Bundesminister und Bundesministerinnen sitzen bei einer Sitzung des Bundestags auf der Regierungsbank.
Analyse

Vor der parlamentarischen Sommerpause Wo es in der Ampel rumpelt - und wo nicht

Stand: 06.07.2022 09:22 Uhr

Der Krieg in Europa treibt die Politik vor sich her. Nun steht die parlamentarische Sommerpause bevor - und die Frage bleibt: Was hat die Ampel-Koalition eigentlich geschafft? Und welche Partei steht gerade wo? Eine Zwischenbilanz.

Eine Analyse von Nicole Kohnert, Kristin Schwietzer, Frank Jahn und Christian Feld, ARD-Hauptstadtstudio

"Wir sind nie beleidigt und nie hysterisch" - das Mantra von Olaf Scholz klingt vielversprechend. Die Botschaft dahinter: "Wir kümmern uns." Hier regiert die Politik der "ruhigen Hand", wenn es draußen stürmisch wird. Doch das Mantra scheint der Regierung in diesen Tagen zu entgleiten. Der Kanzler wirkt oftmals zögerlich, angefasst, auf Kritik reagiert Scholz inzwischen auch mal gereizt. Der Sturm von außen ist enorm.

Die Herausforderung, wie Scholz selbst sagt, ist historisch. Ein Krieg mitten in Europa bringt die frisch gewählte Ampel-Koalition gleich zu Beginn an ihre Grenzen. Es geht um Waffenlieferungen, steigende Energiepreise und schnelle Entlastungen für die Menschen. Die To-Do-Liste muss warten. Aber wie fällt die Bilanz der Ampel aus?

Matthias Miersch

Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht die SPD nach wie vor als Stabilitätsanker

Die SPD

Das bekommt besonders die SPD zu spüren. Viele Wünsche, Sozialprojekte, die vor allem dem linken Flügel der Partei am Herzen liegen, müssen warten. Die Kindergrundsicherung oder das geplante Bürgergeld, ein Nachfolger von Hartz IV, sind angedacht, aber noch nicht umgesetzt. Der Krieg in der Ukraine treibt die Preisspirale hoch. Und je stärker die hohen Preise die Bevölkerung treffen, desto mehr wächst bei vielen Sozialdemokraten der Druck, die sozialen Versprechen auch wirklich umzusetzen, sich mehr in der Ampel zu profilieren. 

Dabei war die SPD sehr geschlossen in diese neue Regierungszeit gestartet. Die Sozialdemokraten sehen sich anfangs selbst als Stabilisator in der Ampel, als vermittelnder Partner zwischen Grünen und Liberalen. Offen loben sie auch "ihren" SPD-Kanzler, der sich nicht treiben lässt, mit Bedacht Entscheidungen trifft. Kritik an Scholz' kargem Kommunikationsstil nehmen sie da noch in Kauf. Auch, dass der Kanzler seine schützende Hand über Finanzminister Linder und die vereinbarte Schuldenbremse hält, bisher wurde das toleriert. Doch nun wächst die Ungeduld in Zeiten von Energieunsicherheit. Die Rufe, die Schuldenbremse auszusetzen, werden wieder lauter.

Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken zweifelt sogar offen an der Einhaltung der Schuldenbremse. Auch Generalsekretär Kevin Kühnert kritisiert solche "haushälterischen Restriktionen" und dass man Optionen wie die Vermögensteuer nicht nutze. 

Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht die SPD nach wie vor als Stabilitätsanker, schaut aber mit Sorge auf die Sommerzeit und warnt vor sozialen Unwuchten. Er wünsche sich, dass Themen wie die Grundsicherung weiter vorankommen. Deren Finanzierung - so Miersch - werde aber die eine oder andere Debatte mit den Koalitionspartnern auslösen. Ein Fingerzeig in Richtung FDP.

Johannes Vogel

FDP-Vize Johannes Vogel - Koalition heißt für die FDP auch Kompromiss

Die FDP

"Mir fehlt die Fantasie", sagte Christian Lindner vor der Bundestagswahl, befragt nach einer Koalition mit SPD und Grünen. Das Unvorstellbare geht nun schon ein halbes Jahr, und der Start der Ampel war aus Sicht der FDP ein Erfolg. Der Koalitionsvertrag wird in Berlin gern mal "Gelbe Seiten" genannt, weil die Liberalen darin viel festschreiben konnten: keine Steuererhöhungen, Rückkehr zur Schuldenbremse, kein Tempolimit. Als ersten Erfolg im Parlament verbucht die FDP die Corona-Politik. Auf Druck der Freien Demokraten werden Grundrechtseingriffe zurückgenommen. 

"Die FDP in der Regierung macht in Gestaltungsverantwortung jetzt schon einen Unterschied", bilanziert FDP-Vize Johannes Vogel gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: "Ohne uns wäre die Schuldenbremse vermutlich schon Geschichte." In der Energiekrise beschleunigt die Ampel die Planungsverfahren - siehe LNG-Terminals. Für die FDP eine Blaupause gegen die "wohlstandsgefährdende bürokratische Schleichfahrt in Deutschland." 

