Abstimmung zur Steuersenkung in Thüringen Zwischen Entsetzen und Applaus
In Thüringen hat die CDU eine Steuersenkung durchgesetzt - auch mit den Stimmen der AfD. SPD, Grüne und Linke im Bund sind entsetzt. FDP-Chef Lindner sieht die Verantwortung bei der CDU. Die AfD feiert das Ende von "Merz' Brandmauer".
Nachdem die CDU in Thüringen gemeinsam mit der AfD eine Senkung der Grunderwerbssteuer beschlossen hat, gibt es viel Kritik im politischen Berlin. Vor allem geht es um die Frage: Wie weit darf eine Zusammenarbeit mit der AfD gehen?
In den vergangenen Monaten war die Debatte um die "Brandmauer" immer wieder aufgeflammt, zuletzt hatte CDU-Chef Friedrich Merz versichert, er stehe fest zum Kooperationsverbot, auch auf kommunaler Ebene. Doch nun hat die CDU in Thüringen als Opposition gemeinsam mit der FDP und der AfD gegen die rot-rot-grüne Minderheitskoalition eine Steuersenkung durchgesetzt.
In der Abstimmung ging es um die beim Immobilienkauf fällige Grunderwerbsteuer. Die CDU-Fraktion konnte die Steuer nur von 6,5 auf 5,0 Prozent drücken, weil neben der FDP auch die in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestufte AfD zustimmte. Bundesweit sorgt das für Diskussionen.
Verschieben sich die demokratischen Grundsätze?
Über Thüringens Grenzen hinaus kritisierten Politiker das Vorgehen der CDU. "Die heutige Abstimmung im Erfurter Landtag war kein Unfall", sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert dem ARD-Hauptstadtstudio. Die CDU in Thüringen habe sich sehenden Auges darauf eingelassen eine politische Entscheidung herbeizuführen, die ohne die Stimmen der AfD nicht möglich gewesen wäre.
"Das ist eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus, die es so noch nicht gegeben hat", so Kühnert weiter. Er fürchte, dass der Parlamentarismus nach dem heutigen Tag ein anderer sein werde, wenn das in der CDU Schule mache. "Demokraten dürfen die AfD niemals zum parlamentarischen Zünglein an der Waage machen."
Linke: Abgrenzung nach rechts nur "eine hohle Phrase"
Kritik kommt auch von der Linken. "Die verbale Abgrenzung der CDU nach rechts entpuppt sich immer wieder als eine hohle Phrase", sagte Bundesvorsitzende Janine Wissler. Die CDU kooperiere in Thüringen "mit der Partei des Faschisten Höcke" und normalisiere damit die AfD. Für Wissler sei es offensichtlich, dass die Thüringer CDU dies nicht ohne Zustimmung aus Berlin tue.
Aus Sicht von Grünen-Chefin Ricarda Lang handele es sich dabei um "eine ganz klare Positionsverschiebung". Noch vor der Abstimmung im Thüringer Landtag sagte sie, dass CDU-Politiker versuchen würden, das Zustandekommen von Mehrheiten mit Stimmen der AfD nicht als Zusammenarbeit zu deuten. "Ich erwarte, dass Friedrich Merz hier in seinen eigenen Reihen Klarheit schafft."
Keine Stellungnahme von CDU-Chef Merz
Weder CDU-Chef Friedrich Merz noch sein Generalsekretär Carsten Linnemann wollten sich nach der Abstimmung in Thüringen dazu äußern. Ein Sprecher erklärte, dass die CDU-Landtagsfraktion in Thüringen regelmäßig Anträge zu unterschiedlichen Themen einbringe und damit ihre Pflicht erfülle, eigene Lösungsansätze in die politische Beratung einzubringen. Und weiter: "Wie sich andere Fraktionen dazu im Nachgang verhalten, unterliegt nicht ihrem Einfluss."
Vor der Abstimmung hatte Merz das Agieren der Thüringer CDU-Fraktion verteidigt. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. "Dabei bleibt es auch", sagte Merz bei RTL/ntv. "Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig."
Rückendeckung bekommt Merz von CSU-Chef Markus Söder. "Ich glaube, da hat er Recht", sagte der bayerische Ministerpräsident im RTL-"Nachtjournal Spezial". "Im übrigen läge es an den anderen demokratischen Parteien, diese gute Idee einer Steuersenkung zu unterstützen, denn Entlastung für Bürger ist ja nichts Extremes, sondern sinnvoll."
Mehrheitsverhältnisse im Landtag sind schwierig
Die Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag sind schwierig: Die rot-rot-grüne Koalition von Ramelow hat seit der Landtagswahl 2019 keine eigene Mehrheit - ihr fehlen vier Stimmen im Parlament. Sie ist bei Entscheidungen stets auf Kompromisse angewiesen - bisher vor allem mit der CDU.
Thüringens CDU-Landespartei- und Fraktionschef Mario Voigt verteidigte sein Vorgehen. "Ich kann nicht gute, wichtige Entscheidungen für den Freistaat, die Entlastung für Familien und der Wirtschaft, davon abhängig machen, dass die Falschen zustimmen könnten", sagte Voigt in den tagesthemen. Für ihn sei wichtig, dass man mit Inhalten überzeuge.
Kritik am Verhalten der FDP - auch von den Jungen Liberalen
Die Kritik richtet sich auch gegen die Liberalen, denn neben der AfD hatten auch FDP-Abgeordnete für den CDU-Antrag gestimmt. Erst dadurch konnte das Vorhaben gegen die Stimmen von Linken, SPD und Grünen beschlossen werden. Dennoch weist FDP-Chef Christian Lindner eine Verantwortung seiner Partei zurück. "Jetzt wollen wir Ursache und Wirkung nicht verwechseln", sagt er auf einer Veranstaltung der "Augsburger Allgemeinen". Es sei ein Antrag der Landtagsfraktion der Christdemokraten gewesen. "Deshalb ist das jetzt die Verantwortung der CDU."
Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Beisitzerin im FDP-Bundesvorstand Franziska Brandmann sieht die Rolle ihrer Partei kritischer. "Es verbietet sich für aufrechte Demokraten, politische Initiativen zu starten, deren Gelingen von der Unterstützung durch Rechtsextreme abhängig ist", sagt sie. Diesen Grundsatz zu vertreten und zu verteidigen, liege auch in besonderem Maße in der Verantwortung von Union und FDP als bürgerliche Parteien. "In Thüringen, wo das heute nicht funktioniert hat. Und auch über Thüringen hinaus."
Weidel: "Merz‘ Brandmauer ist Geschichte "
Die Bundesspitze der AfD wertet den Vorgang für sich als Erfolg. "Merz‘ Brandmauer ist Geschichte und Thüringen erst der Anfang", schreibt Alice Weidel im Onlinedienst X (vormals Twitter).
Und ihr Co-Vorsitzender Chrupalla erklärt: "CDU und AfD haben in Thüringen die Brandmauer eingerissen". Seine Partei würde seit Jahren die Streichung der Grunderwerbsteuer für selbstgenutzte Immobilien fordern. In Thüringen sei man diesem Ziel nun einen großen Schritt näher gekommen. "Wenn es um die Interessen der Bürger geht, ist nicht wichtig, wer mit wem abstimmt. Es ist wichtig, dass eine Mehrheit zustande kommt", sagt Chrupalla.