Zukunft der Bundeswehr Viele offene Fragen bei der Wehrpflicht
Verteidigungsminister Pistorius will bis zum Sommer über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht entscheiden. In seinem Ministerium werden derzeit verschiedene Modelle geprüft. Ein Vorbild könnte Skandinavien sein.
Bis Mitte April will Verteidigungsminister Pistorius eine Liste mit weltweiten Wehrpflichtmodellen von seinen Planern vorgelegt haben. Das hat er Anfang der Woche im ZDF angekündigt. Dann will er bis zum Sommer in die Analyse gehen und seine Entscheidung treffen.
Pistorius will sich Zeit nehmen. Denn eine Wiedereinführung ist juristisch und strukturell schwierig umzusetzen. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hat diese Woche schon einmal klargemacht: Einen "Wehrdienst wie früher" und eine Wehrpflichtarmee mit 400.000 Soldaten wird es nicht mehr geben.
Ernsthaft diskutiert wird so eine Variante im Verteidigungsministerium nicht, da die Bundeswehr entsprechende Ausbildungsstrukturen gar nicht mehr hat und eine große Wehrpflichtarmee auch sehr teuer werden würde. Denn 2011 wurde die Wehrpflicht vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, CSU, vor allem auch aus Kostengründen ausgesetzt.
Eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Menschen sieht Bundeskanzler Scholz ebenfalls kritisch. Würde ein ganzer Jahrgang, durchschnittlich etwa 750.000 Männer und Frauen, jeweils zu Wehrdienst oder sozialen Aufgaben verpflichtet, würden der Wirtschaft viele Arbeitskräfte fehlen. Deshalb müsse auch berücksichtigt werden, dass Deutschland vor immer größeren Herausforderungen durch Arbeitskräftemangel stehe.
Außerdem bräuchte es für eine allgemeine Dienstpflicht aus Sicht des Kanzlers eine Grundgesetzänderung. Bei einer Gesprächsrunde mit Zeitungslesern in Mainz verwies Scholz in dieser Woche darauf, dass im Grundgesetz nach den Erfahrungen der NS-Diktatur ein Arbeitszwang verboten worden sei.
Struktur- und Rechtsfragen
Für die Planer der Bundeswehr ist die Zahl der jährlichen Wehrpflichtigen wichtig, die sie in die Truppe integrieren müssten. Generalinspekteur Carsten Breuer blickt auf die militärischen Notwendigkeiten. Das heißt, Deutschlands ranghöchster Soldat sieht die Aufgaben, die im Kriegsfall von der Bundeswehr innerhalb der NATO übernommen werden müssen. Und daran sollte sich aus seiner Sicht die Zahl möglicher Wehrpflichtiger ausrichten.
Aktuell wertet man die NATO-Pläne für die Bundeswehr noch aus, man weiß also noch gar nicht, wie viele Wehrpflichtige man tatsächlich bräuchte. Was die sogenannte "Aufwuchsfähigkeit" der Bundeswehr im Ernstfall angeht, "da sind wir noch nicht so weit", sagt General Breuer im Interview mit dem SWR. Er rechnet in den nächsten drei bis vier Monaten mit Ergebnissen, die dann in die Entscheidung von Verteidigungsminister Pistorius einfließen dürften.
Bei der Wiedereinführung einer Wehrpflicht müssten außerdem Rechtsfragen geklärt werden. Da wäre zum Beispiel die sogenannte Wehrgerechtigkeit. Sie war ein weiterer Grund für die Aussetzung der Wehrpflicht 2011. Denn damals wurde nur noch ein kleiner Teil eines jeweiligen Jahrgangs zum Dienst verpflichtet. Der Rest wurde nicht mehr eingezogen.
Eine weitere Fragestellung: Bislang sind nur Männer wehrpflichtig. Will man Wehrpflichtmodelle anderer Länder also auf das deutsche System übertragen, bräuchte es vermutlich Grundgesetzänderungen und Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Eine personell flexible und gleichzeitig rechtssichere Wehrpflicht einzuführen ist also keineswegs eine triviale Aufgabe.
Der Blick geht nach Skandinavien
Verteidigungsminister Pistorius hatte sich zuletzt in Schweden, Norwegen und Finnland über den Wehrdienst, Musterungsverfahren und den Einsatz der jungen Männer und Frauen informiert. Und auch im Verteidigungsministerium analysiert man aktuell vor allem auch die nordeuropäischen Wehrpflichtmodelle, die sich in Details unterscheiden.
In Dänemark melden sich beispielsweise bislang mehr Freiwillige, als es Ausbildungsplätze gibt. Das mag auch daran liegen, dass die Ausbildung mit vier Monaten bislang kurz war. Sie soll aber verlängert werden und ab 2026 auch die Wehrpflicht für Frauen eingeführt werden. Wenn die benötigten Rekrutenzahlen nicht mehr freiwillig erreicht werden, wird gelost.
Breuer will sich in der Wehrpflichtfrage zwar noch nicht festlegen, äußert im SWR-Interview aber Sympathie für das personell flexible schwedische Wehrpflicht-Modell. In Schweden werden alle Jugendlichen erfasst. Und sie erhalten zwei Jahre vor einem möglichen Dienstbeginn einen Fragebogen zur Person und Details wie Krankheiten, den sie ausfüllen müssen.
Nach einer ersten Auswahl wird dann nur ein Teil zur Musterung eingeladen und landet am Ende in der Armee. Es leisten also nur so viele Männer und Frauen Dienst, wie von der Armee benötigt werden. Gibt es zu wenige Wehrpflichtige, kann es in Schweden auch zu Zwangseinberufungen kommen.
Juristen haben allerdings Zweifel, dass diese Variante mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Deutschland vereinbar wäre. Eine weitere Grundgesetzänderung wäre vermutlich auch nötig, da in Schweden die Wehrpflicht für Männer und Frauen gilt.
Verteidigungsminister Pistorius will nicht "mit irgendeinem halbgaren Modell um die Ecke kommen, was ihm dann um die Ohren fliegt", sagte er diese Woche im ZDF. Das bedeutet, er muss für seinen Wehrpflichtvorschlag schwierige strukturelle und juristische Fragen klären. Und dann um politische Mehrheiten kämpfen. Auch in der Ampel, wo FDP und Grüne auf Freiwilligkeit setzen. Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht dürfte also noch länger auf sich warten lassen.