Straßenverkehrsrecht gibt solche Abfahrverbote von den Hauptstraßen nicht her. Nur im Fall der Gefährdung der öffentlichen Ordnung dürften Nebenstrecken für den Transitverkehr gesperrt werden.

Gesamtkonzept für Grenzregion ist wichtig

Der Bürgermeister ist im Gespräch mit dem bayerischen Verkehrsministerium und pocht auf eine Ausnahmegenehmigung. Doch die dürfte nicht einfach werden. Auf Nachfrage von tagesschau.de beim bayerischen Verkehrsministerium heißt es von einem Sprecher: "Verkehrsverbote und andere Einschränkungen des fließenden Verkehrs können nur ultima ratio sein, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind."

Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter zufolge würden Abfahrverbote das Verkehrsproblem ohnehin nur in den nächsten Ort verschieben. Er plädiert für eine Gesamtlösung für die Grenzregion. Kern seiner Forderung ist es, die Hauptreiseströme auf der Autobahn zu belassen. Mit Hinweisschildern werden die Verkehrsteilnehmer schon jetzt aufgefordert, nicht von der Autobahn abzufahren - trotz Stau.

Vertreter vom Bund, dem Freistaat Bayern und Österreich sind im Austausch. Doch allen ist klar: Eine schnelle Lösung wird es nicht geben. Darum appellieren alle Verantwortlichen an die Vernunft von Autofahrerinnen und Autofahrer, bei Stau nicht von Hauptrouten abzufahren, um die Anwohner und die Natur zu schützen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 15. Mai 2024 um 22:15 Uhr.