Zahlreiche Hinweise vor Anschlag Was lief schief im Fall Taleb A.?
Es gab Hinweise auf Taleb A. - zuletzt im Oktober führte die Polizei eine Gefährderansprache durch. Am Abend versammelten sich in Magdeburg verschiedene Gruppen: AfD-Anhänger - aber auch Teilnehmer einer Demo gegen rechte Vereinnahmung.
Drei Tage nach dem Anschlag von Magdeburg werden weitere Einzelheiten über den Täter bekannt - und dass er auch in jüngster Vergangenheit im Visier der Behörden stand.
Die Polizei kontaktierte Taleb A. einige Wochen vor dessen Todesfahrt. Im September 2023 und Oktober 2024 seien sogenannte Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg. Das Gespräch im vergangenen Jahr sei im Polizeirevier Salzlandkreis durchgeführt worden.
Das Gespräch in diesem Jahr sei auf der Arbeitsstätte erfolgt, sagte die CDU-Politikerin. Die Hintergründe zu den Gefährderansprachen blieben auch auf Nachfrage der Abgeordneten offen.
Mehrfach auffällig geworden
Der Täter Taleb A. war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen. Zieschang sagte, nach einem Post des Mannes auf der Plattform X am 1. Dezember 2023 habe die Polizei Ermittlungen aufgenommen. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten ebenfalls versucht, eine Gefährderansprache durchzuführen. Weder am 2. Dezember noch am 4. Dezember 2023 sei der Mann angetroffen worden, sagte Zieschang. Das Verfahren wurde demnach später eingestellt.
Ob die Gefährderansprache im Oktober 2024 in diesem oder in einem anderen Zusammenhang erfolgte, ist unklar.
Mit einer Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.
Auslieferungsantrag aus Saudi-Arabien
Auch aus dem Ausland gab es Hinweise: Für A. - der aus Saudi-Arabien stammt - lag ein Auslieferungsersuchen aus dem Land vor. Die Regierung in Riad habe außerdem "viele Male" vor Taleb A. gewarnt, berichteten saudi-arabische Regierungskreise.
Der Grund für das Auslieferungsersuchen von A. wurde laut Nachrichtenagentur AFP aus Saudi-Arabien nicht genannt. Da jedoch Menschenrechte in dem Golfstaat nicht besonders geachtet werden, sind Auslieferungsanträge für Geflüchtete stets heikel.
Weitere Hinweise auf psychische Erkrankung
Wie die Nachrichtenagentur dpa aus Sicherheitskreisen erfuhr, verdichten sich die Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters Taleb A. Zuletzt hatte sich dieser in sozialen Medien zunehmend wirrer und radikaler zu Wort gemeldet. In einem Interview zeigte sich der 50-Jährige jüngst als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge - bezeichnete sich aber als politisch links.
Für die Einschätzung als psychisch Erkrankter spricht auch die Entscheidung, dass das Verfahren vorerst weiter in Sachsen-Anhalt geführt wird. Der Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU).
Stattdessen hat nun die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg übernommen. Der Generalbundesanwalt ist zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität.
Auch der Gerichtspsychiater Reinhard Haller erkennt Anzeichen einer psychischen Erkrankung: "Entweder hat es sich um eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit stark fanatischen Zügen gehandelt. Oder es war ein wahnkranker Mensch, jemand, der unter einer überwertigen Idee litt und sein Verhalten danach ausgerichtet hat", sagte er auf tagesschau24.
Testament im Auto
Offenbar rechnete Taleb A. damit, bei dem Anschlag zu sterben. Wie der Spiegel berichtet, fanden die Ermittler im angemieteten Auto sein Testament. Darin bekundete er, dass sein gesamtes Vermögen nach seinem Tod ans Deutsche Rote Kreuz übergehen soll. Politische Botschaften fanden sich darin nach Spiegel-Informationen nicht.
Rechtskräftig verurteilt
Dass sich der Täter von Magdeburg bereits in der Vergangenheit auffällig verhalten hat, zeigt laut NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung auch ein Urteil des Amtsgerichts Rostock aus dem Jahr 2014. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet.
Demnach soll Taleb A. damals indirekt eine Drohung ausgesprochen haben. "Haben Sie die Bilder aus Boston gesehen? Sowas passiert dann hier auch", soll er einer Mitarbeiterin der Ärztekammer gesagt haben, nachdem er die Bearbeitung seines Antrages auf Zulassung zur Facharztprüfung kritisierte. Bei einem islamistischen Anschlag in Boston waren 2013 drei Menschen getötet und mehr als 200 verletzt worden.
A. soll der Mitarbeiterin "in ernst zu nehmender Weise" erklärt haben, dass nun "etwas Schlimmes" mit "internationaler Bedeutung" geschehe. Laut Urteil sollen diesem Gespräch mehrere Telefonate, Faxe und E-Mails mit ähnlichem Inhalt vorausgegangen sein. A. hatte damals erklärt, er habe unter "emotionalem Druck" gestanden.
Die Worte "Boston-Marathon" habe er jedoch nicht verwendet, die Mitarbeiterin habe seine Worte falsch interpretiert. Das Gericht folgte jedoch der Mitarbeiterin, die nach dem Telefonat auch eine Gesprächsnotiz angefertigt hatte. A. wurde schließlich zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt.
Debatte um Konsequenzen läuft
Unterdessen geht die Debatte über Konsequenzen aus dem Fall weiter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser forderte im Spiegel ausstehende Gesetzentwürfe zur inneren Sicherheit rasch zu beschließen. Sobald die Ermittlungen ein klares Bild von den Hintergründen ergeben hätten, werde man daraus die notwendigen Schlüsse ziehen.
Für die CDU verlangte Armin Laschet die Stärkung von Nachrichtendiensten. Nach seinen Angaben sind fast allen großen Terroranschlägen Hinweise ausländischer Geheimdienste vorausgegangen. "Wir müssen unsere Dienste stärken, damit wir selbst stärker im Anti-Terrorkampf werden", sagte Laschet zu tablemedia.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) trat für eine Ausweitung der Befugnisse von Sicherheitsbehörden ein. Der Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, kritisierte in der Rheinischen Post die fehlende Umsetzung des neuen Bundespolizeigesetzes. "Seit über vier Jahren findet die Politik keinen Nenner, um dieses Gesetz zu modernisieren."
Die Sicherheitsbehörden müssten endlich die Möglichkeiten bekommen, "welche auf der Höhe der Zeit sind". Er verwies auf Online-Durchsuchungen, Überwachung von Telefongesprächen über das Internet und die Gesichtserkennung mit KI-Software.
Mit einer Menschenkette erinnerten in Magdeburg viele Hundert Menschen an die Opfer des Anschlags.
Menschenkette und AfD-Kundgebung
Am Abend versammelten sich in Magdeburg verschiedene Gruppen: Mit einer Menschenkette erinnerten Tausende Menschen an die Opfer des Anschlags. Sie positionierten sich gegen die politische Vereinnahmung durch Rechte. Nach Polizeiangaben beteiligten sich rund 4.000 Personen. Parallel veranstaltete die AfD eine Kundgebung auf dem Domplatz. "Wir fordern echte Aufklärung", sagte die eigens aus Berlin angereiste AfD-Chefin Alice Weidel. Hier gab die Polizei die Teilnehmerzahl mit 3.500 an.