Claudia Kemfert
interview

Reform des Klimaschutzgesetzes Kemfert sieht Klimaziele bis 2030 in Gefahr

Stand: 27.04.2024 00:01 Uhr

Der Bundestag hat die Reform des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Die Opposition sieht in der Änderung eine Aufweichung. Auch von der Wirtschaftswissenschaftlerin Kemfert kommt im Interview mit den tagesthemen Kritik.

Ingo Zamperoni: Der größte Punkt bei der Reform des Klimaschutzgesetzes ist die Aufhebung der einklagbaren Sektorenziele. Hat die Ampel da nicht einen Punkt, wenn sie sagt, dem Klima ist es egal, wo CO2-Emissionen eingespart werden, Hauptsache sie werden eingespart?

Claudia Kemfert: Ja, grundsätzlich ist das auch so. In der Tat ist es ja egal, wo sie eingespart werden. Aber wichtig ist, dass sie eingespart werden. Und das ist die große Gefahr dahinter, dass, wenn man die Sektorenziele nicht mehr hat, es auch keine direkten Verantwortlichkeiten der Ministerien mehr gibt und man damit Gefahr läuft, dass man die Emissionsminderungsziele bis 2030 eben nicht erreicht. Weil eben jetzt so ein Automatismus da nicht mehr hinterher ist und man auch kein Sofortprogramm mehr hat, wo die Ministerien eigentlich nachsteuern müssten.

Man läuft Gefahr, dass man die Emissionsminderungsziele bis 2030 nicht erreicht
Claudia Kemfert

Zamperoni: Aber wer springt denn ein? Wer übernimmt denn die Verantwortung? Wer sagt denn, wir sind hier nicht auf Kurs, ihr müsst jetzt folgende Kontingente noch einsparen? Wer macht das - der Kanzler?

Kemfert: Ja, eigentlich ist es die Bundesregierung insgesamt. Der Kanzler natürlich, aber alle Ministerien auch zusammen. Aber wichtig ist doch zu sehen: Wer kann denn überhaupt überkompensieren, wenn jetzt beispielsweise das Verkehrsministerium nicht liefert? Und so sieht es ja im Moment aus. Dann müssten eigentlich andere Sektoren mehr machen, insbesondere beispielsweise der Energiesektor der Industrie, die ja auch schon sehr viel tun. Man baut die erneuerbaren Energien aus, der Kohleanteil geht runter. Aber das reicht natürlich nicht, um das alles vollständig überzukompensieren. Und dann läuft man Gefahr, wenn die einzelnen Sektoren nicht liefern, dass man am Ende da eben nicht landet, wo man hin will.

Zur Person
Claudia Kemfert leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit 2019 Professorin für Energieökonomie und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg.

Zamperoni: Das heißt, Sie glauben, das kann gar nicht aufgehen? Welche Sektoren würden denn einspringen können, wo noch genug Puffer ist? Wo es dann nicht so schlimm ist, dass der Verkehrssektor, der wirklich seit den Anfang der 90er Jahre sich kaum verändert hat, die Ziele reißt?

Kemfert: Genau, wenn er weiter reißt, dann kann das nicht richtig aufgehen. Und dann wird man in der Tat die Klimaziele bis 2030 nicht erreichen können, wenn man nicht einen Mechanismus findet, wo man nachsteuert. Jetzt will man mit diesen Projektionsberichten vorausschauen und auch der Expertenrat schaut alle zwei Jahre drauf, dass man auch nachjustiert, und man muss auf europäischer Ebene auch entsprechend Verpflichtungen erfüllen. Aber in der Tat, wenn wir diesen Automatismus oder diesen Mechanismus da nicht mehr drin haben, dann ist die Gefahr groß, dass man es eben nicht erreicht.

Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, zum Reform des Klimaschutzgesetzes

tagesthemen, 26.04.2024 21:45 Uhr

Wertvolles Instrument aus der Hand gegeben

Zamperoni: Also sind Sie eher pessimistisch, was das Kalkül da betrifft?

Kemfert: Ich bin sehr pessimistisch und kritisiere das auch sehr, sehr deutlich. Weil eben die Gefahr sehr groß ist, dass wir es nicht erreichen und dass wir mit diesem wertvollen Sektorenmechanismus, den wir in der Vergangenheit hatten, ein sehr wertvolles Instrument aus der Hand geben und so eben Gefahr laufen, die Klimaziele nicht zu erreichen.

