Historische Hungerkrise in der Ukraine Bundestag verurteilt Holodomor als Völkermord
Vor 90 Jahren verhungerten in der Sowjetunion unter der Herrschaft von Diktator Stalin Millionen Menschen. In der Ukraine steht der Begriff Holodomor für diese Hungersnot. Nun hat der Bundestag den "Mord durch Hunger" als Genozid anerkannt.
Eine Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages hat die vor 90 Jahren von der Sowjetführung in der Ukraine verursachte Hungersnot als Völkermord anerkannt. Der Holodomor, wie die Hungersnot mit Millionen Toten in der Ukraine genannt wird, stelle ein "Menschheitsverbrechen" dar, heißt es in dem Antrag. Die Resolution wurde mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP sowie der Union angenommen.
Holodomor heißt "Mord durch Hunger"
Unter der Verantwortung des sowjetischen Diktators Josef Stalin waren dem Holodomor in den Jahren 1932 und 1933 allein in der Ukraine bis zu vier Millionen Menschen zum Opfer gefallen. In Kasachstan und weiteren Regionen der Sowjetunion gab es weitere Millionen Opfer, die starben, weil Lebensmittel drastisch verknappt und zugleich Reisesperren erlassen wurden. Die Opferzahlen können bis heute nicht wissenschaftlich genau beziffert werden.
Der Hunger sei nicht durch Missernten verursacht worden, betonte die SPD-Abgeordnete Gabriela Heinrich. Die Lebensmittel seien der Bevölkerung weggenommen worden, sagte sie. Die Ukraine sei damals schon die "Kornkammer" der Region gewesen. Es handele sich beim Holodomor um eine "gewollte und geplante Hungersnot", mit der Stalin die Ukraine in das sowjetische System habe zwingen wollen.
Ein Gedenken in Kriegszeiten: In Kiew wurde am 26. November den Toten des Holodomor gedacht.
"Teil unserer Geschichte"
Das Streben der sowjetischen Führung nach einer Kontrolle der Bauern sei damals mit der Unterdrückung der ukrainischen Lebensweise, Sprache und Kultur verschmolzen, heißt es in der Bundestags-Drucksache. "Damit liegt aus heutiger Perspektive eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe. Der Deutsche Bundestag teilt eine solche Einordnung", heißt es weiter. Das Verbrechen sei "Teil unserer gemeinsamen Geschichte als Europäerinnen und Europäer".
Mehrere andere Länder hatten den Holodomor schon zuvor als Genozid am ukrainischen Volk eingestuft und verurteilt, Russland lehnt dies ab. Während der Sitzung im Bundestag waren auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, sowie sein Vorgänger und heutige stellvertretende ukrainische Außenminister Andrij Melnyk als Gäste dabei.
Linke und AfD enthalten sich
Die Abgeordneten von AfD und Linke hatten sich bei der Abstimmung enthalten. Der AfD-Abgeordnete Marc Jongen sprach zwar von einem "Menschheitsverbrechen" im Zusammenhang mit dem Holodomor, warf den übrigen Parteien aber vor, kommunistische Verbrechen in der Vergangenheit bagatellisiert zu haben. Zudem lehnte er Parallelen zum heutigen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine ab.
Gregor Gysi von der Linken verurteilte den Holodomor als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Er habe aber gleichzeitig den Eindruck, dass Stalin und Hitler gleichgestellt werden sollten - dies lehne er ab. Zudem hob er die Rolle der Sowjetunion beim Sieg über die Nationalsozialisten hervor.
In dem Antrag heißt es, der Holodomor falle "in eine Periode massivster, in ihrer Grausamkeit bis dahin unvorstellbarer Menschheitsverbrechen auf dem europäischen Kontinent". Danach wird auf den Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden "in seiner historischen Singularität", die Kriegsverbrechen der Wehrmacht und die deutschen Vernichtungskriege im Osten verwiesen, "für die Deutschland die historische Verantwortung trägt".