Antisemitismus-Vorwurf gegen Aiwanger Opposition verlangt von Söder rasches Statement
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger bleibt unter Druck: Seine Erklärung in der Flugblatt-Affäre reicht der Opposition im Landtag nicht. Ob es zu einer Sondersitzung kommt, macht sie nun von Regierungschef Söder abhängig.
Sechs Wochen vor der Bayern-Wahl bleibt Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger auch nach seiner Erklärung zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten unter Druck. Grüne, SPD und FDP im Freistaat fordern eine Stellungnahme von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu dem Fall - und zwar umgehend. Je nachdem, wie diese ausfällt, wollen die drei Oppositionsfraktionen dann über einen möglichen Antrag auf eine Sondersitzung im Landtag entscheiden.
"Für uns ist eine Sondersitzung weiter auf dem Tisch. Aber erstmal muss Markus Söder sich äußern - und zwar bald", sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze der Nachrichtenagentur dpa. FDP-Fraktionschef Martin Hagen betonte ebenfalls: "Der Ball liegt beim Ministerpräsidenten. Er muss sich am Montag zum Skandal um seinen Stellvertreter erklären. Abhängig von seiner Reaktion werden wir beraten, ob wir eine Sondersitzung einberufen." Die SPD hatte sich als erstes für eine Sondersitzung ausgesprochen.
Der SPD-Fraktionsvorstand habe bereits einstimmig dafür votiert, sagte Fraktionschef Florian von Brunn. "Ziel ist, die Entlassung von Hubert Aiwanger auf die Tagesordnung des Landtags zu setzen, um die notwendigen Konsequenzen zu ziehen - bevor noch mehr Schaden für Bayern entsteht." FDP und Grüne wollten aber zunächst noch auf die Reaktion Söders warten. "Deren Stimmen sind notwendig." Er habe dann vorgeschlagen, dass man sich heute noch einmal kurzschließe.
Aiwanger: "Wenige Exemplare" in Schultasche
Freie-Wähler-Chef Aiwanger (52) hatte am Samstagabend schriftlich den Vorwurf zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet hatte. Es liegt auch dem Bayerischen Rundfunk vor.
"Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", hieß es in einer Erklärung Aiwangers. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers ein Jahr älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben: "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war."
Flugblatt auf der Schultoilette
Die "SZ" hatte in ihrer Samstagsausgabe unter Berufung auf Augenzeugen, die anonym bleiben wollten, berichtet, Aiwanger sei als Urheber des Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden. Er war damals in der elften Klasse. Demnach traf sich deswegen der Disziplinarausschuss der Schule. Aiwanger habe seine Urheberschaft nicht bestritten und sei "bestraft worden".
Die Schrift tauchte dem Bericht zufolge im Schuljahr 1987/88 in der Schultoilette auf. Verfasst wurde sie offenbar anlässlich des "Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten", an dem das Burkhart-Gymnasium teilnahm. Das Flugblatt wurde aber nicht zu dem Wettbewerb eingereicht, sondern verspottete ihn.
Es ruft zur Teilnahme an einem angeblichen Bundeswettbewerb auf: "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Bewerber sollten sich "im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch" melden, hieß es darin. Als erster Preis wurde "Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" ausgelobt. Weiter zu gewinnen sei "Ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab".
Vollständige Aufklärung gefordert
Die Vorwürfe treffen Aiwanger mitten im Wahlkampf zur Landtagswahl am 8. Oktober. Und sie sorgten in Bayern und darüber hinaus für empörte Reaktionen. Ministerpräsident Söder, dessen CSU gemeinsam mit Aiwangers Freien Wählern koaliert und bislang erklärt hat, diese Koalition auch fortsetzen zu wollen, sprach von "schlimmen Vorwürfen", die vollständig ausgeräumt werden müssten. Zu Aiwangers Erklärung hat sich Söder bislang nicht geäußert.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, mahnte am Sonntag: "Der Text eines Flugblattes, das auf der damaligen Schule des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten zirkulierte und von dessen Bruder erstellt worden sei, ist auch heute nicht minder verwerflich, da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft." Inwiefern Aiwanger für die Verbreitung zumindest mitverantwortlich ist, werde in Gänze nicht aufzuklären sein.
Die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst, aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, lassen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem zugrunde lag."