Zamperoni: Natürlich ist es ein wichtiger Aspekt, dass wir zurzeit eigentlich ganz gut dastehen und auf Kurs liegen sozusagen. Aber wir kommen von einer Pandemie immer noch mit Nachwirkungen. Und wir haben eine Wirtschaft, die relativ am Boden liegt. Das soll sich ja ändern, die soll ja wieder Fahrt aufnehmen, dann wird es ja noch schwieriger?

Kemfert: Es wird noch schwieriger. Und ein Stück weit rechnet sich die Bundesregierung die Klimaziele auch schön, weil es gibt ja die Projektionsberichte, die sagen, wir werden es schon erreichen. Aber 80 Prozent dieser Zielerreichung ist eben genau das, was Sie beschreiben: Konjunkturell läuft es nicht gut, oder man geht davon aus, dass es nicht so schnell wieder wächst und der Stromverbrauch ist nicht so hoch und nur dann erreicht man die Klimaziele. Aber wir müssen ja Klimaschutzmaßnahmen haben und da reicht es eben nicht aus, dass wir nur die erneuerbaren Energien ausbauen und im Verkehrssektor eben nicht genug machen.

Mögliche Strafzahlungen der EU drohen

Zamperoni: Welche Rolle spielt dabei auch, dass die EU weiterhin noch Sektorziele hat? Wenn die Bundesregierung jetzt die Verpflichtung da aufhebt, dann drohen ja Strafzahlungen - nimmt die Regierung die dann einfach in Kauf?

Kemfert: Ja, offensichtlich. Wenn wir die Ziele nicht erreichen, dann nehmen wir die Strafzahlungen tatsächlich in Kauf. Das kann aber richtig teuer werden. Wir wissen nicht, wie teuer, aber wir müssen sehen, wer verkauft uns in Europa überhaupt noch Zertifikate? Und da kann der Preis sehr hoch sein. Und wenn wir die Sektorenziele nicht erreichen, gerade Gebäude und Verkehr, dann muss man da Zertifikate zukaufen und das kann sehr, sehr teuer werden.

Wenn wir die Sektorenziele nicht erreichen, gerade Gebäude und Verkehr, dann muss man da Zertifikate zukaufen und das kann sehr, sehr teuer werden
Claudia Kemfert

Zamperoni: Könnte das aber immerhin ein Hebel sein in gewisser Weise, um hier noch mehr Druck auszuüben?

Kemfert: Ja, eindeutig. Das ist auch ein Hebel, um da mehr Druck auszuüben. Aber es ist natürlich immer ex post, also man reagiert erst. Aber eigentlich bräuchten wir jetzt Maßnahmen. So ein Sofortprogramm, was man jetzt aus der Hand gegeben hat, wo man sagt: Bitte, Verkehrsministerium, ihr müsst das und das und das machen. Es gibt ja so viele Instrumente, damit wir die Klimaziele erfüllen - Tempolimit, Dienstwagenprivileg, all das kann man aufgeben, auch in kürzester Zeit. Dann würden wir schon ein Großteil der Emissionen, die wir im Verkehrssektor erreichen müssten, auch erreichen können.

Zamperoni: Dazu kommt noch ein Zeitaspekt bei dem Gesetz: Erst wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren sich abzeichnet, dass die Bundesregierung nicht auf Kurs ist, dann muss sie nachsteuern insgesamt. Ist das nicht viel zu großzügig als Zeitfenster?

Kemfert: Ja, es ist zu großzügig. Und es ist im Grunde genommen ja so, dass man jetzt einer Bundesregierung, die neu startet, ins Pflichtenheft reinschreibt, was tatsächlich passieren soll. Dann schaut man alle zwei Jahre nochmal nach, kann aber nicht mehr so viel korrigieren. Und am Ende landet man genau da, wo ich befürchte, dass wir die Klimaziele nicht erreichen können.

Zamperoni: Sie üben eine Menge Kritik an dieser Reform. Aber gibt es auch Aspekte, wo Sie sagen: Na ja, das sind doch immerhin auch positive Schritte, da hat sich auch was verbessert?

Kemfert: Ja, grundsätzlich ist es immer gut, dass wir ein Klimaschutzgesetz haben und dass wir auch entsprechend Verpflichtungen haben, dass wir in der Welt zeigen, wir tun auch noch weiterhin Klimaschutz. Aber insgesamt sehe ich aktuell diese Novelle eher als Rückschritt. Obwohl man sagen kann, wie die Bundesregierung, die Emissionsmenge ist gedeckelt - da wird man ja auch nicht weiter darüber hinausgehen können. Aber die Gefahr ist groß, dass wir es nicht erreichen können.

Zamperoni: Frau Kemfert, ich danke Ihnen für den Besuch und Ihre Einschätzungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 26. April 2024 um 21:45 Uhr.