Interview

Ex-Generalsekretär Haussmann zur FDP "Es geht ums Überleben der Partei"

Stand: 03.01.2013 21:03 Uhr

Kurz vor dem Dreikönigstreffen zerfleischt die FDP sich weiter selbst. Das sagt viel über den Zustand der Partei. "Die FDP ist existenziell gefährdet", meint der Ex-Generalsekretär Helmut Haussmann gegenüber tagesschau.de. Das Problem sieht er vor allem beim Führungspersonal: "Philipp Rösler fehlt ein klares Profil."

tagesschau.de: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich die aktuellen Personalquerelen der FDP und die andauernden Seitenhiebe gegen Parteifreunde anschauen?

Helmut Haussmann: Ich sehe die Lage sehr realistisch. Im Moment ist die FDP existenziell gefährdet, weil sie seit langem beim Wähler nicht mehr genügend Vertrauen hat und nicht deutlich über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Wir haben die Führung gewechselt und an Guido Westerwelle viel Kritik geübt. Dann war die Hoffnung sehr groß, dass sich der Zustand der Partei mit Philipp Rösler ändert. Aber das ist bis dato nicht eingetreten.

Zur Person

Helmut Haussmann ist seit 40 Jahren FDP-Mitglied. Unter Helmut Kohl war er bis 1991 Bundeswirtschaftsminister, zuvor vier Jahre lang FDP-Generalsekretär. Heute arbeitet er als Unternehmer und Dozent der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Tübingen und ist Ehrenvorsitzender des Kreisverbands Reutlingen.

tagesschau.de: Wofür steht die FDP heute eigentlich noch?

Haussmann: Wir sind drauf und dran, das Thema Entschuldung besser zu besetzen als andere Parteien. Auch in der Euro-Frage setzen wir entscheidende Impulse. Aber in einer fernsehorientierten Demokratie wollen die Leute das vor allem auch an der Spitze sehen. Führungspersönlichkeit und Programmatik müssen identisch sein.

"Gerade so über fünf Prozent, das kann es nicht sein"

tagesschau.de: Was meinen Sie damit?

Haussmann: Die frühere Einheit von personeller Führung und programmatischer Idee ist verloren gegangen. Deshalb bekommen wir derzeit nicht genügend Zustimmung, um bei einer Bundestagswahl eine entscheidende Rolle zu spielen. Mit ein paar Leihstimmen gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, das kann nicht die Idee einer stolzen, liberalen Partei sein.

tagesschau.de: Heißt das, Philipp Rösler steht nicht für die Programmatik der FDP?

Haussmann: Das habe ich nicht gesagt. Aber es gelingt ihm nicht, ein klares Profil zu gewinnen. Jemand wie Herr Brüderle hingegen steht für ein pragmatisches Regierungshandeln in Sachen Euro und Verschuldung. Dank konkreter Vorschläge sieht man seine Handschrift bei beiden wichtigen Fragen. Und auch Christian Lindner hebt sich nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch auf Bundesebene in Person und Programmatik deutlich von den anderen Parteien ab. Bei der derzeitigen Führung sehe ich das nicht.

"Politische Führung ist kein Sandkastenspiel"

tagesschau.de: Die Partei ist ja schon häufiger nicht gerade zimperlich mit ihrem Führungspersonal umgegangen. Geht es zu rau zu in der FDP?

Haussmann: Ich zitiere Westerwelle, der sagte: "Wer in der FDP an der Spitze steht, weiß, was Krieg bedeutet." Politische Führung ist kein Sandkastenspiel. Ich habe acht Jahre lang den Führungsgremien angehört und weiß, wovon ich rede. Da darf man nicht so wehleidig sein. Man muss einfach nachweisen, dass man mit den eigenen Ideen etwas verändern kann. Wenn man das schafft, hat man die Legitimation. Wenn man es nicht schafft, hat man die Pflicht, an einer anderen Aufstellung mitzuwirken.

tagesschau.de: Haben Sie Angst um Ihre Partei?

Haussmann: Nicht, wenn die FDP sich selbst kritisch beäugt und entsprechend handelt. Es ist jetzt fünf vor zwölf. Es geht um das Überleben der Partei. Nach der Niedersachsenwahl beginnt ein brutaler Wahlkampf für die Bundestagswahl, und da muss die FDP anders aufgestellt sein.

Es hängt alles davon ab, ob Philipp Rösler bei der Niedersachsenwahl eine Wende zu seinen Gunsten gelingt. Wenn nicht, sind er und die FDP in der Pflicht, durch eine andere personelle Aufstellung alles für eine erfolgreiche Bundestagswahl zu tun. Denn der Verlust der parlamentarischen Repräsentanz kann das Verschwinden der Partei insgesamt bedeuten. Und hier geht es nicht nur um eine Organisation. Wenn die FDP unterginge, wäre eine sehr wichtige politische Idee in Deutschland nicht mehr vertreten, und das wäre über die FDP hinaus ein großer Schaden für unser Land.

"Einzige Partei, die an die Kräfte der Freiheit appelliert"

tagesschau.de: Hat die FDP in der jüngsten Zeit denn auch etwas richtig gemacht?

Haussmann: Es war gut, beim Euro-Rettungsschirm immer wieder Stopp zu sagen und die Zustimmung des Bundestags zu verlangen. Wir haben damals mit der Unterstützung der Schuldengrenze auch dazu beigetragen, dass der Weg in die endlose Verschuldung gestoppt wird. Und auch bei Themen wie Betreuungsgeld und Rentenaufbesserung haben wir uns für weniger Staat und mehr Selbstständigkeit ausgesprochen. Denn all das würde zu einer höheren Verschuldung führen. Da gibt es die FDP nach wie vor, aber ihre Stimme ist zu schwach.

tagesschau.de: Was muss die FDP jetzt tun, um aus der Existenzkrise herauszukommen?

Haussmann: Die Rolle von Rainer Brüderle und Christian Lindner stärken. Und die Themen der Stunde mehr in den Vordergrund rücken: Sicherheit und Schutz des Euro und der europäischen Idee. Und langfristig: die Rücknahme einer zu hohen Verschuldung. Die Menschen müssen merken, dass es neben den vier oder fünf staatsgläubigen Parteien nur noch eine Partei gibt, die an die Kräfte der Freiheit und Eigenverantwortlichkeit appelliert.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de