AfD und "Reichsbürger"-Razzia Die einen schweigen, die anderen raunen
"Vollstes Vertrauen" in die Behörden - oder "Ablenkungsmanöver": Das sind die AfD-Reaktionen auf die "Reichsbürger"-Razzia. Zur festgenommenen Ex-Abgeordneten sagt die Spitze aber nichts.
"Geheimer Umsturzplan" steht mit Rechtschreibfehler auf einem Zettel als Überschrift gekritzelt. "Neue Regierung mit mich" ist einer der darunter aufgelisteten Punkte. Das Foto dieses Zettels soll ein Meme sein, mit dem der AfD-Bezirksverband Hamburg-Bergedorf bei Facebook Likes sammelt. Der darüber formulierte Dank an die Sicherheitsbehörden ist offensichtlich ironisch gemeint.
Die Groß-Razzia vom Mittwoch, einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik, wird ins Lächerliche gezogen.
Was die Parteispitze der AfD selbst angeht, so ist der zu den "Reichsbürgern" nicht viel zu entlocken: "Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab", hieß es nach der Razzia in einer vier Sätze dürren Mitteilung von Alice Weidel und Tino Chrupalla. Man habe "vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden".
Auch am Tag nach dem Aufdecken der Umsturzpläne kein Wort dazu, dass mit der Richterin Birgit Malsack-Winkemann auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete festgenommen wurde.
Für einige nur "Ablenkung"
Doch die Wortkargheit der Chefetage steht in krassem Widerspruch zur heftigen Debatte in den Parteiforen. Wie dem ARD-Hauptstadtstudio aus der Bundestagsfraktion bestätigt wird, lautet in Chatgruppen die vorherrschende Meinung: Das alles sei ein abgekartetes Spiel der Sicherheitsbehörden. Eine Vertuschungsaktion, um von einem Mord abzulenken. Im baden-württembergischen Illerkirchberg hatte am Montag ein Mann zwei Schülerinnen mit einem Messer angegriffen, eine von ihnen starb. Tatverdächtig ist ein 27-jähriger Mann aus Eritrea.
"Um die Bürger vollends abzulenken von der Geschichte, zaubert man eine rechtsextreme Reichsbürger-Terror-Gruppe aus dem Hut", so deutet es in einem aktuellen Facebook-Video der sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In Internetforen legt er nach: Anders als der Bundesvorstand habe er kein "vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden". Eine Chatgruppenvereinigung werde systematisch aufgebauscht, "und der BuVo hält nicht dagegen".
"Toll inszeniert und großes Kino"
Mit seiner Haltung spricht Tillschneider offenbar vielen in der AfD aus der Seele: Eins müsse man Innenministerin Nancy Faeser lassen, twitterte der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski, "die Razzia gegen die Greise der Reichsbürger war toll inszeniert und großes Kino". Sie habe es "prima verstanden, die Bluttat von Illerkirchberg aus den Schlagzeilen zu verdrängen".
Die "Reichsbürger", auf deren Konto wohlgemerkt der Mord an einem Polizisten im Jahr 2016 geht, als eine Truppe durchgeknallter, aber harmloser Senioren? Diese Lesart ist in der AfD offenbar weit verbreitet: "'Staatsstreich' mit 50 Rentnern? Die würden nicht mal das Rathaus von San Marino einnehmen!", spottet der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron auf Twitter. Und fügt noch an: "Die Bemühungen, eine 'Gefahr von Rechts' herbeizufabulieren, werden immer absurder."
Die AfD-Kommentare folgen stets dem selben Strickmuster: Die Umsturzpläne der rechten "Reichsbürger" werden verharmlost oder verniedlicht, die Polizeiaktion dagegen wahlweise als PR-Aktion lächerlich gemacht oder gar zu einer politischen Finte herabgewürdigt. Doch ist das Geraune von einem "Ablenkungsmanöver" womöglich eher ein "Ablenkungsmanöver" der AfD?
Auffällig ist nämlich: Mit Schweigen bedacht werden jegliche Verbindungen der Partei zur "Reichsbürger"-Szene.
Höcke rät, Chatgruppen zu verlassen
Kaum jemand geht darauf ein, dass mutmaßlich eine der "ihren" tatkräftig beim Aushebeln der Demokratie helfen wollte: Die Richterin und Ex-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann, im Jahr 2019 von Parteichefin Weidel noch als "tolle Politikerin" gelobt. Die ist nach wie vor nicht nur AfD-Mitglied, sondern sogar Beisitzerin im Bundesschiedsgericht der Partei.
Kommentieren will man das von Seiten der Parteizentrale vorerst nicht. Nur sind die Namen der Beisitzer auf der Homepage der AfD - anders als vor der Razzia - nicht mehr zu finden. So richtig behaglich scheint sich die Parteispitze in der Nähe der Festgenommenen doch nicht mehr zu fühlen.
Und der Thüringer Landesverband der AfD, dem der rechtsextreme Björn Höcke vorsteht, sieht sich sogar dazu bemüßigt, seinen Mitgliedern zu raten, die eigenen Chatgruppen zu überprüfen. Es solle zahlreiche davon geben, in denen kundgetan werde, dass friedliches Demonstrieren für Grundrechte nichts bringe und "man nun zu anderen Mitteln greifen müsse". So steht es in einem veröffentlichten Mitgliederbrief. Es empfehle sich, schreibt Höcke weiter, solche Gruppen zu verlassen.
Bemerkenswert, dass ein solcher Rat notwendig scheint, in einer Partei, die sich selbst stets das Etikett "bürgerlich" ausstellt.