Sicherheit beim Fußball-Länderspiel in Berlin "Man muss alle Szenarien im Kopf haben"
Erneut findet ein Heimspiel der deutschen Nationalmannschaft kurz nach einem Terroranschlag statt. Sicherheitsexperte Spahn hält die Stadien im Gespräch mit tagesschau.de aber durch Sicherheitskonzepte für gut geschützt. Problematischer sei es außerhalb der Spielorte.
tagesschau.de: Nachdem das letzte geplante Länderspiel des vergangenen Jahres wegen eines angedrohten Terroranschlags abgesagt wurde, findet auch das erste Spiel in diesem Jahr wieder direkt nach einem Angriff statt. Müssen die Fans in Berlin Angst haben?
Helmut Spahn: Nein, das glaube ich nicht. Die deutschen Behörden und der Deutsche Fußball-Bund sind auf höchstem Niveau darauf vorbereitet, dieses Spiel sicher abwickeln zu können. Man kann natürlich nie ausschließen, dass es wieder nachrichtendienstliche Erkenntnisse gibt, wie es in Hannover der Fall war, die eine Reaktion der Sicherheitsbehörden erfordern. Aber das glaube ich aktuell nicht und ich hoffe und wünsche es auch nicht.
tagesschau.de: Sind Fußballspiele gefährdetere Anschlagsziele als andere Sportveranstaltungen?
Spahn: Es macht keinen großen Unterschied, ob es um ein Fußballspiel oder eine andere Sportveranstaltung geht. Die latente terroristische Bedrohung ist hoch, aber ich denke nicht, dass sie etwa durch die Anschläge von Brüssel weiter signifikant gestiegen ist. Man muss allerdings sehen, dass der Fußball gerade hier in Europa besonders im Fokus steht und medial sehr aufmerksam begleitet wird.
tagesschau.de: Wer ist bei einem Länderspiel für die Sicherheit verantwortlich?
Spahn: Prinzipiell ist das der Veranstalter, in diesem Fall also der DFB, was das Stadion betrifft. Das Sicherheitskonzept wird aber selbstverständlich gemeinsam mit den Behörden, dem Stadionbetreiber und der Polizei vor Ort erarbeitet. Es gibt Besprechungen, bei denen alle Beteiligten gemeinsam am Tisch sitzen und ihre Maßnahmen abstimmen. Das ist ein Standard, der über Jahre gewachsen ist und der international höchsten Anforderungen gerecht wird.
tagesschau.de: Wie oft gibt es Anschlagsdrohungen gegen Fußballspiele?
Spahn: Das passiert schon sehr oft. Aber die Behörden sind darauf sehr gut vorbereitet. Das Entscheidende ist, dass diese Drohungen richtig eingeordnet und aus ihnen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Dafür gibt es klare Abläufe. So können die Behörden glaubwürdige Drohungen generell zuverlässig von Wichtigtuern unterscheiden.
Das konnte man auch im Herbst in Hannover sehen. Auch da gab es natürlich Trittbrettfahrer, die bei der Polizei angerufen haben. Die Informationen, die schlussendlich zur Spielabsage geführt haben, kamen jedoch von unterschiedlichen Geheimdiensten. Das hat zu einer Entscheidung geführt, die an diesem Abend nicht anders zu treffen war – auch wenn man über die Art und Weise der Kommunikation streiten kann.
tagesschau.de: Was unterscheidet das Sicherheitskonzept eines Fußball-Länderspiels von dem eines Bundesligaspiels?
Spahn: Da gibt es keine großen Unterschiede. Auch die Bundesligisten müssen Sicherheitskonzepte vorlegen, die von den Sicherheitsbehörden und vom DFB abgenommen werden. Allerdings hat ein Länderspiel ein etwas anderes Setup. Die Zusammensetzung der Zuschauer ist beispielsweise eine andere als bei einem Bundesligaspiel. Da kommen auch Leute, die zum ersten Mal in einem Stadion sind. Es sind mehr Familien, Frauen und Kinder im Stadion. Aber was die Sicherheitsmaßnahmen insgesamt angeht, ist es sehr ähnlich.
tagesschau.de: Welche Punkte sind für die Sicherheitskräfte besonders schwer zu kontrollieren?
Spahn: Die Stadien sind grundsätzlich sehr sicher. Durch die langjährige Erfahrung und die sehr professionellen Sicherheitskonzepte sind diese gut geschützt. Das größere Problem im Bereich der terroristischen Bedrohung sind nicht Sportveranstaltungen an sich, sondern der nicht komplett zu sichernde öffentliche Raum. Die neuralgischen Punkte sind eher andere öffentliche Plätze, Bahnhöfe oder Flughäfen. Das haben wir ja in Brüssel leider wieder sehen müssen.
tagesschau.de: Nach dem abgesagten Länderspiel in Hannover wurde die Wohnung eines 19-Jährigen durchsucht, der gelegentlich als Ordner im Stadion gearbeitet hatte. Wird das Sicherheitspersonal für Länderspiele gut genug überprüft?
Spahn: Das Sicherheitspersonal wird grundsätzlich ausreichend überprüft. Man muss allerdings auch noch andere Personengruppen im Blick haben, etwa das Service-Personal im VIP-Bereich oder das Reinigungspersonal im Stadion, die gesamte Logistik. Das Risiko, dass sich dort jemand einschleust, ist wesentlich höher als beim Sicherheitsdienst. Das beste Sicherheitskonzept bringt wenig, wenn es in diesem Bereich Lücken gibt. Deshalb haben wir etwa bei der Weltmeisterschaft 2006 eine zusätzliche Sicherheitsprüfung aller akkreditierten Personen vorgenommen.
tagesschau.de: Müssten angesichts des Risikos die Stadiongäste nicht eigentlich genauso streng kontrolliert werden wie Flugpassagiere?
Spahn: Das ist faktisch nicht möglich. Man kann keine 80.000 Leute innerhalb einer Stunde mit dieser Qualität der Kontrolle in ein Stadion bringen. Wichtig ist, dass eine fortlaufende Risikoanalyse stattfindet und dass man sich mit den Sicherheitsbehörden über mögliche zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen dementsprechend abstimmt. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Kontrolle am Flughafen nicht vor, sondern im Flughafen stattfindet.
tagesschau.de: Stimmen aus der UEFA warnen bereits davor, dass bei der Europameisterschaft in Frankreich Spiele vor leeren Rängen stattfinden könnten. Ist das ein realistisches Szenario?
Spahn: Wenn ich so eine Veranstaltung plane, muss ich alle denkbaren Szenarien im Kopf haben. Ich muss auch über Spielabsagen oder Verlegungen nachdenken und brauche dafür ein Konzept. Wir haben bei der Weltmeisterschaft 2006 auch darüber nachgedacht, was wir tun würden, wenn wir das Turnier plötzlich absagen oder komplett umorganisieren müssten. Man muss alles bedenken - von einer Seuchenepidemie bis zum Vulkanausbruch. In diesem Kontext sehe ich auch die Aussage über die Spiele in leeren Stadien - nicht als aktuellen Plan, sondern als absolutes Worst-Case-Szenario.
Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de