Wachstumschancengesetz Kommunen fürchten Milliardenverluste
Bei der Koalitionsklausur in Meseberg könnte das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Lindner verabschiedet werden. Die Kommunen warnen, ihnen würden damit bis zu 1,9 Milliarden Euro fehlen.
Am vergangenen Donnerstag war der Bundeskanzler in München. Ein "Townhall-Meeting", eine Wahlkampfveranstaltung der Bayern-SPD im Vorfeld der Landtagswahl am 8. Oktober. Olaf Scholz stellte sich Bürgerfragen, wollte gute Laune und Aufbruchstimmung vermitteln. Am Rand stand Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, ein Parteifreund des Kanzlers. Gute Laune hatte er nicht. Der Grund: das sogenannte Wachstumschancengesetz.
Finanzminister Christian Lindner will Steuererleichterungen für Unternehmen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro erreichen, Familienministerin Lisa Paus hatte den Gesetzentwurf jedoch im Streit um die Kindergrundsicherung blockiert. Nun, da sich vor der Koalitionsklausur in Meseberg eine Einigung abzeichnet, könnte das Wachstumschancengesetz dort beschlossen werden.
München rechnet mit Einnahmeverlusten
Die Laune des Münchner Oberbürgermeisters wird das nicht verbessern. Reiter fürchtet massive Einbußen bei den Gewerbesteuereinnahmen, sollte das Wachstumschancengesetz in der bisherigen Form verabschiedet werden. Denn der Entwurf sieht eine befristete Aussetzung der Mindestgewinnbesteuerung bei der Gewerbesteuer vor.
Unternehmen könnten damit größere Verlustvorträge geltend machen. 150 Millionen Euro jährlich würden seiner Stadt dadurch entgehen, befürchtet Reiter. Im Vergleich zur Summe der Gewerbesteuereinnahmen wirkt das verschmerzbar, dieses Jahr rechnet die Stadt mit 3,2 Milliarden Euro. Doch Reiter betont, auch für eine Stadt wie München sei das viel Geld. Der Haushalt sei auch schon ohne Wachstumschancengesetz knapp kalkuliert. Den Wegfall von 150 Millionen Euro könne er nicht akzeptieren.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter fürchtete Einnahmeverluste in Höhe von 150 Millionen Euro.
"Hiobsbotschaft" für Städte
Ähnlich sieht das der Deutsche Städtetag. Dessen stellvertretende Hauptgeschäftsführerin Verena Göppert sagte der Nachrichtenagentur dpa, das Finanzministerium wolle mit dem geplanten Wachstumschancengesetz offenbar die Axt an die Gewerbesteuer anlegen. Bundesweit könnten den Kommunen 1,9 Milliarden Euro fehlen. "Für die Handlungsfähigkeit der Städte wäre das eine echte Hiobsbotschaft", so Göppert.
Ob das wirklich so kommt? "Ein bisschen schöner" wolle man das Gesetz noch machen, ehe man es verabschiede, hatte der Bundeskanzler angekündigt. Der Münchner Oberbürgermeister hat eine klare Vorstellung davon, was das bedeutet: "Ich glaube, dass man diesen Teil rausnehmen muss aus dem Wachstumschancengesetz", sagte er am Rande des Kanzler-Besuchs in München dem BR. Wenn das nicht möglich sei, fordere er eine hundertprozentige Kompensation durch den Bund.
FDP will nicht nachverhandeln
Doch dass der Finanzminister dem zustimmt, dürfte unwahrscheinlich sein. Denn in der FDP ist man mit dem Wachstumschancengesetz in seiner jetzigen Form zufrieden. Reinhard Houben, der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, findet nichts Falsches daran, die Kommunen an der Steuerentlastung von Unternehmen zu beteiligen. Gerade in München würden besonders viele Unternehmen von einer Steuerentlastung profitieren und dadurch "auch wieder die steuereinnehmenden Kommunen".
Alle drei Ebenen - Bund, Länder und Gemeinden - seien aufgefordert, die deutsche Wirtschaft zu unterstützen, sagt Houben. Die vorgesehene Beteiligung der Kommunen bei der Finanzierung sei "der richtige Weg".
Das klingt nicht nach großer Bereitschaft, die Eckpunkte des Wachstumschancengesetzes noch einmal zu verhandeln. Auch wenn es Scholz gelingen sollte, das Kabinett zu einer Einigung zu bringen - spätestens im parlamentarischen Verfahren könnte es erneut Streit um das Wachstumschancengesetz geben.