Interview

Nach Ausschreitungen in Dresden "Gestörtes Verhältnis zur Demokratie"

Stand: 04.10.2016 17:40 Uhr

Hätte die Polizei in Sachsen bei den Pöbeleien bei den Einheitsfeiern in Dresden stärker eingreifen müssen? Der Politologe Hans Vorländer warnt im tagesschau.de-Interview vor einer Vorverurteilung der Polizei. Das Verhalten der "Pegida"-Anhänger sei hingegen eine "kollektive Beleidigung".

tagesschau.de: Gestern hatten mehrere Hundert "Pegida"-Anhänger Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck mit Trillerpfeifen und Schmähungen in Dresden empfangen. Hätte die Polizei hier stärker einschreiten müssen?

Hans Vorländer: Generell kann man der Polizei nicht den Vorwurf machen, dass die Menschen sich mit Trillerpfeifen bewaffnen. Das hätte man aber vorher wissen können und so sicher die Absperrgitter weiter nach hinten verlegen müssen. So wurde es ein Spießrutenlauf für die Gäste, es hat die Feierstimmung extrem eingetrübt.

Hans Vorländer
Zur Person
Hans Vorländer ist seit 1993 Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden. Seit 2007 ist er Direktor des von ihm gegründeten Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung in Dresden.

"Polizei agiert nicht einseitig"

tagesschau.de: Sachsens Linke und Grüne werfen der Polizei vor, "Pegida"-Anhängern bei ihren Krawallen während des Einheitsfestes faktisch "assistiert" zu haben, während mit linken Demonstranten teils unverhältnismäßig umgegangen worden sei. Wie neutral ist die sächsische Polizei?

Vorländer: Nach meiner mehrmonatigen Beobachtung der Demonstrationen hier in Dresden kann man nicht sagen, dass die Polizei in der einen oder anderen Weise einseitig agiert. Das liegt vor allem daran, dass die "Pegida"-Demonstrationen bislang überwiegend friedlich verliefen, wenngleich man sagen muss, dass es einzelne Übergriffe gab und dass die Ordner von "Pegida"-Demonstrierenden selbst gestellt wurden. Insofern war die Ordnungsaufgabe für die Polizei vergleichsweise überschaubar.

Allerdings fällt auf, dass "Pegida" und die Polizei ein entspanntes Verhältnis miteinander haben. Das liegt auch an den freundlichen Grußformeln, die Lutz Bachmann der Polizei gegenüber zu Beginn der Veranstaltungen äußert. Daraus aber zu schließen, dass die sächsische Polizei generell mit Pegida sympathisiert, ist zu kurz gegriffen.

tagesschau.de: Für Irritationen sorgte die Ansage eines Polizeiführers, der den "Pegida"-Anhängern bei ihrer "Montagsdemonstration" einen "erfolgreichen Tag" gewünscht hatte. Er kam aus einem anderen Bundesland zur Unterstützung nach Sachsen. Die dortige Polizeidirektion ging später auf Distanz. Wie ist das zu bewerten?

Vorländer: Sollte es hier offen geäußerte Sympathien zwischen einem Polizisten, wo immer er herkommt, und Pegida-Demonstrierenden gegeben haben, wäre das bedenklich und zöge womöglich disziplinarische Maßnahmen nach sich. Das aber wäre erst zu untersuchen.

tagesschau.de: Wird hier ein Problem der Polizei mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit deutlich?

Vorländer: Ich möchte hier nicht herumspekulieren. Ich warne davor, der Polizei in irgendeiner Weise rassistische Einstellungen zu unterstellen.

"Lässt jede Mindestform von Anstand vermissen"

tagesschau.de: Haben wir gestern in Dresden eine neue Qualität von Hass und Demokratie-Feindlichkeit erlebt?

Vorländer: Die "Pegida"-Demonstrierenden sprachen schon seit Beginn ihrer Demonstrationen von "Lügenpresse" und "Volksverrätern". Was die neue Qualität ausmacht ist, dass sie gestern nicht den leisesten Respekt gegenüber der Festgesellschaft zeigten. Es waren nicht nur Politikerinnen und Politikern, die sich diese Trillerpfeifen-Orgie anhören mussten und die beleidigt wurden, sondern auch normale Festgäste. Das ist eine kollektive Beleidigung. Es lässt jede Mindestform von Anstand vermissen.

tagesschau.de: Ist das ein ostdeutsches Phänomen?

Vorländer: Nein. Wir sehen im Augenblick überall, dass es zu Hass, Gewalttätigkeiten und Wutreden kommt. In anderen Bundesländern ist das auch so. Auch in westdeutschen Bundesländern zieht die AfD in Parlamente ein. Wir haben derzeit eine Verrohung der politischen Auseinandersetzung. Das ist gestern wieder sehr laut und deutlich geworden.

tagesschau.de: Gestern war es wieder Sachsen.

Vorländer: Zum Einen, weil der Festtag hier in Sachsen begangen wurde. Zum Anderen, weil "Pegida" solche radikalen Formen der Demonstration schon lange eingeübt hat. Ich beobachte angesichts der gestrigen Demonstrationen und der lang andauernden "Pegida"-Demonstrationen ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie, ein Unverständnis für demokratische Prozesse und eine Missachtung von Politikerinnen und Politikern und solchen, die sich um den Dialog bemühen. Hier ist Demokratieverachtung im Spiel. In Dresden wurde gestern die hässliche Fratze dieser Demokratieverachtung deutlich.

tagesschau.de: Wie sollten Politik und Gesellschaft nun reagieren?

Vorländer: Mit denen, mit denen man noch reden kann, muss man reden. Mit denen, mit denen man nicht mehr reden kann, sollte man auch nicht mehr reden. Aber man sollte hier sehr deutlich die Grenzen des Rechtsstaates anmahnen. Dort, wo beleidigt oder gehetzt wird, da muss mit der Härte des Rechtsstaates vorgegangen werden.

Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 03. Oktober 2016 um 20:00 Uhr.