Also alles bestens für die Freien Demokraten? Nein. Koalition heißt Kompromiss. Corona und Krieg bedeuten neue Schulden. Finanzminister Lindner muss Milliarden für die Bundeswehr und für riesige Entlastungspakete freigeben. Haushaltstrickserei wirft ihm die Opposition vor, weil Lindner ungenutzte Pandemiegelder in einen Klimafonds umschichtet. Das kratzt am Image des Ministers. Solide Finanzen sind ein Markenkern der FDP. Wohl auch deshalb besteht Lindner vehement darauf, die Schuldenbremse einzuhalten: "Wir können uns zusätzliche Schulden schlicht nicht leisten." Gemeint ist Deutschlands Kassenlage. Aber es geht auch um die finanzpolitischen Versprechen der FDP und darum, ob sich das einst unvorstellbare Ampelwagnis am Ende für sie rechnet. 

Omid Nouripour

Omid Nouripour zieht eine positive Ampel-Zwischenbilanz

Die Grünen

Für die Grünen scheint die Rechnung aufzugehen. Die Grünen-Spitze zieht öffentlich eine positive Ampel-Zwischenbilanz. Worauf ist der Co-Vorsitzende Omid Nouripour stolz im bisherigen Zusammenspiel der Partner, wo ist noch Luft nach oben? "Wir haben einiges auf die Reihe bekommen." Er nennt die bisherigen Entlastungspakete, das Gesetzespaket zu Erneuerbaren Energien. Auch das Werbeverbot für Abtreibungen sei seiner Partei "sehr, sehr wichtig" gewesen. Aber auch der Justizminister von der FDP habe eine "großartige" Rede gehalten.

"Es rumpelt weiterhin an bestimmten Stellen", sagt Nouripour, schickt aber gleich hinterher, das sei "total normal" bei einer Koalition, die es so noch nicht gegeben habe. Der öffentliche Diskurs über unterschiedliche Wege gehöre dazu, findet Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende im Bundestag: "Wichtig ist, dass man am Ende einen findet und gemeinsam handelt, und das haben wir gemacht." 

Beim Blick auf die aktuellen Zahlen haben die Grünen wenig Grund zu klagen. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben sie just Koalitionsverträge unterschrieben. In bundesweiten Meinungsumfragen liegt die Partei auf Platz zwei hinter der Union. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock führen die Zufriedenheits-Rangliste an. Dabei mussten die Grünen seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine grundlegende Positionen zur Seite schieben. Beim Emir von Katar um Gas bitten, schwere Waffen in ein Kriegsgebiet liefern - die Grünen-Spitze war zu 180-Grad-Wenden bereit. Allzu großes Murren an der Basis war nicht zu hören. Realpolitik scheint aktuell alternativlos.

Friedrich Merz

Friedrich Merz - der Unionsfraktionschef kennt seine Rolle und er reizt sie gern auch mal aus.

Und die größte Oppositionspartei?

Was die Ampel nicht abräumt, schlachtet der Oppositionsführer gnadenlos aus. Scholz reist nicht sofort nach Kriegsbeginn in die Ukraine. Friedrich Merz eilt schon mal voraus. Der Ampel fehlt die Mehrheit für schwere Waffenlieferungen. Merz ist zu Stelle und reicht die Hand für einen gemeinsamen Antrag. Im Gegenzug werden auch Forderungen der Union erfüllt - etwa, dass die Mittel ausschließlich der Bundeswehr zu Gute kommen.

Der Unionsfraktionschef kennt seine Rolle und er reizt sie gern auch mal aus. Der eigenen Fraktion tut das sichtlich gut. Nach 16 Jahren auf der Regierungsbank hatte manch einer schon vergessen, wie Opposition geht. "Wir müssen da was machen." Solche Sätze hörte man bei CDU und CSU anfangs häufiger. Gern begleitet vom Nebensatz. "Ach, quatsch … wir sind ja nicht mehr dran." Inzwischen haben viele Unionspolitiker ihre Position, wenn auch ungern, angenommen. Jetzt geht es um Sätze wie. "Die Ampel muss liefern." Oder "Wir warten auf den Gesetzentwurf." Merz hat seine Fraktion auf Angriff getrimmt. Merz versteht das als konstruktive Opposition. Die Umfragen und die gewonnenen Landtagswahlen geben ihm Recht. 

Ein Spaziergang wird der Weg durch die Opposition für CDU und CSU aber nicht. Vor allem die CDU muss sich in der Opposition erneuern. Zwischen Frauenquote, Klimaschutz und dem Drängen des Wirtschaftsflügels dürfte es das eine oder andere Mal für Merz noch ungemütlich werden. Zu viele soziale Zugeständnisse schmecken nicht jedem in der Union.

Zuletzt musste der Fraktionschef aus dem angekündigten Ja zum Mindestlohn im Parlament eine Enthaltung machen, auf Drängen des Wirtschaftsflügels. Der wird weiter aufmerksam darauf achten, welchen Kurs Merz mit der CDU einschlägt. Keine leichte Aufgabe für den Fraktions- und Parteichef. Nach innen einen, nach außen sticheln. Die Union hat sich zwar eingefunden in der Opposition, bleiben wollen sie da aber nicht.

Uwe Jahn, Uwe Jahn, ARD-Berlin, 06.07.2022 09:36 Uhr