Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel in Leipzig 2023

Merkel über das Ampel-Aus "Männer!"

Stand: 22.11.2024 14:44 Uhr

Ex-Kanzlerin Merkel hat das Scheitern der Ampelkoalition kommentiert. Der Auftritt von Kanzler Scholz etwa sei kein Paradebeispiel für Würde gewesen, findet sie. Kritisch äußerte sie sich zur Migrationspolitik der CDU.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat sich in einem Spiegel-Interview über das Ende der Bundesregierung geäußert. Dabei kritisierte sie die Reaktion ihres Nachfolgers Olaf Scholz. "Als Olaf Scholz sich so ungeschminkt äußerte, gab es schon auch ein bisschen Unwohlsein im Publikum. Manche dachten: Wenn unser Bundeskanzler so außer Rand und Band ist - ogottogott -, wie schlecht steht es dann um unser Land", sagte Merkel.

Auf die Frage, ob Scholz mit seinem Auftritt die Würde seines Amtes verletzt habe, antwortete Merkel: "Ich hätte es ja nicht gesagt, wenn ich das für ein Paradebeispiel für Würde hielte." 

Der Kanzler führe das Verfassungsorgan Bundesregierung an. "Sein Amt hat eine Würde, und die sollte einen stets leiten." Man bekomme als Kanzlerin oder Kanzler harte Bandagen zu spüren. "Man verspürt eine Menge Emotionen, aber besser ist, man schreit die Wand in seinem Büro an als die deutsche Öffentlichkeit."

Was für Merkel typisch männlich war

Ihr spontaner Gedanke beim Anblick der Auseinandersetzungen zwischen Scholz und Lindner sei gewesen: "Männer!"

Auf die Frage, was ihr typisch männlich vorgekommen sei, sagte Merkel: "Zum Beispiel, Dinge persönlich zu nehmen. Das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden."

Scholz hatte Lindner nach einem Richtungsstreit vor allem über den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik aus dem Kabinett geworfen, worauf die FDP ihre Minister aus dem Bündnis mit SPD und Grünen abzog.

Scholz warf dem FDP-Vorsitzenden verantwortungsloses Verhalten vor und sagte über den Minister: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen."

Merkel und die FDP

Auch Merkel erlebte die FDP "nie als einfachen Koalitionspartner": Mit Blick auf ihre 2017 gescheiterten Verhandlungen über ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP sagte die ehemalige Regierungschefin: "Jamaika wäre sehr viel Arbeit gewesen, und ich hätte viel mehr Zeit für die verschiedenen Partner aufwenden müssen. Aber die Frage hat sich ja nicht gestellt, weil Herr Lindner nicht wollte."

Merkel rechtfertigt Vorgehen in der Flüchtlingskrise 2015

In dem Interview verteidigte die frühere Bundeskanzlerin das Offenhalten der deutschen Grenzen während der Flüchtlingskrise von 2015. "Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben", sagte sie.

"Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, war für mich furchtbar und wäre sowieso keine Lösung gewesen." Zu Forderungen der Union, Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, sagte Merkel: "Ich finde das nach wie vor nicht richtig."

Merkel: Nur eine Illusion

Es sei eine Illusion, anzunehmen, dass alles gut werde, wenn man die Flüchtlinge in die europäischen Nachbarländer zurückschicke. Das Problem der illegalen Migration müsse europäisch gelöst werden. Sollte das der EU nicht gelingen, fürchtet Merkel "ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. November 2024 um 18:56 Uhr.